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Skandalserie: "The Idol" ist voller Nacktheit & Sex – hat aber sonst nix zu bieten

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Lily-Rose Depp und The Weeknd in "The Idol". HBO / Sky Deutschland, Montage: TVSpielfilm.de

Meinung | Bei den Filmfestspielen in Cannes hat die neue Serie "The Idol" das Festival-Publikum bereits entsetzt. Jetzt hat sich unser Redakteur Michael Hille die ersten Folgen mit The Weeknd und Lily-Rose Depp angesehen. Die harschen Reaktionen kann er verstehen, hat aber noch ein weiteres Problem.

Inhalt
  1. 1. "The Idol" erinnert nicht von ungefähr früh an Britney Spears
  2. 2. Bei "The Idol" gab es schon hinter den Kulissen Probleme
  3. 3. Statt Feminismus ist "The Idol" brutale Sexploitation
  4. 4. "The Idol" ist abstoßendes Fernsehen – und zudem total langweilig

Schon jetzt dürfte "The Idol" ein felsenfester Anwärter auf den Titel "Schlechteste Serie 2023" sein. Die ersten Kritiken sind absolut verheerend. Bereits bei der Weltpremiere in Cannes häuften sich äußerst brutale Einschätzungen. Jetzt können deutsche Zuschauer bei Sky bzw. WOW selbst einen Blick riskieren. Worum es geht, ist schnell erklärt: Pop-Diva Jocelyn (Lily-Rose Depp) gilt als Sex-Ikone, erleidet aber unter Stress einen Nervenzusammenbruch. Neues Leben bekommt sie eingehaucht, als sie auf den Nachtclubbesitzer Tedros (Abel Tesfaye, alias The Weeknd) trifft.

Tedros ist ein charismatischer, düsterer Geist, dessen mysteriöse Vergangenheit sofort eine Wirkung auf Jocelyn hat. Und so lässt sie sich auf ihn ein – schlittert dabei aber immer mehr in den gefährlichen Kult, den er anführt. So zumindest die grobe Story.

"The Idol" erinnert nicht von ungefähr früh an Britney Spears

Der irische Schriftsteller Oscar Wilde soll mal gesagt haben: "Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht." Das Zitat würde perfekt auf "The Idol" passen. Die ersten zwei Folgen wirken ganz so, als wolle die sexuell wirklich mehr als explizite Serie (schon jetzt berüchtigt: Eine Masturbationssequenz, in der u.a. Eiswürfel als Sexspielzeuge herhalten) die finstersten Seiten des menschlichen Geschlechtsverkehrs erörtern. Es soll, so lässt sich vermuten, um die Beobachtung gehen, wie der intimste mögliche Körperkontakt zweier Menschen zur Ware und zur Waffe eingesetzt werden kann, um Menschen zu ge- und missbrauchen.

Nicht ganz umsonst fällt in der ersten Folge direkt der Name von Britney Spears. Es wirkt tatsächlich so, als habe Lily-Rose Depp ihre überdrehte und vermeintlich unentschlossene Performance am Schicksal der "Oops I Did It Again"-Sängerin orientiert, die bekanntlich im Showgeschäft über Jahrzehnte durch vertragliche Klauseln und gezielte Manipulationen als Opfer kleingehalten wurde, und keine Chance auf Autonomie hatte. "The Idol" will darauf hinaus: Es soll eine Kritik sein gegen all die Stereotypen und Automatismen, in denen junge Frauen in diesem Business ausgebeutet werden. Hauptsächlich, weil man mit ihnen Geld verdienen will, mit ihren Stimmen, mit ihrem Aussehen, mit ihrem Körper.

Bei "The Idol" gab es schon hinter den Kulissen Probleme

Foto: HBO / Sky Deutschland, Lily-Rose Depp wird in "The Idol" nur auf ihren Körper reduziert.

Da also soll es hingehen. Die Welt der Popmusik als moderne Zwangsprostitution im flackernden Licht der Paparazzifotografen und Boulevardblätter. Nicht umsonst ist "The Idol" totschick inszeniert, wie ein MTV-Musikvideo der 90er, nur auf Ecstasy. Irritierende Stroboskopbeleuchtung, mächtige Bassklänge, grelle Neon-Farben – man kennt diesen Stil. Aber nicht bloß von besagten oberflächlichen Videoclips, sondern von einer anderen US-Hitserie: "Euphoria". Und zu der gibt es mehrere Gemeinsamkeiten, natürlich insbesondere, weil sie denselben Macher teilen, Regisseur Sam Levinson.

Der hatte mit "Euphoria" einen Geniestreich gelandet, eine Serie, die es kongenial verstand, die zerbrechlich-fragilen Lebensrealitäten moderner Teenager (in diesem Falle mit dem Zusatz "drogenabhängig") zu illustrieren. Aber schon "Euphoria" war nicht frei von Kritik: Am Set soll er immer wieder auf Nacktszenen, bei denen minderjährige Figuren gezeigt werden, bestanden haben, entgegen den Empfehlungen anderer Mitwirkender. "The Idol" wurde nun auch von ihm inszeniert, wenngleich es anders geplant war. Eigentlich sollte die erfahrene Regisseurin Amy Seimetz ("The Girlfriend Experience") die Serie verantworten. Nachdem aber bereits über 80 Prozent der Multi-Millionen-Dollar-Produktion fertiggestellt waren, stieg sie überraschend aus – und Levinson übernahm nicht bloß, sondern drehte sämtliches Material komplett neu.

Statt Feminismus ist "The Idol" brutale Sexploitation

Foto: HBO / Sky Deutschland, The Weeknd (r.) zeigt Lily-Rose Depp in "The Idol" eine finstere, geheime Welt. Was er nicht zeigt, ist Schauspieltalent.

Seimetz soll das Projekt ursprünglich mal als feministische Serie um den Kampf einer Frau in einer ausbeuterischen Männerwelt angedacht haben. Mit Levinson veränderte sich der Fokus. Nun wurden Sex und Missbrauch expliziter gezeigt, die Rolle von The Weeknd drastisch ausgebaut. Das Ergebnis ist somit eine Serie, die all das tut, was sie ursprünglich kritisieren wollte. Lily-Rose Depp tritt hier kaum noch als Schauspielerin auf, sondern nur als Objekt männlicher Lust, deren Körper so ästhetisch wie möglich inszeniert werden soll. The Weeknd, der einen eigentlich abstoßenden, widerlichen Charakter spielt, steht auffallend oft in "coolen" Posen herum, durch Gegenlicht-Beleuchtung angestrahlt – und erweist sich dabei als Schauspieler auf Laienniveau.

Allein in der ersten 55-minütigen Episode sind bereits Sex und Nacktheit so en masse vorhanden, dass man schlicht von Sexploitation reden muss, was bedeutet, dass "The Idol" immer kurz davorsteht, wirklich pornografisch zu werden. Dabei schießen die Autoren meist weit über das Ziel hinaus. Schon jetzt lässt sich erahnen, dass auch zukünftige Episoden für Skandal-Überschriften in den Medien sorgen werden. Es wirkt fast, als habe Levinson genau das vorgesehen. Sex, Drogen, Rock'n'Roll eben, aber bitte mit Aufrege-Potenzial.

"The Idol" ist abstoßendes Fernsehen – und zudem total langweilig

Damit wirkt die Produktion in allen Belangen vollkommen durchkalkuliert. Ob es so gewesen ist, lässt sich schwer mit Gewissheit sagen, doch es scheint ganz so, als habe man all den Ärger und die harten Online-Reaktionen vergangener Tage bewusst provozieren wollen. Und das macht aus "The Idol" schließlich eine sehr zynische Serie, die all das Elend, von dem sie handelt, nicht beschreibt, sondern eben wirklich ausschlachtet und zur Schau stellt. Die Serie ist kein Statement, sondern bestenfalls eine leere Geste. Kann man sich "The Idol" also immerhin als Hardcore-Trash angucken, vergleichbar mit der legendären Hollywood-Gurke "Striptease"? Leider nicht.

Wenn eine Serie so sehr darum bemüht ist, möglichst kontrovers zu sein und Tabus zu brechen, dann macht das eher einen sehr biederen Eindruck. Bekannte Stars wie Lily-Rose Depp und The Weeknd öffentlich so vergleichsweise nackt zu präsentieren, hätte in einer Zeit lange vor "Basic Instinct", "Showgirls" oder "Nymphomaniac", geschweige denn gar "Game of Thrones" oder "Westworld", vielleicht mal auf ein damaliges Publikum einen Reiz gehabt, ist aber längst kalter Kaffee. "The Idol" ist letztlich ein Desaster in allen Belangen. Als Satire lässt sie sich nicht ernst nehmen, als kontroverse Skandalgeschichte ist sie zu arg darauf ausgelegt und als exploitativer Fast-Porno wird sie auch niemanden kümmern. Schade ist nur, dass in den Nebenrollen eine ganze Reihe talentierter Darsteller (Dan Levy, Eli Roth, Hank Azaria, Anne Heche) in diesem Schund verschwendet wurde.

"The Idol" ist am 5. Juni 2023 bei WOW erschienen.