In der cleveren und doch etwas verkannten Komödie "Melinda und Melinda" von 2004, geschrieben und inszeniert vom genialen Woody Allen, heißt es so schön: "Komödie ist Tragödie plus Zeit." Kein anderer Streamingdienst stellt das so wunderbar unter Beweis wie Disney+, denn dort finden sich gleich mehrere wunderbar humorvolle Serien, die einerseits brüllend komisch sind, aber andererseits auch tieftraurige und nachdenkliche Momente beinhalten. Zu nennen wäre hier natürlich die sensationelle Serie "Reservation Dogs" um indigene Jugendliche in den USA und das australische Kleinod "Mr. Inbetween", in dem ein Auftragsmörder versucht, Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen.
Das reichhaltige Dramedy-Angebot von Disney+, also ein Mix aus Komödie und Drama, ist jetzt um ein neues Highlight größer geworden. Seit dem 1. März 2023 gibt es beim Anbieter nämlich die fantastische US-Serie "Fleishman Is In Trouble" zu sehen, die aus den USA mit gewaltigen Vorschusslorbeeren nach Deutschland kam. Sie alle waren verdient: "Fleishman Is In Trouble" ist eine famos-lustige Serie um die Midlife-Crisis und die modernen Irrwege des Online-Datings. Zugleich ist sie aber auch eine der reifsten Erzählungen um Vergebung, Identität, Liebe und die Frage, wie das Leben wohl verlaufen wäre, hätte man sich anders entschieden. Kurz: "Fleishman Is In Trouble" ist eine meisterhafte Serie, die einen in acht Folgen auf eine Reise mitnimmt, die aufrüttelt. Aber worum geht es eigentlich genau?
Plötzlich sind die Kinder da – und "Fleishman Is In Trouble"
Der Ü40-jährige Toby Fleishman (Jesse Eisenberg) lebt in seiner schicken New Yorker Wohnung. Er ist seit kurzer Zeit wieder geschieden und sucht nach einer Partnerin. Von den neuen Dating-Möglichkeiten fühlt er sich überwältigt. Dank Apps wie Tinder, Bumble und Co. hat er den Eindruck, in einen Strudel voll sexuell attraktiver und verfügbarer Frauen gesogen worden zu sein. Der Sommer kann also kommen – doch plötzlich stehen seine Kinder Hannah (Meara Mahoney Gross) und Solly (Maxim Swinton) vor der Tür. Ihre Mutter, Tobys Exfrau Rachel (Claire Danes), muss sie unangekündigt vorbeigebracht haben.
Und genau hier fangen die Probleme an, denn von Rachel fehlt fortan jede Spur, als sei sie vom Erdboden verschluckt worden. Hat sie ihre Kinder einfach verlassen? Toby versucht, sein Leben als nun spontan alleinerziehender Vater neu zu organisieren und findet Hilfe bei seinen alten Jugendfreunden, der Buchautorin Libby Epstein (Lizzy Caplan) und dem ewigen Junggesellen Seth (Adam Brody), dessen Blick auf Frauen gelinde gesagt altmodisch ausfällt. Nach einiger Zeit beginnt Toby sich aber zu fragen, was aus Rachel geworden ist und wieso sie Reißaus genommen hat.
So viel darf und muss verraten werden: Die Serie hat Rachel nicht umsonst mit Emmy-Preisträgerin Claire Danes ("Homeland") besetzt. Irgendwann bekommen wir ihr Leben zu sehen – und plötzlich sieht bei "Fleishman Is In Trouble" alles ganz anders aus.
Kraftvolles Scheidungsdrama, berührende Studie über Fortysomethings
Es passt ins Bild, dass schon auf dem Cover der gleichnamigen Romanvorlage der Autorin Taffy Brodesser-Akner die Häuser alle falsch herum abgebildet werden, also mit Dach nach unten. Ein Stilmittel, das von der Serienverfilmung schon in Minute 1 nachgeahmt wird. In "Fleishman Is In Trouble" steht die Welt Kopf – und die Serie hat keine Angst, sich selbst mittendrin nochmal neu zu erfinden. Genau das ist es, was den Figuren nicht möglich ist. Ob Toby, Rachel oder Libby, sie alle sind Prototypen von Fortysomethings, Menschen irgendwo über 40, die sich alle dieselbe Frage stellen: "Ist das wirklich schon alles?" Sie fühlen, dass ihnen im Leben etwas fehlt. Sie erinnern sich an Träume und Wünsche aus Jugendjahren, die unerfüllt geblieben sind? Und sie fühlen eine Ohnmacht – denn was tut man, wenn man fest im Job und in der Kindererziehung steckt und eigentlich nochmal neu anfangen möchte?
"Fleishman Is In Trouble" handelt von Menschen, die erfolgreich sind. Toby ist immerhin Facharzt für Innere Medizin, verdient gut, auch wenn seine Tochter sich vor ihrer reichen Freundin für seine Wohnung schämt. Doch blickt er zurück, denkt er daran, wie jung er geheiratet hat und welche Dating-Erfahrungen er verpasst hat. Er fragt sich, ob er bis zum Ende seiner Tage Internist bleiben will und ob es da draußen nicht mehr geben muss für ihn. In den ersten Folgen sieht man dem genial aufspielenden Jesse Eisenberg zu, wie er unglücklich und überfordert versucht herauszufinden, warum er eigentlich so unglücklich und überfordert ist; eine Odyssee, die für uns sehr witzig gerät. Parallel erfahren wir von seiner Ehe mit Rachel. Wie sie sich Hals über Kopf verliebten, sich vervollständigten – und wie dann irgendwann alles in die Brüche ging.
"Fleishman Is In Trouble" erreicht in diesen Momenten die kraftvolle Intensität großer Scheidungsdramen wie "Marriage Story" oder "Szenen einer Ehe". Doch dann gibt es da diesen Twist, diese eine Sache, die man an dieser Stelle spoilern muss.
Spoiler: Was "Fleishman Is In Trouble" so grandios macht
In den ersten vier der acht Folgen sind die Verhältnisse ziemlich klar: Tobys Ex-Frau Rachel war keine gute Mutter und so sehr mit ihrer Karriere als Broadway-Agentin beschäftigt, dass sie sowohl ihre Kinder als auch ihre Ehe vernachlässigte. Aber dann treten immer mehr Brüche im Marmor auf und die Zuschauer bekommen ein anderes Bild. "Fleishman Is In Trouble" verkauft sich die Hälfte der Zeit als Woody-Allen-Komödie, als witzige, ironische und trotzdem nachdenkliche Serie über einen neurotischen New Yorker Singlemann. Doch ein Element irritiert dabei: Obwohl Toby als Mann im Mittelpunkt steht, fungiert die Autorin Libby als Off-Erzählerin – und sie hat gar nicht mal so viele Sympathien mit ihm, sondern urteilt aus dem Blickwinkel einer Frau.
Und das wird später aufgelöst, denn Folge 6 nimmt gänzlich Rachels Blickwinkel ein und zeigt ein ganz anderes Bild der Ehe mit Toby. Es wird zum Bild einer Frau, die ihr Leben lang nur funktionieren musste, die erlebten Missbrauch und unterdrückte Traumata versteckt hat, aus der, sobald der Mann und die Kinder nicht hinsahen, Wut, Schmerz und Tränen ausbrachen. Die Serie zeigt Männer, die sich in ihrer Melancholie und ihrer Sehnsucht selbst gefallen – und Frauen, denen kein Ausbruch, keine Krise, keine Zweifel erlaubt werden. Claire Danes spielt das hervorragend und man wünscht ihr für diese Performance den nächsten Emmy, es wäre bereits ihr vierter und er wäre hochverdient.
Bei all dem ist "Fleishman Is In Trouble" geistreich, witzig und klug. Es gibt wunderbar komische und absurde Dialoge, etwa darüber, warum die Leber das faszinierendste Organ sei, weil sie "nicht nur beschützt, sondern auch vergisst", und wann immer das postmoderne virtuelle Datingleben karikiert wird, liegt man schnell vor Lachen am Boden. Doch im Zentrum stehen Menschen, die sich fragen, was hätte sein können – und deren größte Herausforderung im Leben es ist, zu akzeptieren, dass sie darauf nie eine Antwort bekommen werden.
Man kann für sie nur hoffen, dass sie über all ihren Schmerz und ihre Probleme eines Tages wieder lachen können. Denn: "Komödie ist Tragödie plus Zeit."
Die gesamte Miniserie "Fleishman Is In Trouble" ist bei Disney+ verfügbar.