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"Chernobyl": Die tiefe Bedeutung hinter der Mini-Serie bei Sky

Chernobyl auf Sky
Kein Sündenbock, aber bedeutsamer Teil der Fehlerkette: Anatoli Djatlow (Paul Ritter), Leiter des Versuchs, der zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl führte. Sender

Die Schäden der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 sind bis heute nicht exakt zu beziffern. Die HBO/Sky-Serie "Chernobyl" legt dennoch den Finger in die Wunde und zeigt mit intensiven Bildern und akkurater Recherche, welche fatalen Folgen ein Lügengerüst auslösen kann.

Jeder Mensch hat schonmal von Tschernobyl gehört. Doch welch fatale Fehlerkette hinter dem Super-Gau in der Ukraine steckt, wissen nur Wenige. Die 1986 von der Sowjetunion betriebene Reaktoranlage im Hinterland von Kiew wurde nicht nur in höchstem Maße dilettantisch geführt, die autoritäre Struktur innerhalb der Belegschaft begünstigte auch das kollektive Augenverschließen vor der sich abzeichnenden Katastrophe.

In seiner HBO/Sky-Serie "Chernobyl" deckt Showrunner Craig Mazin diesen Zusammenhang zwischen menschlichem Versagen und strukturellem Missmanagement gnadenlos auf. Fünf Episoden hat er für die unter einer 250 Millionen Dollar schweren Content-Allianz zusammenarbeitenden Sender Sky und HBO produziert. Mit Jared Harris ("Mad Men"), Stellan Skarsgård ("Good Will Hunting") und Emily Watson ("Breaking the Waves") konnte er überzeugende Charakterdarsteller für den historischen Stoff gewinnen. Doch neben all den Trümpfen, die die Serie auszeichnen - die intensiven Bilder sind eine Wucht, der Soundtrack trifft jeden Ton - ist es die Meta-Ebene, die "Chernobyl" zu einer herausragenden Serie macht.

Chernobyl: Lügen sind der Ursprung allen Übels

In einem Gespräch mit dem US-Blatt Cinemablend legt der Drehbuchautor und Produzent die Bedeutung hinter "Chernobyl" offen. "Diejenigen von uns, die die Wahrheit mehr schätzen als Bequemlichkeit oder eine Geschichte, werden kämpfen müssen. Das hat die Miniserie mir beigebracht. Wenn Sie aufhören zu kämpfen, kann ich Ihnen versichern, dass Tschernobyl wieder passiert. Ich meine nicht, dass ein Atomkraftwerk explodiert. Atomkraft ist hier nicht der Bösewicht - es sind die Folgen von systemischen Lügen."

Laut Mazin sei Emily Watsons Charakter in der Serie eine Projektion seiner persönlichen Überzeugung: "Es muss uns freigestellt sein, anderer Meinung zu sein und unsere Ablehnung auszudrücken, auch wenn dies nicht beliebt ist."

Im Prinzip geht es um eine Kultur, die Lügen begünstigt und eine offene und ehrliche Diskussionskultur torpediert. "Ich hatte kein Interesse daran, eine Katastrophen-Serie zu machen. Das ist nicht das, was für die Geschichte von Tschernobyl jetzt relevant oder aktuell ist. Für mich geht es nicht um eine Explosion oder die spezifischen Übel eines Regierungsregimes im Vergleich zu einem anderen. Es geht um die Folgen sehr universeller menschlicher Fehler, um unsere Unfähigkeit, schwierige Wahrheiten zu akzeptieren, und um unsere Tendenz, die uns erzählte Geschichte für bare Münze zu nehmen."

Kritik lobt Gegenwartsbezug von "Chernobyl"

Foto: Sender, Jared Harris spricht in "Chernobyl" die unliebsame Wahrheit aus, zum Glück bleibt er nicht der Einzige
Dass die Zuschauerreaktionen teils sehr drastisch ausfallen, belegt die Effektivität dieser Botschaft. Neben den schockierenden Bildern loben Zuschauer die Detailtreue und die relevante Erzählung hinter "Chernobyl", die ihnen "die Augen geöffnet hätte". Interessant ist dabei auch die Aktualität der Serie. Im Podcast sprachen wir vor einigen Wochen bereits darüber, wieviele Parallelen Mazins Geschichte zur Gegenwart aufweist:



"Wir können darüber streiten, wie wir wollen, aber das Klima interessiert das nicht. Es wird weiterhin tun, was es eben tut. In Tschernobyl war es dem Atomreaktor egal, was die kommunistische Partei wollte. Es hat einfach getan, was es tut. Am Ende geschah das nicht, weil es eine Person mit einer bösen Absicht gab. Das ist märchenhaftes Zeug." Laut dem "Chernobyl"-Showrunner müsse man sich von der Idee verabschieden, dass ein Einzelner für ein solch immenses Desaster verantwortlich ist: "Es ist überhaupt kein Typ, sondern eine Ansammlung menschlicher Schwächen und ein System, bei dem wir uns selbst hinterfragen müssen."

Mit seinem Verweis auf die Klimawandel-Diskussion legt Mazin erneut den Finger in die Wunde. Ähnlich wie er es mit seiner Aufarbeitung der Tschernobyl-Explosion tat. Kritiker weltweit lobten den Macher für den Gegenwartsbezug in "Chernobyl". Inzwischen ist die Serie auch beim Publikum eingeschlagen: In der Top 250 der besten TV-Serien weltweit belegt "Chernobyl" Platz 1. Bei der weitreichenden Bedeutung hinter der Geschichte kann man zum aktuellen Höchstranking konstatieren: Die Serie steht dort völlig zurecht.