Rente mit 76? Nicht mit Wonder Woman! In fortgeschrittenem Alter legt die schlagkräftige Superheldin aus dem DC-Comicuniversum erst jetzt so richtig los. Gespielt mit Verve, Witz und Eleganz von der gerade 32-jährigen Israelin Gal Gadot, geht es in ihrem ersten eigenen Kinoabenteuer ausnahmsweise mal nicht gegen böse deutsche Nazis, sondern gegen böse deutsche Reichsgeneräle im Ersten Weltkrieg, die eine tödliche Wunderwaffe entwickeln lassen, die die ganze Menschheit bedroht. Es geht aber um noch viel mehr, denn die idealistische Amazonenprinzessin vermutet nicht weniger als einen finsteren göttlichen Plan dahinter.

Vor 76 Jahren erfunden: Wonder Woman

Verlag

Wonder Womans Comicdebüt 1941

Ihren ersten Auftritt im Comic hatte die Amazonenprinzessin Wonder Woman 1941 in # 8 der "All-Star Comics"-Hefte. Aufgrund ihrer Popularität bekam die von dem Psychologen Dr. William Moulton Marston erfundene Superheldin bald ihre eigene Comicreihe. 1972 brachte die Feministin Gloria Steinem Wonder Woman als Titelheldin auf die erste Ausgabe ihres neuen Magazins "Ms.", etwas später forderte ein Comiccover sogar: "Wonder Woman for President". Zwischen 1975 und 1979 spielte Lynda Carter (l.) die Hauptrolle in einer "Wonder Woman"-TV-Serie auf ABC. 2011 zog NBC eine bereits produzierte Pilotfolge von "Ally McBeal"-Erfinder (und Michelle-Pfeiffer-Ehemann) David E. Kelley mit Adrianne Palicki zurück, sie wurde nie gezeigt. Gal Gadot debütierte als Wonder Woman im März 2016 im Superheldenactionfilm "Batman v Superman" und wird auch in zwei "Justice League"-Filmen auftauchen.

Die von Göttervater Zeus zum Leben erweckte Halbgöttin landet im Kino also noch weiter in der Vergangenheit als bei ihrem Comicdebüt 1941, dem Jahr des Eintritts der Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg. In "Wonder Woman" lebt Diana Prince, wie sie sich später nennen wird, zunächst mit anderen Amazonen auf der Insel Themyscira, ihre Mutter Hippolyta (Connie Nielsen) ist stolze Königin, ihre Tante Antiope (Robin Wright) kampferprobte Generalin.

Dann taucht plötzlich vor dem Strand ein abstürzendes Flugzeug auf, kurz danach ein deutsches Kriegsschiff. Der US-Pilot Steve Trevor (Chris Pine) ist in geheimer Mission unter deutschen Truppen unterwegs, jetzt wird er von ihnen verfolgt. Diana rettet ihn, und Trevor reist an die Kriegsfront nach Frankreich gemeinsam mit der Prinzessin, die im deutschen General Erich Ludendorff (Danny Huston) die Reinkarnation des Kriegsgotts Ares zu erkennen glaubt. Um es ins Heute zu übersetzen: Wonder Woman fährt ein ganz anderes Rennen als der amerikanische Spion, der fortan mit ihr und einem zusammengewürfelten Haufen Unerschrockener in den Kampf zieht. Doch auch Trevors Mission ist nicht ohne Anspruch: "Den Krieg zu beenden, den Krieg, der alle Kriege beendet!"

Emanzipatorische Göttersaga trifft düsteres Weltkriegsactiondrama - der Film wird es nicht leicht haben bei superheldenverwöhnten Kinofans. Gerade in den Kampfszenen am Inselstrand erinnert der von Patty Jenkins ("Monster") elegant inszenierte Film streckenweise eher an historische Schlachtenspektakel wie "Troja", dann wieder an Soldatendramen wie "Im Westen nichts Neues".

Antike, Nazis, Batman - der Mix macht's

"Wonder Woman" ist ein typischer Auftaktfilm wie "Suicide Squad" oder zuletzt Guy Ritchies so böse gefloppter Ritter-der-Tafelrunde-Reboot "King Arthur". Der in 3D für geschätzte 120 Millionen Dollar produzierteFilm beginnt in der heutigen Zeit und erzählt als Rückblende, wie die wissbegierige, kleine Diana zur jungen Kriegerin und schließlich zur schlagkräftigen Prinzessin wird. Es geht um Moral und Loyalität und die großen Fragen der Menschheit: "Ich wollte immer die Welt retten." Dazu kommt eine etwas aufgesetzte Liebesgeschichte mit Draufgängerspion Chris Pine und einem Bösewicht, der für US-Verhältnisse auch problemlos als Nazi durchgehen würde. An seiner Seite eine teuflischgeniale Wissenschaftlerin, die - und da geht ein bisschen "Das Phantom der Oper" mit dem Film durch - ihr entstelltes Gesicht hinter einer etwas albernen Teilmaske versteckt. Auch Captain America von der Marvel-Konkurrenz begann seinen Einsatz ursprünglich im Zweiten Weltkrieg und wurde später in die Gegenwart geholt, doch in der Beziehung ist Wonder Woman im Grunde Captain America plus Thor: Sie hat den göttlichen Background, ein goldenes Lasso mit Zauberkräften, Schild und Schwert (namens "The Godkiller") und Hammerkräfte, wenn es sein muss.

Wer also Superheldenaction à la "Avengers" erwartet, wird sich gedulden müssen; hier geht's eher in Richtung historischer Kriegs- und Fantasyfilm. Das wird sich ändern, wenn die Helden der Marvel-Konkurrenz DC ab November 2017 als "Justice League" in den gemeinsamen Kampf ziehen. Ein erster Hinweis findet sich am Anfang von "Wonder Woman", als ein gepanzerter Truck mit der Aufschrift Wayne Enterprises durchs Bild fährt, der Firma von Bruce Wayne alias Batman. Der erste "Justice League"-Trailer sieht nicht schlecht aus, bester Gag: The Flash fragt Bruce Wayne: "Welche Superkräfte hast du noch gleich?" Seine Antwort: "Ich bin reich."

Autor: Volker Bleeck