.

Minority Report: Tom Cruise war nie besser als in diesem Sci-Fi-Krimi

Meinung | An guten bis sehr guten Filmen mangelt es Tom Cruise in seiner Karriere wahrlich nicht. Unser Redakteur Michael Hille findet allerdings, dass ein Meisterwerk insbesondere aus der Filmografie des Stars herausragt: "Minority Report" von Steven Spielberg aus dem Jahr 2002.

Tom Cruise hat eine Karriere hingelegt wie kaum ein anderer Filmstar der letzten 40 Jahre. Neben großen Blockbuster-Überhits wie den "Top Gun"-Filmen oder seiner "Mission: Impossible"-Reihe hat er auch abseits des Mainstream-Kinos künstlerisch anspruchsvolle Rollen in komplexen Filmen gespielt. Man denke an das Charakterporträt "Die Farbe des Geldes", die Mediensatire "Tropic Thunder", das biografische Kriegstraumata-Drama "Geboren am 4. Juli" oder den Erotikthriller "Eyes Wide Shut".

Doch einer seiner Filme vereint das Beste aus beiden Welten, ist sowohl großes Unterhaltungskino als auch verkopfter Kunstfilm, liefert spannende und bildgewaltige Action sowie zeitgleich philosophische Reflexionen, die einen noch lange über den Abspann hinaus beschäftigen: "Minority Report". Der dystopische Sci-Fi-Actionthriller ist einer der besten Filme seiner Zeit, besticht durch fantastisch inszenierte Szenen und ein verschachteltes, mehrbödiges Drehbuch – und zudem werden Tom Cruise und seine markantesten Eigenschaften als Schauspieler hier besser eingesetzt als je sonst wo.

"Minority Report" aka "Tom Cruise auf der Flucht"

Foto: 20th Century Fox, Tom Cruise am Abgrund: In "Minority Report" spielt er einen Mann kurz vor der Eskalation.

Wer das Meisterwerk noch nie gesehen hat, hier kurz der Inhalt zusammengefasst: In der Zukunft ist es der Polizei von Washington D.C. dank dreier Mutanten (sogenannter Precogs) gelungen, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem Morde verhindert werden können, bevor sie passieren. Star-Ermittler der Behörde ist John Anderton (Tom Cruise), der dank Unterstützung des Direktors Lamar Burgess (Max von Sydow) dafür gesorgt hat, dass es seit Jahren keinen Mord mehr in der US-Hauptstadt gab. Jetzt soll ein unabhängiger Detective namens Danny Witwer (Colin Farrell) sich von dem "Precrime"-Verfahren überzeugen lassen, ehe es im ganzen Land Anwendung findet.

Doch da bekommen die Ermittler von der Precog-Mutantin Agatha (Samantha Morton) eine neue Vision – und die zeigt, dass John Anderton selbst in den nächsten 36 Stunden einen Mann erschießen wird, der ihm noch völlig fremd ist. Anderton, jetzt desillusioniert vom eigentlichen unfehlbaren System, ergreift die Flucht und wird von Witwer unerbittlich verfolgt. Aber wie beweist man seine Unschuld, wenn man noch gar nichts verbrochen hat? Und kann Anderton sich entscheiden, den zukünftigen Mord nicht zu begehen – oder hat er keine andere Wahl?

Die erschreckende Zukunftsvision von "Minority Report"

Foto: 20th Century Fox, Grandiose Action: Allein für die Verfolgungsjagden will man "Minority Report" mehrfach sehen.

Die grobe Geschichte von "Minority Report" basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Philip K. Dick (der schon die Vorlage für den Klassiker "Blade Runner" lieferte). Was Steven Spielberg, fraglos einer der besten und bedeutendsten Filmemacher aller Zeiten, daraus gemacht hat, ist ein sensationeller und beängstigend prophetischer Krimi. Es geht hier um freier Wille, Vorbestimmung, Determination und Schuld. Kann jemand für etwas bestraft werden, dass er erst noch tun wird? Und wenn wir die Zukunft kennen, können wir sie noch ändern oder ist sie unvermeidlich? 2002 mag diese politische Anklage eines faschistoiden Überwachungssystems noch gezielt den Krieg gegen den Terror nach den Anschlägen vom 11. September im Vorjahr gemeint haben, doch auch über 20 Jahre später haben diese philosophischen Fragen ihre Gültigkeit nicht verloren – zumal viele der Zukunftsszenarien des Films (etwa die gezeigten Touchscreen- oder Hologramm-Technologien) längst Wirklichkeit geworden sind.

Spielberg bedient sich hier bei vielen filmischen Vorbildern: Eine Nähe zu anderen großen Sci-Fi-Filmen wie "Total Recall", "Das fünfte Element" oder eben "Blade Runner" kommen ganz von selbst, doch es geht noch weiter: Die Kerngeschichte eines zu Unrecht verfolgten Mannes erinnert in ihrer Erzählweise an "Der unsichtbare Dritte" von Alfred Hitchcock oder den 90er-Hit "Auf der Flucht" mit Harrison Ford. Für die Film-noir-artige Verschwörung standen überdeutlich der Schwarz-Weiß-Klassiker "Tote schlafen fest" und der nur wenige Jahre vor "Minority Report" erschienene "L.A. Confidential" Pate. Aber "Minority Report" ist mehr als die Summe seiner Teile, und Spielberg hat etwas völlig Eigenständiges erschaffen. Wie tiefgründig er in diese fiktive Zukunft eintaucht, zeigt schon, dass er eine Gruppe von Zukunftsforschern anheuerte, und diese Monate lang eine Reihe von Zukunftsszenarien ausarbeiten ließ, ehe das Drehbuch an diese Ergebnisse angepasst wurde.

Die Stärke des Tom Cruise – und warum er "Minority Report" veredelt

Foto: 20th Century Fox, Poetisch: Agatha und John schauen in verschiedene Richtungen, und blicken doch auf denselben Ausgang der Ereignisse.

Viel lässt sich noch an diesem herrlichen Film loben, alleine die famose Bildgestaltung. Es gibt Actionszenen in "Minority Report", die schäumen mit Kreativität so über, dass man sie mehrfach sehen muss, um alles aufnehmen zu können. Wenn etwa kleine Kamera-Drohnen (die optisch an Roboter-Spinnen erinnern) durch einen Wohnkomplex schleichen und Spielberg dafür die Kamera über einen Querschnitt der Appartements fahren lässt, dann stockt einem vor Bewunderung der Atem. Auch eine lange Verfolgungsjagd per Jetpack und später durch eine voll automatisierte Autowerkstatt sind schlicht virtuos. Doch es ist die Besetzung von Tom Cruise, die diesem Film den letzten Feinschliff gibt.

Cruise hat wie viele Filmstars ein immenses Charisma. Rollen werden automatisch sympathisch, weil sie durch ihn gespielt werden. Doch oft fällt es solchen Stars schwer, Rollen zu spielen, die Zwischentöne haben, die Fehler machen oder eine düstere Seite haben. Der schwierige Spagat ist bei solchen Charakteren: Sie müssen glaubwürdig auch negative Eigenschaften verkörpern, und dürfen trotzdem nicht unsympathisch werden. Diese Gradwanderung gelingt Tom Cruise hier mustergültig. In der Schlüsselszene des Films, die einen Ausraster von Anderton in einem Hotelzimmer zeigt, ist er gar so brillant, dass man sich nur wundern kann, wieso es dafür keine Oscar-Nominierung gab.

Man muss kein Precog sein, um zu wissen: Egal wie gut die restliche Karriere von Tom Cruise noch verlaufen wird, an "Minority Report" kann er nur schwer anknüpfen. Das wäre dann wirklich eine Mission impossible.