Eigentlich sollte Nicolas Cage niemandem mehr beweisen müssen, was er draufhat: Der Neffe des meisterhaften Regisseurs Francis Ford Coppola ("Der Pate", "Apocalypse Now") gewann schließlich 1996 in der Kategorie ‚Bester Hauptdarsteller‘ einen Oscar für seinen Auftritt im Film "Leaving Las Vegas". Und doch ist der Ruf des einstigen Blockbuster-Stars nach katastrophal missglückten Rollen in "Wicker Man" oder als Marvel-Superheld "Ghost Rider" spürbar angekratzt.

Doch Cage ist trotz seiner Fehlgriffe noch zu wahren Großtaten im Stande. Wer das nicht glaubt, der ist bei Netflix an der richtigen Adresse, um sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Der Streaminganbieter hat jetzt nämlich "Pig" im Angebot. Das Drama von 2021 ist nicht nur einer der emotionalsten Filme der jüngeren Vergangenheit, sondern auch die vermutlich beste Schauspielleistung in der Karriere des Nicolas Cage. Aber wovon handelt der Film?

Der alte Mann und das Schwein: Die Geschichte von "Pig"

Seit fünfzehn Jahren lebt der depressive Ex-Koch Robin Feld (Nicolas Cage) in den Wäldern von Oregon, abgeschieden von der Zivilisation. Sein einziger Freund ist sein Haustier, ein rothaariges Trüffelschwein. Mit dem Schwein teilt er sein Essen und sein Schlafzimmer. Gemeinsam auf ihren langen Spaziergängen sammeln sie die wertvollen schwarzen Luxuspilze, die dann einmal in der Woche vom Trüffelhändler Amir (Alex Wolff) abgeholt und gegen Lebensmittel für Robin eingetauscht werden.

Eines Nachts brechen zwei Drogenabhängige bei Robin ein, schlagen ihn nieder und nehmen sein Schwein mit. Dank Amir kann er die Verantwortlichen schnell ausfindig machen, doch haben sie das Schwein längst an einen Käufer in der Hafenstadt Portland verkauft. Wild entschlossen, seinen Freund zurückzubekommen, muss Robin so zum ersten Mal wieder unter Menschen gehen – und sich seiner Vergangenheit stellen.

"John Wick" mit Schwein? Weit gefehlt!

Bei der Inhaltsangabe werden viele Filmfans direkt an "John Wick" denken – denn auch der war anfangs depressiv, hatte nur ein Haustier (seinen kleinen Hund) als Kameraden und auch ihm wird sein Tier genommen, allerdings nicht durch eine Entführung, stattdessen wird der kleine Hund getötet. Doch obwohl die Prämissen sehr ähnlich klingen, könnten die Filme nicht weiter voneinander entfernt sein.

"John Wick" ist ein knallharter Rachefilm, in dem der Titelheld ein pensionierter Auftragsmörder ist, der als Vergeltung für den Tod des Hundes unzählige Gangster brutal ermordet. "Pig" erzählt eine andere Geschichte. Robin Feld will keine Rache und auch keine Gewalt – er will einfach nur sein Schwein zurück.

Ein faszinierendes Meisterwerk im Netflix-Katalog

In den kurzen 92 Minuten des Films offenbart jede weitere Szene mehr über die Hauptfigur, die anfangs noch so mysteriös wirkt. Wie dieser Mann zu dem kaputten Waldschrat wurde, als den wir ihn kennenlernen, ist das Geheimnis der meditativen Reise, und nach und nach wird klar, dass Robin Feld nicht nur sein Schwein sucht, sondern auch Erlösung. Ohne seinen tierischen Freund wäre er sonst gezwungen, sich mit seinem eigenen Seelenheil auseinanderzusetzen – und nichts fürchtet er mehr.

Zu großem Gefühlskino wird "Pig" dank Nicolas Cage. Allen Unkenrufen zum Trotz ist Cage in der richtigen Rolle eine schauspielerische Naturgewalt, nie war das deutlicher als hier. Ohne Grimassen, ohne laute Töne, ohne heftige Gefühlsausbrüche, zeichnet er das Psychogramm eines zutiefst verstörten Menschen. Nur seine traurigen, gequälten Augen hätten eigentlich genügen sollen, um ihn für jeden größeren Schauspielpreis zu empfehlen. Es ist eine Schande, dass er und der Film als Ganzes übersehen wurden.

In Deutschland lief das Spielfilmdebüt des talentierten Regisseurs Michael Sarnoski gar nur auf Festivals im Kino, erschien im Dezember 2021 dann eher heimlich auf DVD und Blu-ray. Kurze Zeit später startete der Film auch bei Amazon Prime Video. Umso schöner, dass nun auch alle Nutzer von Netflix in den Genuss dieses ruhigen, melancholischen und wunderschönen Films kommen, dessen Botschaft heute drängender denn je ist: Für Traurigkeit und Trauer ist unser aller Leben viel zu kurz.