Nicht nur Disney, Pixar, Marvel und Star Wars finden sich bei Disney+: Der Streamingdienst hat unter dem Label STAR ein großes Angebot an herausragenden Filmen und Serien, die teils gar nicht selbst vom Unternehmen produziert wurden, sondern u. a. von 20th Century Fox stammen, die erst seit einem Aufkauf vor wenigen Jahren zur Disney-Familie gehören. So auch ein Animationsfilm, der jetzt seinen Weg zu Disney+ gefunden hat – und schon bei seinem Kinostart im Jahr 2009 die Konkurrenz des Micky-Maus-Konzerns alt aussehen ließ.
Dabei hat er nicht die hochglänzende Computeroptik, die Disney und Pixar in Filmen wie "Die Eiskönigin", "Alles steht Kopf" oder jüngst "Encanto" immer weiter perfektionieren, sondern ist im altmodischen Stop-Motion-Stil entstanden, den Filmfans beispielsweise aus "Shaun das Schaf" oder "Wallace & Gromit" kennen: Die Rede ist vom phänomenalen "Der fantastische Mr. Fox", der in Deutschland nicht jedem ein Begriff sein dürfte – vermutlich auch, weil die Vorlage hierzulande weniger bekannt ist als in Großbritannien und den USA.
Der fantastische Mr. Fox: Nach einer Vorlage von Roald Dahl
Gleich die erste Szene zeigt das Buch, auf dem der gleichnamige Film beruht. Geschrieben wurde es von Roald Dahl (auf dessen Werken basieren auch die Filme "Charlie und die Schokoladenfabrik" und "Matilda"), der Film nimmt sich aber enorme Freiheiten mit der Vorlage. Die Geschichte ist dennoch grob dieselbe: Der schlaue Fuchs im Cordanzug Mr. Fox stiehlt von den Großbauern Boggis, Bean und Bunce regelmäßig Gefieder, bis die sich wehren: Mit Bulldozern greifen sie den Zweibeiner an und bringen damit auch viele andere Tiere in Gefahr. Die hegen nun nicht nur einen Groll gegen Mr. Fox, sondern sind auch auf seine Hilfe angewiesen, um die Großbauern zu überlisten.
Doch natürlich wäre der fantastische Mr. Fox nicht der fantastische Mr. Fox, wenn er nicht einen Plan hätte: Er will in bester "Ocean's Eleven"-Tradition ein Team zusammenstellen, um in die Fabriken der Bauern einzubrechen und dort sämtliche Lebensmittel zu stehlen. Ein gefährliches Vorhaben, bei dem sich ihm das Opossum Kylie Sven, der Dachs Badger, sein eigener Fuchssohn Ash und viele weitere tierische Gefährten anschließen …
Ein Geniestück dank des Regisseurs: Wes Anderson
Es ist eine große Freude zu sehen, wie Meister-Regisseur Wes Anderson sich im Animationsfilmsegment austobt. Seinen schrägen Stil, den Filmfans von gefeierten Meisterwerken wie "Grand Budapest Hotel" oder "Moonrise Kingdom" kennen, behält er bei – und so ist "Der fantastische Mr. Fox" zwar kindertauglich, aber nicht nur ein Kinderfilm. Wenn Mr. Fox, obwohl er seiner Frau Felicity etwas anderes versprochen hat, sich wieder dazu hinreißen lässt, auf den Bauernhöfen Hühner zu jagen und zu töten oder die Bauern später mit Gewehren seinen Schwanz abschießen, ist das durchaus schwarzhumorig und verschweigt die Grausamkeit der Taten nicht.
Das passt zur Vorlage: Als Kinderbuch-Autor war Roald Dahl der Ansicht, man dürfe Kindern nicht die Schrecken und Brutalitäten der Welt vorenthalten. Dennoch ist "Der fantastische Mr. Fox" ab 6 Jahren freigegeben und Wes Anderson achtet darauf, die Figuren ernst zu nehmen und dennoch ihre Putzigkeit zu betonen. Der Stop-Motion-Look sieht fantastisch aus. Den ganzen Film durchweht eine bräunliche Herbststimmung, der sich niemand entziehen kann. Die Tierreiche sind fantasievoll gestaltet, der Detailgrad ist faszinierend hoch. Aufwendig, aber süß; grafisch, aber zurückhaltend, so lässt sich die Regie beschreiben.
Kinderfilm mit Köpfchen: Kluger Film zu cleverer Figur
An einem einfachen Genre-Mix ist Anderson nicht interessiert. Er erzählt eine erwachsene Geschichte, die dennoch alle Altersklassen abholen kann: Mr. Fox ist genau einer jener verschrobenen Protagonisten, wie er sie immer zaubert. Liebenswert, und trotzdem jämmerlich. Der Fuchs steckt in einer echten Midlife-Crisis: Das ruhige Leben als Familienmensch und Vater schmeckt ihm nicht, er sucht das schnelle Abenteuer. Als ihm der Schwanz abgeschossen wird, heißt es, der würde nie mehr nachwachsen. Die Metapher ist wohl für Niemanden schwer zu verstehen …
Toll ist, wie Anderson allen Figuren kleine Macken abgewinnt, die er zu Dahls dünner Vorlage dazu erfunden hat. Das Opossum Kylie Sven ist gar gänzlich hinzugedichtet – und passt zwar nicht in die britische Tierwelt der Vorlage, dafür aber in Andersons bunten Strauß an coolen Ideen. Selbstredend behält er auch die Botschaft von Roald Dahl bei: Der Klassenkampf zwischen der bösen Industrie (den Bauern) und der Arbeiterklasse (den Tieren) wird jungen Zuschauern nicht auffallen, addiert aber eine schöne Zusatzebene für Eltern dazu.
Lesetipp
Was macht den fantastischen Mr. Fox so fantastisch?
Zu einem Muss für Animationsfilmfans wird "Der fantastische Mr. Fox" durch seine einmalige Stimmung und seine Unverwechselbarkeit. In einem Animationsmarkt, der von Disney und Pixar mit einer stets ähnlichen Aufmachung dominiert wird, ist Wes Anderson der richtige für eine willkommene Abwechslung. Er bringt Frische: einen eigenen Humor, eine eigene Optik, ein eigenes Tempo. Action und Drama bietet er in den 88 Minuten in gleicher Fülle wie die Konkurrenz – nur so hat man es noch nicht zuvor gesehen. Es mutet daher beinahe ulkig an, dass ausgerechnet dieser Film nun auf dem Streamingdienst des Disney-Konzerns verfügbar ist. Wer den übrigens nicht besitzt, kann den Film auch bei Joyn PLUS+ anschauen.
Ohne den künstlerischen Erfolg von "Der fantastische Mr. Fox", der 2010 für einen Oscar als ‚Bester animierter Spielfilm‘ nominiert wurde, hätte es die "Shaun das Schaf"-Filme wohl nicht gegeben. Anderson selbst machte einige Jahre später einen weiteren Stop-Motion-Film: "Isle of Dogs – Ataris Reise". Aber an diesen, seinen wohl besten Film, konnte er damit nicht mehr anknüpfen. Schade nur, dass Roald Dahl nie eine Fortsetzung zum Buch schrieb. Ein zweiter Teil wäre für Kinogänger wie die Hühner für Mr. Fox: Ein gefundenes Fressen.
Schlussanmerkung: Wer kein Problem damit hat, Filme im englischen Original zu schauen, sollte das hier unbedingt machen. Alle Charaktere werden von Weltstars gesprochen. Zu hören sind Ikonen wie George Clooney, Meryl Streep, Bill Murray, Willem Dafoe, Adrien Brody, Michael Gambon, Owen Wilson und Jason Schwartzman.