Jetzt wird Shaun animiert!
Einen Einblick in die Puppenherstellung habe ich jetzt bekommen, doch die Figürchen müssen ja noch zum Leben erweckt werden. Und dazu treffe ich Carmen Mason, die seit sechs Jahren bei Aardman ist und mich mit Shaun durch den Animationsprozess führen wird. Der Titelheld wartet schon vor einer Supermarkt-Kulisse auf mich und ist bereit für Action! Die scheinbar simple Aufgabe lautet: Bringe Shaun zum Winken. Der Star wurde bereits in Stellung gebracht, eine Kamera ist auf ihn gerichtet und zu Beginn wird ein erstes Foto geschossen. Mason ist übrigens ausschließlich für die Animation zuständig – für die Positionierung der Kamera und des Monitors gibt es extra eine eigene Abteilung.
Um nun die Illusion einer flüssigen Bewegung zu erzeugen, soll ich Shauns Arm minimal bewegen. Vorsichtig lege ich zwei Finger um seinen Arm, übe etwas Druck aus und – das war's? Ich habe ihn doch nur leicht angetippt, so denke ich, aber Masons geübtem Blick nach hat das schon vollkommen ausgereicht. Tatsächlich sind die Figuren so designt, dass man wirklich die kleinsten Veränderungen an ihnen vornehmen kann, die für das bloße Auge kaum zu erkennen sind. Schnell husche ich aus dem Bild, damit Mason ein Foto von Shaun machen kann. Die Kamera ist dabei direkt mit einem Monitor verbunden, auf dem die Aufnahmen sofort begutachtet werden und die nacheinander abgespielt werden können. Auf die Weise kann ich auf der Stelle sehen, ob es funktioniert hat und die erste kleine Bewegung einen guten Eindruck macht.
Entfernung ist gleich Zeit
Klasse, das sieht doch schon mal sehr gut aus! Jetzt gilt es, den Vorgang genau so mehrere Male zu wiederholen, bis die Bewegung komplett ist. Dabei muss ich behutsam vorgehen: Bei meinem nächsten Schritt hebe ich Shauns Unterarm versehentlich zu hoch an und muss den Fehler korrigieren. "Du hast das Zeug zum Animator und sofort bemerkt, was schiefgelaufen ist. Ich muss ja gar nichts mehr sagen", sagt Mason und für einen kurzen Moment denke ich schon über eine zweite Karriere bei Aardman nach. Doch es ist in Wahrheit ein langwieriger Prozess, der einem viel Geduld abverlangt und der früher noch viel mehr Zeit in Anspruch nahm.
"Vor der Digitalisierung haben wir mit analogen Filmkameras die Fotos gemacht. Wir mussten bis zu einen ganzen Tag warten, bis der Film entwickelt wurde, um einen Eindruck unserer Arbeit zu bekommen. Wenn dann etwas nicht passte, mussten wir es eben noch einmal machen", verrät Mason. Unterdessen lege ich wieder meine Hand an Shaun und soll versuchen, die Bewegung zu "verlangsamen": "In der Stop-Motion-Animation ist Entfernung gleichbedeutend mit Zeit", erklärt Mason. "Wenn sich etwas nur ein klein wenig bewegt, wird es später langsamer aussehen."
Nach vielen weiteren Schritten bin ich fertig und Mason spielt nun alle einzelnen Aufnahmen ab: Shaun winkt!
Ich pikse Shaun ins Auge
Natürlich handelt es sich hierbei um ein ganz simples Beispiel, aber ich bekomme einen guten Eindruck davon, wie schwierig die Arbeit tagein, tagaus sein muss. Schließlich habe ich nur einen Arm bewegt – die Vorstellung, eine große Actionszene mit unzähligen beweglichen Elementen überall im Bild zu inszenieren, ist wirklich haarsträubend! Und auch bei Szenen mit 15 oder mehr Figuren, die alle gleichzeitig bewegt werden wollen, arbeitet in der Regel nur eine einzige Person daran.
Wie ich den Körper in Bewegung setze, habe ich jetzt gelernt, aber wie werden zum Beispiel die Augen animiert? Ganz einfach: In den Augen sind winzige Löcher, in die das passende Werkzeug gesteckt werden kann. So kann man diese bewegen und verschiedene Emotionen ausdrücken. Das will ich natürlich auch ausprobieren und mache aus Shaun ein ganz besonders durchgeknalltes Schaf:
Keine Spezialisten
Ob bei verschiedenen Figuren auch mal eine im Hintergrund vergessen werden kann? Das kommt durchaus vor, erzählt mir Mason, und deswegen macht sie sich überall Notizen. Was aber auch vorkommt ist, dass die Animatoren einfach Gegenstände am Set liegenlassen – Mason selbst hat ihre Wasserflasche mal versehentlich in einer hinteren Ecke des Supermarktes geparkt und nicht mehr daran gedacht. Für gewöhnlich bleiben aber Werkzeuge unbeabsichtigt im Bild liegen und dann ist es an den Spezialisten der Post-Produktion, sie digital zu entfernen.
Was ist wohl die größte Herausforderung beim Animieren? Es sind jedenfalls nicht die großen Actionszenen, wie Mason verrät, denn da passieren so viele Dinge im Bild, da kommt man auch mit einigen Fehlern davon. Es sind die ruhigen und emotionalen Momente, die ganz besonders schwer sind, da man sich vorher lange und genaue Gedanken darüber machen muss, was man dem Publikum mitteilen möchte – dass es bei "Shaun das Schaf" keine Dialoge gibt, macht die Sache nur noch schwieriger.
Echte Spezialisten für bestimmte Szenen gibt es aber nicht. Zwar können sich Animatoren durchaus einen bestimmten Ruf erarbeiten – manche sind zum Beispiel ganz besonders gut mit vielen Figuren gleichzeitig -, aber niemand würde nur für ganz spezifische Bereiche engagiert werden. Jeder in dem Beruf versucht, alles zu beherrschen, doch jeder entwickelt seine eigenen Stärken und Schwächen.
Wir sehen uns im Kino, Shaun!
Ich habe die Sets gesehen, Interviews geführt, Lu-La geknetet und Shaun bewegt und so langsam neigt sich mein Besuch bei Aardman dem Ende zu. Eine Sache darf ich allerdings auch noch ausprobieren: In einem kleinen Studio bekomme ich einen Helm aufgesetzt. Dann soll ich mich vor eine Kamera stellen, die Arme heben – und auf einmal werde ich von Leuten mit Besen gekitzelt! Auch solche Bewegtaufnahmen sind gang und gäbe im Produktionsprozess und sollen allen eine Vorstellung davon liefern, wie die entsprechende Szene am Ende aussehen soll.
Jetzt heißt es für mich, Abschied zu nehmen und die Heimreise anzutreten. Während ich noch über die vielen Eindrücke des Tages sinniere, passiere ich wieder die malerische Landschaft der Umgebung Bristols, vorbei an Wiesen, Weideflächen, Kühen – und Schafen. In Gedanken stelle ich mir vor, dass eines davon der echte Shaun ist und winke ihm im Geiste zu: Bis bald! Wir sehen uns um Kino!
"Shaun das Schaf 2: UFO-Alarm" erscheint am 26. September 2019 in deutschen Kinos.