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Kleiner Abriss der Geschichte des französischen Kriminal- und Gangsterfilms

Der französische Kriminalfilm

Auf Frankreichs Leinwänden tummeln sich seit jeher galante Gauner und kühle Killer - zur Freude der Zuschauer.

Ein kleiner Abriss der Geschichte des französischen Kriminal- und Gangsterfilms
"Fantômas" von Louis Feuillade (1913)
"Le polar", der Krimi, findet nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln statt. Das Genre Kriminalfilm hat in Frankreich eine große Tradition und genießt außerordentliche Popularität. Kaum ein Regisseur, der sich nicht daran versucht hätte. Erstaunlich viele Filme beruhen auf einer literarischen Vorlage.

Schon als das Kino noch in den Kinderschuhen steckt, erobern Gauner und ihre guten Gegenspieler die Leinwand. 1908 nimmt Victorien Jasset amerikanische Pulp Fiction als Vorlage für seine "Abenteuer des Nick Carter". Zeitungsgeschichten und Sammelhefte liefern den Rahmen für seine Serie über den smarten Kriminellen Zigomar. Louis Feuillade dreht seine berühmten "Fantômas"-Filme ebenfalls nach Seriengeschichten.

Produzentengerangel um Erfolgsrezepte gibt es schon jetzt: Pathé und Gaumont liefern sich einen erbitterten Konkurrenzkampf, auch und gerade in Sachen Kriminalstorys. In diese Zeit fallen unter anderem die ersten Adaptionen der Romane von Gaston Leroux mit dem Reporter "Rouletabille" oder die "Vampire" des unermüdlichen Louis Feuillade.

Mit der Zeit und vor allem mit der Ankunft des Tonfilms werden die kriminellen Intrigen komplexer...
Verklärte Unterwelt
Jean Gabin ist "Pépé le Moko" (1936)
Anfang der 30er Jahre erscheinen die ersten Maigret-Romane von Georges Simenon, die sehr schnell fürs Kino umgesetzt werden. Jean Tarride dreht "Le chien jaune" ("Maigret und der gelbe Hund"), Jean Renoir verfilmt "La nuit du carrefour" ("Maigrets Nacht an der Kreuzung"), mit seinem Bruder in der Rolle des Maigret, und Julien Duvivier nimmt sich "La tête d'un homme" ("Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes") vor.

Tröpfelnder Regen, schummrige Bars und zwielichtige Gestalten - die romantische Verklärung der Unterwelt trifft den Zeitgeschmack. Besonders die Filme der späten 30er-Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschreiben sich dem so genannten Poetischen Realismus. Gangster werden gern als antibürgerliche Helden dargestellt, die zumeist an der Liebe scheitern und ein tragisches Schicksal erleiden.

In Julien Duviviers "Pépé le Moko - Im Dunkel von Algier" spielt Jean Gabin ein gewieftes Bandenoberhaupt, der erst in seiner Liebe zu einer französischen Touristin verwundbar wird. In Marcel Carnés "Der Tag bricht an" wiederum wird der Held - wieder Gabin - erst durch eine unglückliche Liebe zum Täter. Das Schicksal erfüllt sich nur im tragischen Ende.


Unter deutscher Besatzung verlassen nur wenige Filmschaffende das Land. Wer bleibt, hat nicht unbedingt zu leiden: ...
Verbrechen während der Besetzungszeit
Henri Decoins "Die Unbekannten im Haus" (1942)
Die deutsche Produktionsfirma Continental, die sich in Paris niedergelassen hat, nimmt es mit den strengen Vorgaben aus Berlin nicht allzu genau und betreibt eine für die französische Filmbranche zum Teil recht angenehme Förderpolitik. Auch wenn die wenigsten Regisseure, Autoren und Schauspieler Kollaborateure im engeren Sinne sind, passen sich die meisten an - zumal nicht jeder eine lupenreine Gesinnung hat. Georges Simenon zum Beispiel ist zu diesem Zeitpunkt erklärter Antisemit. Den Besatzern verkauft er das Verfilmungsrecht an sämtlichen Maigrets.

Die Filme, die in der Besatzungszeit entstehen, spiegeln vielfach die herrschende pessimistische Grundstimmung wider. Unter dem Druck der Zensur weichen die Regisseure auf atmosphärische Filme ohne offensichtlichen Bezug zur Aktualität aus, was dem Genre des Kriminalfilms zugute kommt.

Eines der besten und bekanntesten Beispiele ist Henri Decoins "Die Unbekannten im Haus" ("Les inconnus dans la maison") von 1942, nach einem Roman von Simenon. Nach der Befreiung 1944 wird "Die Unbekannten im Haus" zunächst verboten, denn einen propagandistischen Unterton kann der Film nicht leugnen. Das Werk vieler Filmemacher wird jetzt argwöhnisch durchleuchtet. Auch dem Drehbuchautoren und Regisseur Henri-Georges Clouzot, der 1942 "Der Mörder wohnt in Nr. 21" fertiggestellt hat, wird ein - allerdings bald wieder aufgehobenes - Arbeitsverbot erteilt.
Nestor Burma und der Neuanfang
Bernard Blier steht "Unter falschem Verdacht"... (1947)
Nach dem Krieg nehmen nur wenige Regisseure die Zeit der deutschen Besatzung als Rahmen für ihre Filme; wie überall scheint man schnell vergessen zu wollen. Produziert werden vor allem konventionelle Kriminalfilme ...

Ganz oben in der Top Ten der Adaptionen stehen weiterhin die Belgier Georges Simenon und Stanislas-André Steeman, sowie Pierre Véry. Der Autor Léo Malet beginnt mit "120, Rue de la gare" eine Romanserie, in deren Mittelpunkt der skurril-arrogante Privatdetektiv Nestor Burma steht und die noch heute als Vorlage für eine erfolgreiche französische Fernsehserie dient. 1945 macht Jacques Daniel-Norman aus der Adaptation von "120, Rue de la gare" einen filmischen Leckerbissen.

1947 wird "Unter falschem Verdacht" zum pessimistisch-düsteren Meilenstein des französischen Kriminalfilms und zum Neuanfang für seinen Regisseur Henri-Georges Clouzot, der darin das illusionslose Porträt einer korrupten Gesellschaft entwirft. Die meisten Filme dieser Zeit erreichen ein gutes technisches und künstlerisches Niveau. Langsam prägt sich der Begriff des "cinéma de la qualité" ("Qualitätskino"), der später zum Schimpfwort werden soll.

Auch in den 50er-Jahren adaptiert der Kriminalfilm französische Romane. Häufig werden in diesen Filmen alternde Gangster mit einer neuen Generation von brutaleren, skrupelloseren Kriminellen konfrontiert, und die Beschreibung das Gaunermilieus gerät zur Gesellschaftsstudie. Beispiele sind Jacques Beckers "Wenn es Nacht wird in Paris", Melvilles "Drei Uhr nachts" oder "Rififi" von Jules Dassin.
Série Noir
Alain Delon ist "Der eiskalte Killer" (1967)
Von 1945 an bringt der Verlag Gallimard eine neue Krimiserie heraus: Die "Série Noire", die bis heute existiert, erlangt bald Kultstatus.

Die ersten Titel sind Übersetzungen aus dem Amerikanischen, später kommen französische Titel hinzu. Für das Kino sind die Romane und Helden der Série Noire eine neue Quelle der Inspiration. Von Mitte der 50er Jahre an sieht man sie immer häufiger auf der Leinwand: lässige, sportliche und humorvolle Privatdetektive mit einer Vorliebe für Whisky und schöne Frauen. Die bekannten Filme mit Eddie Constantin als Lemmy Caution bewegen sich allerdings bereits an der Grenze zur Parodie.

Die Série Noire behält auch in den 60er-Jahren ihre Bedeutung für das Kino, hinzu kommt die Kriminalkomödie. In Sachen Starkult ist es eine glanzvolle Zeit. Die gefeierten Leinwandhelden sind der alte Hase Jean Gabin, Lino Ventura und, von der neuen Garde, Jean-Paul Belmondo und Alain Delon. Viele ihrer Rollen sind Variationen eines immer gleichen Typs.

Parallel dazu entwickelt sich etwas gänzlich Neues ...
Nouvelle-Vague-Krimis
Truffauts "Schießen Sie auf den Pianisten" (1960)
Auch wenn die "Nouvelle Vague" eine besondere Bewegung in der französischen Kinolandschaft war, dienten auch hier amerikanische Krimis als Quelle der Inspiration. Wichtige Frühwerke sind Claude Chabrols "Schrei, wenn du kannst", Georges Franjus "Augen ohne Gesicht" über einen besessenen plastischen Chirurgen und François Truffauts "Schießen Sie auf den Pianisten".

Das vielleicht kompromissloseste Manifest der "Nouvelle Vague" ist "Außer Atem" von 1960: keine Regel, die Regisseur Jean-Luc Godard nicht verletzt. Er soll weltweit einer der bekanntesten französischen Filmemacher bleiben - obwohl seine Filme verschwindend geringe Zuschauerzahlen vorweisen können, denn Verständlichkeit ist nicht gerade Godards Hauptsorge.
Zunehmende Politisierung
Belmondo gegen die "Angst über der Stadt" (1975)
Nachdem die vorangegangenen Jahrzehnte in vieler Hinsicht fruchtbar für den Facettenreichtum der Gangster- bzw. Kriminalfilme waren, scheinen die 70er-Jahre ärmer an originellen Stoffen ...

Im Gefolge des "Neo-Polars", des Kriminalromans neuer Generation, ist auch das Kino von zunehmender Politisierung geprägt. Nach dem Mai '68 beziehen viele Filme Position gegen soziale Ungerechtigkeit, Rassismus oder Korruption. Doch auch leichtere amerikanische Krimis werden weiter umgesetzt, und natürlich entstehen auch in den 70ern einige echte schwarze Perlen, wie Verneuils "Angst über der Stadt" mit Jean-Paul Belmondo. Die Stars reiten weiter auf ihrer Erfolgswelle.

Im Jahr 1981 trifft "Diva" von Jean-Jacques Beneix das Lebensgefühl einer Generation und avanciert zum Kultfilm. Generell verwässern sich in den 80ern die Genres; Krimis sind zugleich Psychodramen, Sozialfresken oder Politthriller. Nur wenige echte Highlights finden sich unter den vielen Filmen.
Neue Helden
In den 90er Jahren - und bis heute - baut der Kriminalfilm seine Popularität weiter aus. Einige Filme sind extrem erfolgreich, und es gibt immer wieder kleine Kostbarkeiten. Gewandelt hat sich das Genre allerdings - vielleicht bedingt durch ein immer komplexeres Weltbild.

Gauner und Ganoven? Klingt ein bisschen harmlos. Die Helden der neuen Filme sind sympathische Profikiller wie Luc Bessons "Nikita" oder "Léon", sind zerstreute Zufallsmörderinnen wie in "Serial Lover" von James Huth oder verrückte Taxifahrer in unfreiwilliger Mission wie in Gérard Pirès' "Taxi". Und Polizeiinspektoren sowie Privatdetektive sind mindestens einem Serienkiller auf der Spur, wie im neuen Kassowitz "Die purpurnen Flüsse".