Unter Filmliebhabern hat die Horrorreihe "Evil Dead" einen ganz besonderen Status. Das Original "Tanz der Teufel" von 1981 entwickelte sich als Spartenfilm in Autokinos zum Kult – nicht zuletzt, da der damals noch unbekannte Filmemacher Sam Raimi den Schocker über ein paar Teenies in einer Blockhütte im Wald, die durch ein verfluchtes Buch von Dämonen heimgesucht werden, nicht nur für damalige Verhältnisse sehr blutig inszenierte, sondern auch einen spürbaren pechschwarzen Humor einfließen ließ. In den Fortsetzungen drehte er diesen noch weiter auf: "Tanz der Teufel 2" mixt Splatterkino mit Slapstick-Humor, der dritte Teil "Armee der Finsternis" ließ das Horrorgenre dann hinter sich und wurde zu einem überdreht-albernen, aber glorreichen Fantasyepos.

Wer in einen "Evil Dead"-Film geht, der weiß nicht, was ihn erwartet. Nach Sam Raimis Trilogie kam 2013 eine Neuverfilmung des Originals ins Kino, und diese dürfte bis heute einer der brutalsten Filme aller Zeiten sein, der in Deutschland nur extrem stark zensiert veröffentlicht wurde. "Evil Dead" kann also alles sein: verstörender Horror, brutaler Splatter, Slapstick-Geblödel oder Grenzen sprengendes Ekelkino. In welche Kategorie aber fällt der fünfte und neueste Teil der Reihe "Evil Dead Rise"? Und: Sollte man sich den Film ansehen?

Für Neueinsteiger: "Evil Dead Rise" schockt ohne Vorkenntnisse

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Alyssa Sutherland holt aus der Rolle der besessenen Mutter alles raus.

Es mag sich bei "Evil Dead Rise" um den fünften Teil einer Kultreihe handeln, Vorkenntnisse sind aber keine nötig. Es tauchen keine Figuren aus den Vorgängern auf und von wenigen verbalen Anspielungen auf frühere Kultmomente abgesehen steht der Film des noch jungen Filmemachers Lee Cronin ("The Hole in the Ground") auf eigenen Beinen. Der Plot ist schnell erklärt: In einem baufälligen Gebäude in Los Angeles lebt die alleinerziehende Ellie ("Vikings"-Star Alyssa Sutherland) mit ihren Kindern Danny (Morgan Davies), Bridget (Gabrielle Echols) und Kassie (Nell Fisher) in einer kleinen Mietwohnung.

Durch ein Erdbeben öffnet sich unter dem Gebäude ein Erdloch und die Kinder stoßen zufällig darin auf alte Schallplatten und das sogenannte "Buch der Toten". Kurz darauf wird ein Dämon heraufbeschworen, der von Ellie Besitz ergreift und sie dazu bringt, ihre eigenen Kinder zu attackieren. Zum Glück ist gerade Ellies Schwester, die schwangere Beth (Lily Sullivan) zu Besuch, die jetzt versucht, die Kinder mit aller Macht zu beschützen. Doch der Dämon treibt Ellie zu immer krasseren und gewalttätigeren Aktionen. Und wer andere "Evil Dead"-Filme bereits kennt, der weiß: In allerletzter Not hilft nur noch der Griff zur Kettensäge.

"Evil Dead Rise" beweist: So kreativ kann Horror sein

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Das Blut tropft bei "Evil Dead Rise" schon aus der Leinwand raus, so extrem ist der Film gestaltet.

Statt einer Blockhütte im Wald ist es also dieses Mal ein schäbiges Appartement, in dem die Teufel tanzen. Ansonsten bleibt "Evil Dead Rise" seinen Vorgängern treu. Schnell kommt Lee Cronin auf den Punkt und beginnt den Dämonenbudenzauber – zur Freude aller Horrorfans, denn Alyssa Sutherland ist in der Gestalt der besessenen Mutter, die ihren eigenen Kindern ans Leder will, eine Sensation. Cronin inszeniert sie effektiv als Urgewalt des Bösen. Generell erweist sich der Ire als perfekter Nachfolger von Sam Raimi: Mit großer Freude am Morbiden und am Entsetzen seines Publikums baut Cronin in dem vergleichsweise engen Schauplatz Szenen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Verletzt und getötet wird im Verlauf der 97 Minuten nicht nur mit der Kettensäge und der Schrotflinte, die zu "Evil Dead" einfach dazu gehören, sondern auch unter anderem mit einer Tätowiernadel, Glasscherben, einem Industriehäcksler und – besonders fies – einer Küchenreibe. Schon jetzt vielleicht der eindrucksvollste Kino-Moment 2023 dürfte allerdings eine atemberaubende Szene sein, die auf dem Flur des Gebäudes spielt und ausschließlich durch das Guckloch einer Wohnungstür gefilmt wird. So kreativ wie in "Evil Dead Rise" hat lange kein Horrorfilm mehr seine Kamera eingesetzt.

"Evil Dead Rise" ignoriert ungeschriebenes Horror-Gesetz

Wer aber "nur" Lust auf einen Film voller toller Schockmomente hat, sollte sich das mit der Kinokarte für "Evil Dead Rise" nochmal überlegen. Die Reihe zeichnete sich stets dafür aus, nicht einfach nur blutig zu sein, sondern auch Tabus zu brechen und Grenzen zu überschreiten. Der neue Teil erreicht das gleich mehrfach, was bedeutet: In "Evil Dead Rise" kommt es zu teils unerträglich explizit gezeigten Gewaltspitzen wie brutalste Verstümmelungen – und diese richten sich nahezu ausschließlich gegen eine schwangere Frau und minderjährige Kinder; also genau die Personengruppen, die in Horrorfilmen sonst als einzige meist verschont werden.

Sicher: Horrorfilme der extremeren Sorte zeichnen sich durch ihre lustvolle Zelebrierung des körperlichen Grauens aus, doch "Evil Dead Rise" überspannt mehrfach gezielt und rücksichtslos die Grenzen des guten Geschmacks. Man kann das angewidert zur Kenntnis nehmen und den Film dafür verurteilen. Aber die Effektivität und Kompromisslosigkeit, mit der Cronin vorgeht, muss auch bewundert werden. Zudem leistet er mehr als pure Provokation: Er zeigt auf, dass es selbst im Horror-Genre, dessen Absicht es natürlich sein soll, Unbehagen zu erzeugen, mittlerweile Komfort-Zonen gibt, in denen Horrorfilm-Vielgucker es sich gemütlich machen können – und dann bricht er diese gewalttätig auf.

Albtraum ohne Erwachen: "Evil Dead Rise" lässt einen nicht los

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"Mami hat euch lieb" – Aber nicht mehr lange: "Evil Dead Rise" richtet seine Gewalt teils explizit gegen Kinder. Ein Tabubruch, selbst heute noch.

Dass es hier also einer Familie an den Kragen geht, eine Mutter selbst ihren Kindern (wenn auch durch einen Dämonen ferngesteuert) Unbeschreibliches antut, ist ungemein verstörend. Gleichzeitig ist "Evil Dead Rise" aber ein traditionsbewusster "Evil Dead"-Film – und damit anders als das überzogen grimmige 2013er Remake von Fede Alvarez nicht nur düster und niederschmetternd. 6.500 Liter Kunstblut sollen bei den Dreharbeiten verwendet worden sein, und vor allem im großen Finale eskaliert der atemlose 97-minütige Horrortrip in ein astreines Splatter-Fest, das jene pechschwarze Ironie atmet, die einst Sam Raimis Originalfilme so besonders machte.

Bei all dem könnte man fast übersehen, dass Cronin zwischen den vielen Schockmomenten auch etwas erzählen will – vom Muttersein nämlich und all den Verantwortungen, die damit einhergehen. Der Kampf zweier Mütter um das Wohl der Kinder ist nicht bloß ein Aufhänger, es reflektiert auch darüber, welche Rollen Frauen im Horror-Genre normalerweise einnehmen und jongliert zeitgemäß mit Stereotypen und Klischees. So findet sich zum ersten Mal eine tatsächlich klug gestaltete tiefere Ebene in einem Teil der Reihe – wenngleich die meisten Zuschauer natürlich dafür im Kino sitzen werden, um im durchgeknallt-effektgeladenen Schlussteil noch ein paar Hekto- und Dekaliter mehr Blut vergossen zu sehen.

Man könnte "Evil Dead Rise" daher vorwerfen, zu viel auf einmal zu wollen. Doch diese spezielle Filmreihe hat schon immer rigoros alles in einen Topf geworfen: Psychohorror, Splatter, Klamauk, Fantasy und jetzt eben auch Charakterdrama. Zwischen den Stühlen tanzt es sich für die Teufel wohl am besten.

"Evil Dead Rise" ist seit dem 27. April in den deutschen Kinos zu sehen.