Die Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand von Karl May sind in Deutschland nationales Kulturgut. In den 1960ern wanderten Millionen ins Kino, um die insgesamt elf mehr oder weniger losen Adaptionen zu bestaunen, in denen Pierre Brice in die Rolle des starken Apachenhäuptlings schlüpfte, an seiner Seite waren meist Lex Barker als Old Shatterhand oder alternativ Stewart Granger als Old Surehand aktiv.
Nach vielen vielen Jahren gibt es Winnetou jetzt wieder im Kino zu sehen: "Der junge Häuptling Winnetou" zeigt die Kultfigur als 12-jährigen Jungen. Ein spaßiger Ansatz – doch der ambitionierte Kinderfilm geht leider trotz guter Absichten volle Kanne nach hinten los. Karl-May-Enthusiasten werden hier nur wenig Spaß haben.
Kindheit im Wilden Westen: "Der junge Häuptling Winnetou"
Der kleine Apachenjunge Winnetou (Mika Ullritz) träumt von einem Leben als großer Krieger, doch sein Vater, der Stammeshäuptling Intschu-Tschuna (Mehmet Kurtulus) hat andere Pläne: Sein Sohn soll erst die wichtigen Lektionen des Lebens lernen, ehe er sich in den Sattel schwingen darf. Während Winnetou bockig gehorcht und auf seine Schwester Nscho-tschi (Lola Linnéa Padotzke) aufpasst, drohen Intschu-Tschuna und seinem Volk eine Hungersnot: Die Büffel, eine wichtige Nahrungsquelle der Apachen, sind spurlos verschwunden.
Als Winnetou in einer Nacht den gleichaltrigen Tom Silver (Milo Haaf) beim Pferdestehlen erwischt, will er ihn seinem Vater ausliefern. Doch der Junge behauptet, er wüsste, was mit den Büffeln passiert ist. Um Intschu-Tschuna zu beweisen, dass er das Zeug zu einem wahren Krieger hat, begibt er sich gemeinsam mit Tom auf ein gefährliches Abenteuer. Dabei geraten sie an den hinterhältigen Verbrecher Todd Crow (Anatole Taubman) und seine Bande, die es auf den Goldschatz der Apachen abgesehen haben.
Ein aus der Zeit gefallener Abenteuerfilm für Kids
Das offensichtliche Argument einmal vorneweg: Es ist mittlerweile gut dokumentiert, dass die alten "Indianer-Klischees" von den "edlen Wilden", die Karl May in seinen Büchern benutzt und die von den 60er-Jahre-Filmen reproduziert wurden, mit der historischen Realität wenig zu tun haben. Auch daran, dass hier genau wie damals vornehmlich weiße Schauspieler sich wie bei einer Faschingsfeier kleiden und "Cowboy & Indianer" spielen, werden sich manche stören, zumindest steht es dem aktuellen Zeitgeist entgegen. Karl-May-Fans von damals wird es freilich egal sein, dennoch wirkt "Der kleine Häuptling Winnetou" aus der Zeit gefallen.
Insbesondere da die Frage erlaubt sein muss, an wen sich dieser Kinderfilm richtet. Erwachsene "Winnetou"-Fans werden die gebotenen Albernheiten bestenfalls putzig finden. Kinder dürften dafür viele Witze kaum verstehen. Beispielsweise, wenn ein kleiner Sam Hawkins (Marwin Haas) auftritt und jeden seiner Sätze mit "Wenn ich mich nicht irre" beendet, wie einst Ralf Wolter in den Originalverfilmungen. Ob kleine Kinder, die heute eher mit Marvel-Superhelden und Harry Potter aufwachsen, sich wirklich mit Winnetou, Tom Silver und Nscho-tschi identifizieren können, ist zumindest fraglich.
Winnetou für Kinder: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht
Ärgerlich ist viel mehr, dass "Der junge Häuptling Winnetou" auch als simples Kinderfilm-Vehikel misslungen ist. Die Kinderdarsteller machen alle ihrem Alter entsprechend einen guten Job, doch derselbe Charme wie bei Filmen à la "Fünf Freunde" oder "Vorstadtkrokodile" will sich dennoch nicht einstellen. Die Witze sind zudem oft furchtbar. Als Winnetous Schwester auf Sam Hawkins trifft, stellt sie sich vor mit: "Mein Name ist Nscho-tschi", was Sam Hawkins mit einem "Gesundheit" quittiert. Das ist so flach, dass selbst Achtjährige mit den Augen rollen dürften.
Die Geschichte ist ebenfalls kaum der Rede wert und selbst die Kulisse enttäuscht: Zwar drehte man im spanischen Andalusien, wo einst Western-Meisterwerke wie "Spiel mir das Lied vom Tod" entstanden, gab sich aber für die Darstellung eines Apachendorfs damit zufrieden, ein paar Karneval-Wigwams wahllos auf einem Hügel zu verteilen. In solchen Momenten wirkt der Film gut gemeint und doch lieblos. Hier liegt auch der Unterschied zu Karl May: Dessen Geschichten mögen naiv, banal, sogar problematisch auf ein heutiges Publikum wirken, waren aber spürbare Herzensprojekte, die immerhin etwas (damals ungewöhnliches) zu sagen hatten – über Völkerverständigung, über Brüderlichkeit, Freundschaft und Naturverbundenheit. Wenn in "Der junge Häuptling Winnetou" Binsenweisheiten à la "Unsere Augen können uns belügen, aber nie unser Herz" gesprochen werden, ist das nur ein müdes Echo von Karl May.
Unverzeihlicher Fehlgriff: Der Bösewicht
Eine Sache muss zum Schluss noch erwähnt werden: Die Darstellung des Widersachers Todd Crow ist eine Frechheit. Schauspieler Anatole Taubman macht einen akzeptablen Job, der Vorwurf richtet sich an das Drehbuch. Crow wird als Anführer dargestellt, der sich modebewusst ganz in Schwarz kleidet, Kajal aufträgt und eindeutig eine Queer-Person sein soll. Doch der Film macht sich fortwährend über ihn lustig: Seine Handlanger nennen ihn gar "Tante Crow", sobald er außer Hörweite ist. Seine Queerness ist sogar Ursache für sein Schurkentum. Suggeriert wird hier: Männer mit vermeintlich "femininen" Zügen sind Witzfiguren, denen man zudem nicht trauen kann, vor denen man sich in Acht nehmen muss.
Das ist selbst im Vergleich zu Karl May nur noch rückschrittlich. Der hatte in seinen Romanen einen Charakter etabliert namens Sebastian Melchior Pampel, genannt "Tante Droll". May beschreibt diese Figur als dicklichen Wildwestler mit hoher Fistelstimme, der sich eigentümliche Frauenkleider anzieht – einfach, weil sie ihm gefallen. Zwar mögen sich andere Figuren über ihn amüsieren, zugleich ist er aber auch ein exzellenter Schütze und eine der mutigsten Personen im Winnetou-Kosmos. May war in dieser Hinsicht eben schon ein paar Schritte weiter.
Nur echte Fans werden sich "Der junge Häuptling Winnetou" im Kino ansehen wollen. Gerade die sollten ihre Zeit aber lieber nochmal mit den alten Klassikern verbringen.
"Der junge Häuptling Winnetou" ist seit dem 11. August 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.