Als erste deutsche Netflix-Serie mit internationalen Ambitionen steht "Dark" von Baran bo Odar besonders unter Beobachtung. Der Regisseur hat mit dem Hacker-Thriller "Who Am I" (2014) bereits einen Kinofilm abgeliefert, der internationalem Genreniveau auf souveräne Weise genügt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Bei "Dark" sind die Vorbilder klar: "Twin Peaks" und skandinavische Krimis vor allem. "Stranger Things" ist die deutlichste Referenzserie, der amerikanische Netflix-Hit entstand aber angeblich unabhängig und zeitlich parallel zu "Dark". Die Koinzidenten sind aber geradezu unheimlich. Hier wie dort geht es um eine Clique von Jugendlichen, Kinder verschwinden, es gibt eine Parallelwelt, dubiose Menschenversuche und die Handlung spielt, bei "Dark" nur zum Teil, in den 80er-Jahren. In die Nostalgiefalle tappt "Dark" anders als "Stranger Things" erfreulicherweise nicht, die 80er-Jahre sind hier kein Ort, an dem man länger verweilen würde. "Dark" reflektiert eher pessimistisch die gegenwärtige Nostalgiewelle, die Vergangenheit sucht die Gegenwart heim.
Durch die Zeiten
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In "Dark" geht es, so viel kann und muss man verraten, um Zeitreisen. Das macht gleich zu Anfang ein eingeblendetes Einstein-Zitat über die Ununterscheidbarkeit von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit klar. In der (fiktiven) Kleinstadt Winden verschwinden zwei Jungen, dafür taucht die Leiche eines merkwürdig entstellten Knaben auf, der im Stil der 80er-Jahre gekleidet ist und in der Tasche einen Walkman mit Nena-Songs mit sich trägt. Auch sonst geschehen merkwürdige Dinge. Vögel fallen vom Himmel, aus einer Höhle im Wald dringen andersweltliche Geräusche. Und was verbergen die Besitzer des nahen Atomkraftwerks? Der kleine Sohn des Polizisten Ulrich Nielsen (Oliver "Er ist wieder da" Masucci) landet in der Tor-zur-Unterwelt-Höhle und spaziert aus ihr ins Winden des Jahres 1986.
"Dark" ist sicher nicht die schlechteste Zeitreisevariante, weil sie die Vorstellung, in die Vergangenheit zu reisen und dort auf die jüngeren Ausgaben der Verwandtschaft zu treffen, konsequent durchspielt. Die Serie bewegt sich streckenweise durchaus auf Augenhöhe mit "12 Monkeys" oder "Zurück in die Zukunft". Wir fühlen die existenzielle Einsamkeit des Jungen, der plötzlich in den 80er-Jahren landet, wie einen kalten Windhauch. Bei ihm hätte die Story länger verweilen können, dafür ist aber keine Zeit. Denn "Dark" will mehr. Die Serie will gleichzeitig noch ein Serienkillerkrimi sein, ein Ehe- und Familiendrama, ein Kleinstadtmikrokosmos und eine Teenage-Angst-Geschichte. Alle Teile für sich würden funktionieren, wenn sie mehr Zeit bekommen hätten und nicht nur Alibifunktion zur Vortäuschung von Tiefe übernehmen würden. Denn letztlich ist "Dark" im Kern eben eine schlichte, aber packende Zeitreisestory.
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Einstein und das Großvaterparadoxon
Das Drehbuch macht es sich aber zu einfach, indem es mit dem Einstein-Zitat einfach die Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft leugnet. Wenn aber, wie die Serie mit einer ihrer kalenderspruchartigen Zitate postuliert, "Alles mit allem verbunden" wäre, könnte man nicht so einfach zwischen den Zeitebenen rumspazieren. Zeit und Raum wären schlicht ein unförmiger Klumpen.
Anyway, das Zeitreisen für logisch erklärt werden kann man verschmerzen und muss es einfach akzeptieren, wenn es wie hier einer spannenden, herausfordernden Story dient. Ärgerlich ist aber, dass die Zeitreise umständlich und bierernst plausibel gemacht werden soll, mit halb verdauten und falsch verstandenen Partikeln aus Naturwissenschaft (Einstein), Esoterik und Philosophie (Nietzsches "Ewige Wiederkunft des Gleichen"). Vor allem weil sie uns auf eine unerträglich altkluge Weise verklickert wird.
Die ewige Wiederkunft des Gleichen
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Die ewige Wiederkehr des Gleichen zeigt "Dark" aber auf einer anderen, metaphorischen Ebene, bei der Geschichte von vier Windener Familien über drei Generationen (später geht es noch weiter in die Vergangenheit). Die Kinder werden als Erwachsene so wie sie nie sein wollten. Für diese ernüchternde Einsicht braucht man aber keine verschwurbelt begründeten Zeitreisen.
Und noch auf eine unfreiwillige Art dokumentiert "Dark" die ewige Wiederkunft. Nichts, aber auch gar nichts an der Serie hat man nicht schon einmal woanders gehen. "Twin Peaks", Nordic Noir und Filme wie "Donnie Darko" spuken durch jede Szene. Auch die vielen emotionalen Szenen und inflationär eingesetzten Parallelmontagen mit Musikbegleitung wirken geborgt. Die Dialoge ("Wie krank bist du eigentlich") könnten copy-paste-mäßig aus Seifenopern übernommen sein.
Deutsch und stolz darauf
"Dark" fühlt sich trotzdem universell an und wird vor allem im Ausland gefeiert. Und das wohl nicht trotz, sondern weildie Serie ganz konkret in Deutschland verwurzelt ist und sich nicht dafür schämt. So wie "Breaking Bad" eindeutig in Alburquerque situiert ist, aber trotzdem weltweite Strahlkraft besitzt. Die erste deutsche Netflix-Serie macht nicht den gleichen Fehler wie die erste deutsche Amazon-Serie "You are wanted", die laut Macher Matthias Schweighöfer aussehen sollte, als ob sie in jeder Stadt spielen könnte. "Dark" könnte natürlich auch in Norwegen oder Kanada spielen, hätte aber ein ganz anderes Flair. Atmosphärisch profitiert die Serie vor allem vom Atomkraftwerk, das über Winden dräut und gleichzeitig größter Arbeitgeber und Angstmacher ist. "Dark" spannt den Bogen von der Atomeuphorie der 50er-Jahre über die Post-Tschernobyl-Paranoia 1986 bis zum Atomausstieg. Als Metapher für eine alle Zeiten durchstrahlende Hoffnung und Bedrohung mit hoher Halbwertszeit ist das Atomkraftwerk das Herz der Serie.
Die unübersehbaren Schwächen sollen aber nicht verdecken, dass "Dark" verdammt viel Spaß macht. Die Serie sieht gut aus, ist gut gespielt, atmosphärisch dicht, sauspannnend, sorgfältig ausgestattet und vermittelt das Zeitkolorit bis auf ein paar Zeitmarker mit dem Holzhammer (Zauberwürfel! Raider statt Twix!) angenehm unaufdringlich. Die große deutsche Serie ist aber auch "Dark" nicht. Aber auch kein Super-GAU.