Was reizte Sie an dem Filmprojekt "Chloe"?

JULIANNE MOORE Ich wollte schon lange mit dem Regisseur Atom Egoyan drehen und mochte die fesselnde Geschichte. Es geht um die Jahre nach der Hochzeit, wenn es vielleicht nicht so gut läuft und man eine handfeste Krise durchlebt.

Sie spielen eine Ärztin, die eine Prostituierte anheuert, um ihren untreuen Ehemann zu entlarven. Empfanden Sie Sympathie oder Mitleid für die Person Catherine?

JULIANNE MOORE Catherine ist eine zerbrechliche Frau und leidet an Depressionen. Ihr Selbstbewusstsein bröckelt. Um das zurück zu gewinnen, benutzt sie die junge Prostituierte Chloe und zahlt schließlich einen hohen Preis dafür. Catherine hat keinen Respekt vor Chloe als Mensch, was mich sehr schockierte. Was sagt es über sie aus? Eine komplizierte Sache.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Catherine und deren Ehemann David, gespielt von Liam Neeson?

JULIANNE MOORE Sie fühlt sich ohnmächtig und unsichtbar in ihrer Ehe. Catherine empfindet nicht in allen Bereichen ihres Lebens so, aber eben an der Seite ihres Mannes, den sie trotzdem immer noch sehr liebt. Wenn dem nicht so wäre, würde es ihr alles nichts ausmachen. Sie liebt ihn, und es gibt immer noch eine besondere Verbindung zwischen beiden.

Davids Flirten mit anderen Frauen könnte man aber auch als völlig harmlos werten. Wie sehen Sie das?

JULIANNE MOORE Stimmt, vielleicht ist es auch so, aber das muss der Zuschauer selbst entscheiden. Für Catherine stellt es sich anders dar. Es geht um verschiedene Arten der Wahrnehmung, darüber hat auch Atom bei den Dreharbeiten gesprochen. Wessen Blickwinkel sehen wir hier? Zu Beginn des Films gibt Atom dem Zuschauer Catherines Sichtweise zu erkennen. Von Davids Standpunkt aus gesehen, ist sein Flirten mit anderen Frauen sicher ganz normaler Umgang mit Menschen. Jeder hat eben eine andere Wahrnehmung der Situation.

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Rivalinnen im Bett: Julianne Moore und Amanda Seyfried (l.)

Wir sehen Sie auch in Sexszenen mit Amanda Seyfried. Wie schwierig war das?

JULIANNE MOORE Amanda und ich haben natürlich die Emotionen vorher durchgespielt. Bei einer solchen Szene ist für mich am wichtigsten, dass mein Gegenüber sich wohl fühlt. Amanda war grandios und lässig. Wir haben viel gelacht und es halt einfach durchgespielt. Atom sagte zu uns: ‚Sex ist etwas, das jeder macht, manche öfter, andere beschweren sich, dass sie keinen haben. Es ist Teil des Lebens.' Das half uns.

Sie spielen eine unsichere Frau, die Probleme mit dem Älterwerden hat und sich nicht mehr attraktiv fühlt. Passiert Ihnen das in ihrem Beruf als Schauspielerin auch?

JULIANNE MOORE
Wenn man zufrieden ist mit seinem Leben, seinem Alter und den Rollen, die man spielt, fühlt man sich okay. Wollte ich mit meinen 48 Jahren eine Chloe spielen, würde ich mich bestimmt sehr unsicher fühlen. Man muss einfach wissen, wo man steht und was möglich ist. Das zählt auch für andere Dinge im Leben. Wenn man versucht etwas zu erreichen, das einem aus Altersgründen verwehrt ist, wird man sich schrecklich fühlen.

Wie halten Sie sich fit?

JULIANNE MOORE
Ich mache Yoga - sonst nichts, weil ich zwei Kinder habe. Es ist manchmal erschreckend, wie schnell der Tag vergeht, und wie lange es allein dauert, bis die Kinder in der Schule sind.

Was machen Sie noch in Ihrer Freizeit?

JULIANNE MOORE
Ich arbeite viel an meinem Haus und im Garten. Natürlich unternehme ich viel mit den Kindern. Ich lese sehr gerne, aber die meiste Zeit verbringe ich mit meiner Familie.

Können Sie noch problemlos auf die Straße gehen, ohne von Fotografen umzingelt zu werden?

JULIANNE MOORE
Ich werde nicht verfolgt. Manchmal tauchen allerdings Fotografen auf, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Sie leben in New York und nicht in Los Angeles. Warum?

JULIANNE MOORE
Ich mag New York. Mein Mann wurde da geboren. Nachdem unser Sohn auf die Welt kam, zogen wir wieder hin.

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"Die Stadt der Blinden" (2008): Julianne Moore in blond

Neben der Schauspielerei schreiben Sie Kinderbücher. Wann steht das nächste an?

JULIANNE MOORE Der dritte Band von Sommersprossenfeuerkopf erscheint in diesem Jahr. Das Schreiben macht mir sehr viel Spaß, es ist sehr erfüllend, noch etwas anderes zu machen als Schauspielerin zu sein.

Hatte Ihr Aussehen großen Einfluss auf Ihre Karriere?

JULIANNE MOORE Das weiß ich nicht. Wir sehen so aus, wie wir eben aussehen, das können wir nicht kontrollieren. Ich denke nicht viel darüber nach. Manchmal glaubt man, dass man sich auch physisch in die Person verwandelt, die man spielt, bis man vor dem Spiegel feststellt: ‚Ach, das bin ja immer noch ich'. Regisseure sehen das Gesamtbild und suchen ihre Schauspieler dementsprechend aus.

Stimmt es, dass Sie sich niemals für eine Rolle die Haare färben würden?

JULIANNE MOORE Nein. In meinem Film "Die Stadt der Blinden" habe ich völlig andere Haare. Der Regisseur Fernando Meirelles wollte, dass ich sie mir kurz schneiden lasse. Das reichte ihm aber nicht, also färbte ich es blond. Für die Rolle war das genau richtig, aber ich fühlte mich merkwürdig. Ich identifiziere mich sehr mit meinem roten Haar, als Blondine kam ich mir fast entblößt vor.

Andrea Daschner