Dieses Mal also für immer: Moderatorenlegende Thomas Gottschalk verlässt endgültig das Format, das ihn in die oberste Promi-Riege katapultiert hatte. Mit seinem letzten "Wetten, dass ..?" hat er dann 153 Mal durch die Show geführt, hat Wettkandidaten mit routiniertem Witz vorgestellt, hat Wettpaten auf dem Sofa betütelt und Frauenarme, -hände und -knie mit Altherrencharme getätschelt. Er hat Quotenrekorde aufgestellt, und das über insgesamt 36 Jahre hinweg. Beim ersten Revival-Show des Kultformats saßen 2021 sagenhafte 13,8 Millionen Menschen vor dem Fernseher.
Mit all dem soll nun endgültig Schluss sein, hat der 73-jährige Gottschalk entschieden. Weil seines Erachtens die großen Zeiten der Samstagabendunterhaltung vorbei sind. Und weil ihm graut bei der Vorstellung, dass ihm "ein Autor vor der Show die Gags aufschreibt und man mir einen Stecker ins Ohr bastelt, über den mir ein Redakteur ständig Shitstorm-Warnungen durchgibt".
Thomas Gottschalk vs. Political Correctness
Lieber sich selbst canceln, als der Cancel-Culture zum Opfer fallen und von einer virtuellen Wut-Welle aus dem Studio geschwemmt zu werden? Recht hat er. Ein Gottschalk, der mit der obligatorischen Pause von Wettkandidat:innen spricht, der auf die diverse Besetzung seines TV-Sofas verweist und jeden Scherz durch den Filter der Political Correctness schickt? Das kann – und will – man sich nicht vorstellen.
Aber dieses allerletzte Mal will Gottschalk noch feiern – und sich feiern lassen. Mit einer transparenten Bluse unter dem bordeauxroten Anzug samt Samtslipper setzt er wie immer ein farbliches Statement gegenüber dem monochromen Beige-Look seiner Alterskohorte; "im Kardinalsbedarf gekauft", scherzt er. Frank Elstner, der geistige Vater der Show, kündigt Gottschalk als "Legende" an, die Stimme aus dem Off nennt ihn den Mann, "mit dem wir alle groß geworden sind".
Thomas Gottschalk leistet sich einen Namenspatzer
Der Vielgelobte stapelt lieber etwas tiefer. "Die meisten von euch haben am Samstagabend eh was anderes vor", hatte Gottschalk unlängst gesagt, und vermutlich hat er Recht damit. Thomas Gottschalk ist lineares Fernsehen, er war mit "Wetten, dass ..?" der Brandmeister am vielleicht letzten Lagerfeuer, das es noch im öffentlich-rechtlichen Programm gab. Ein paar Mal ließ er die alte Glut neu auflodern, doch das Kunststück wurde mit jedem Jahr schwerer.
An diesem Abend soll es aber so hell scheinen, dass noch am Montag beim Teams-Call darüber geredet wird. Selbst wenn es dann wohl vor allem darum gehen wird, inwiefern Gottschalk noch der Sache gewachsen war. Matthias Schweighöfer etwa wurde von Gottschalk als "Matthias Schweinsteiger" vorgestellt; zum Ausgleich nannte Gottschalk den wahren Schweinsteiger später "Bastian Schweigsteiger". Doch als altes Zirkuspferd hat er zum Glück genug Selbstbewusstsein und Erfahrung, um seine Buchstabenverdreher zum Running Gag des Abends zu machen.
Fußballkommentator Schweinsteiger übrigens erfreut mit einer hoffnungsfrohen Prognose für die deutsche Nationalelf im Hinblick auf die EM 2024: "Es kann sich noch entwickeln, also da bin ich schon optimistisch." Wetten, dass nicht?
Hazel Brugger begeistert mit der Außenwette aus der Schweiz
Die Wetten sind auch diesmal liebevoll ausgesucht: Ein Hund erkennt Zahlen und Landwirt Horst seine Hähne an ihrem Kikeriki. Deren Geplärr hat so einen Unterhaltungswert, dass Wettpate Matthias Schweighöfer sich kaum noch einkriegt vor Lachen. Zwei Damen versuchen, mit dem Gabelstapler einen Stecker in einer Steckdosenleiste zu platzieren und scheitern grandios.
Die hochschwangere Hazel Brugger präsentiert mit Schweizer Charme die Außenwette, bei der harte Schweizer mit harzigen Händen eine vollbesetzte Bahn ein Stück den Berg hochziehen – eine Wette, die vor drei Jahrzehnten scheiterte und nun vollendet wurde. Wettkönigin wird Julia, die anhand von Strichcodes alte Wetten erkennt – eine Wette, die zwar niemand wirklich verstanden hat, aber die Gelegenheit geboten hat, noch einmal in der Vergangenheit zu schwelgen.
Helene Fischer und Shirin David präsentieren die "Atemlos"-Jubiläumsversion
Auch musikalisch trumpft "Wetten, dass ..?" noch einmal auf: "Take That" lassen zu "Back for Good" die Handy-Lämpchen im Publikum aufleuchten und die Mädchen kreischen, als seien die 1990er-Jahre gerade erst um die Ecke gebogen. Die zeitlose Cher singt etwas aus ihrem neuesten Album und die Rolling Stones schicken über Jan Josef Liefers eine Videobotschaft. Angesichts dieser Granden ist es schon ein Zugeständnis an die Generation Frottee-Schlafanzug, wenn Helene Fischer mit Shirin David eine semi-gerappte Version von "Atemlos" darbietet.
Shirin David ist an diesem Abend auch die einzige, die sich nicht bereitwillig von Gottschalks Wortschwall dahintreiben lässt, sondern Widerworte wagt; angesichts der höflichen Bräsigkeit auf dem Star-Sofa wirkt sie jedoch eher wie eine trotzige Enkelin, die dem Opa den Feminismus oder das Leben als Influencerin erklären will. Gottschalk lässt das lässig an sich abtropfen und scherzt lieber darüber, wie man das Wort "Gapelstapler" gendern könnte. Dann schreitet er weiter in Richtung Fettnäpfchen mit der unverblümten Frage an Helene Fischer, ob diese wieder schwanger sei. So etwas darf wirklich nur noch Opa Thommy.
Abgang mit Bagger
Am Ende eines rundum netten Abends bleibt das Gefühl, dass wirklich alles ein Verfallsdatum hat – und dass es gut ist, wenn dies rechtzeitig erkannt wird. Mit einem ehrlichen "Dankeschön, dass ihr mir so lange zugehört habt" verabschiedet sich Thomas Gottschalk beim Publikum und mit einem herzlichen Händedruck bei einem sichtlich gerührten Frank Elstner. Mike Krüger transportiert schließlich Gottschalk mit dem Bagger von der Bühne: ein wirklich standesgemäßer Abschied.
Der Artikel Trotz kleinerer Patzer: Thomas Gottschalk feiert würdigen "Wetten, dass...?"-Abschied wird veröffentlicht von FOCUS online.