Viele von uns würden das langsam zu Ende gehende Jahr gerne vergessen. So lautet (ungefähr) ein einbalsamierender Satz in der aktuellen Werbung der Deutschen Bahn. Aber dann würden wir auch all die Helden vergessen, die die vergangenen Monate zu einem hellen Freudenfest für Reality-TV-Fans gemacht haben: So hell blendeten uns einige Shows und Sendungen, dass die Augen sich beim Blick in den Rückspiegel schämen sollten für das, was wir uns angesehen haben – ein bisschen. Nicht zu verwechseln mit den regulären Fernseh-Highlights übrigens. Von krass zu Hass zu Liebe: Das war das Trash-TV-Jahr 2020.
Promis unter Palmen
Das Format, das Bastian Yotta alle nachfolgenden TV-Auftritte gekostet hat. Das Format, das Claudia Obert in die Schlagzeilen brachte (zumindest ich wusste vorher nicht, wer das sein soll). Das Format, das so asozial war, dass eine Folge "vorsorglich" aus der Mediathek entfernt werden musste. Der Sender versuchte sich noch für die Folge zu rechtfertigen, während Seeed ihnen schon untersagten ihren Song als Titelmelodie zu nutzen. Hier eskalierte das Mobbing unter den Promis, dass es kaum auszuhalten war. Für hartgesottene Fans des Reality-TV war dieser Sat.1-Überraschungshit trotz dreister "Sommerhaus"-Kopie sicher zeitweise das Richtige, aber das Zwischenmenschliche mit dieser Kraft außen vor zu lassen: krass. Diese Grenzenlosigkeit stellt sogar das "Sommerhaus" in den Schatten. Darum fängt das Trash-TV-Jahr natürlich auch hiermit an und nicht mit der x-ten Ausgabe des Dschungelcamps oder "Germany's Next Topmodel".
Deutschland sucht den Superstar
Voller Elan mit der "besten Jury aller Zeiten" (D. Bohlen) starteten er, Pietro Lombardi, Oana Nechiti und Xavier N. in die neue Staffel. Singen, lachen, Peinlichkeiten und dann brach die Hölle über RTL herein. Schmusesänger Naidoo, der aufgrund seiner politischen Einstellung bereits nicht zum ESC entsandt wurde, machte mit fragwürdigen Videos auf sich aufmerksam, wurde zum vermeintlichen Verschwörungstheoretiker und ward nie mehr gesehen. Bohlen hatte meist auch keine Lust Stellung zu beziehen, aber ein Ass hatte RTL noch. In einem grenzgenialen Geistesblitz holten sie sich den Gottschalk des Schlagers ins Boot: Florian Silbereisen, der an den späteren Gewinner live im TV seine Glücksunterhose verschenkte(!). Besser geht Reality-TV gar nicht.
Schade, dass mit der Ankündigung der neuen Jury dann gleich das nächste Fettnäpfchen groß wie das Corona-Haushaltsloch (Gibt es das überhaupt?!) auf RTL wartete: Michael Wendler schien erst wie eine gut-trashige Idee. Dann zweifelte er, beleidigt von den deutschen Einreisebestimmungen, die er offenbar vergessen hatte, das Coronavirus an und RTL musste den nächsten Juror rauswerfen. Der Sender lästerte in einigen TV-Beiträgen noch schön über den Sänger ab, anscheinend im Vergessen, dass dieser noch einige Wochen im Januar zur besten Sendezeit dort sitzen wird aber: Egal!
Schwiegertochter gesucht
Wo war Vera? Deutschlands Lieblingskupplerin musste eineinhalb Jahre warten, bis sie wieder neue Schwiegertöchter und -söhne mit den einsamen Männern verkuppeln durfte. Das Format wurde erneuert mit mehr Ernst und weniger 2000er-Staub im Nacken: Neues Design, Männer, von denen die meisten tatsächlich was taugten und auch sonst war das wirklich gelungen. Nicht alle waren zufrieden mit dem etwas seriöseren Ansatz der Show, aber andere schon.
Sommerhaus der Stars – Kampf der Promipaare
Viel ist über das "Sommerhaus" geschrieben und gesagt worden: Ja, Kubilay hat Andrej direkt in der ersten Folge ins Gesicht gespuckt. Nein, RTL hat dem Zuschauer nicht vermittelt das alles im Griff zu haben. Ja, es war Mobbing, was zwischen Eva/Chris und (fast) allen anderen ablief. Nein, die Regeländerung, durch die die Ober-Mobber Andrej und Partnerin Jenny rausflogen, hatte mit "gutem Trash-TV" nichts zu tun. Es war Schadensbegrenzung in einer "Sommerhaus"-Staffel, wie sie anstrengender nicht hätte sein können. Wenn das Beste an einer Sendung ein Mann (Chris) ist, der jede einzelne Beleidigung ruhig hinnimmt und nicht ausrastet, läuft etwas schief. Einmal durchatmen bei elf mal zwei Stunden Hass, reicht nicht. Nächstes Jahr besser machen. Danke.
Love Island
Bon Schlonzoooooooo! Wer die RTLZWEI-Sendung "Love Island" in diesem Jahr verpasst hat, weiß nicht, was ihm entgangen ist. Königskrone für die unterhaltsamste Show in diesem Jahr, die nicht nur gekonnt die Corona-Quarantäne in eine Liebesentscheidung einbettete, sondern dazu mit einer massiven TV-Geheimwaffe daherkam. Eine Waffe, wie sie selbst ein Verteidigungsminister nicht besser im Arsenal hätte haben können: Henrik Stoltenberg, selbst Enkel des früheren Verteidigungsministers, war sympathisch, aalglatt, aufgedreht und machte gleich zwei Damen schwach. Mit Aurelia schlief er, verließ sie aber innerhalb der Show wieder für eine neue: Sandra. Im besten Reality-TV-Moment 2020 kommt er (epische Musik vorstellen) Hand in Hand mit ihr in die "Love Island"-Villa nach drei Tagen (!) Vergnügungsurlaub und überrascht Aurelia mit seiner neuen Freundin. Besser war es dieses Jahr nicht, dafür sorgte aber auch konkurrenzlose Großartigkeit von "Love Island 2020" mit ihrer perfekten Teilnehmerauswahl.
Honorable Mentions
Für etwas zu wenig Aufmerksamkeit, aber gerade noch genug, damit sie nicht vergessen werden dürfen, sorgten:
- Kampf der Realitystars (RTLZWEI): Noch ein "Sommerhaus"-Klon mit Krawallpromis, das aber zu unterhalten wusste und die Morderger-Zwillinge auf die Karte packte. Wer weiß, was da noch kommt.
- Temptation Island VIP (RTL): Ursprünglich erst nur auf TVNOW. Sehr gute Kandidatenauswahl. Paare werden für zwei Wochen getrennt und sollen dann den Avancen von besser aussehenden, jüngeren Herren und Damen standhalten. Manchmal etwas zu durchschaubar, aber gut.
- FameMaker (ProSieben): Wie "The Voice" nur ohne Stimmen, dafür mit gemuteter Performance. Teddy Teclebrhan rettete die Show zeitweise, aber es war einfach zu langweilig.