Big Brother, Domino Day, Talkshows und Handwerkersendungen: Kein Eindruck meiner TV-Leidenschaft als Teenie, sondern das aktuelle – oder angekündigte – Fernsehprogramm. Aber warum?

Bisschen Staub abwischen und los geht''s!

Ich stelle mir die Ideenfindung etwa so vor: Die Fernsehmacher sitzen in einem kleinen Büro. Auf der einen Seite ziert eine Fototapete mit weißem Sandstrand und azurblauem Wasser die Wand, unter einem Poäng-Sessel wartet trostlos ein abgetragenes Paar Ugg-Boots, auf einer schlichten Kommode liegt ein Siemens 50, natürlich mit dem Crazy Frog als Klingelton. Und was lief im kleinen Röhrenfernseher? Klar, legendäre Talkshows wie "Vera am Mittag", den "Do it yourself S.O.S."-Wahnsinn mit Charlotte Würdig und Sonya Kraus (Apropos Sonya Kraus, was macht die eigentlich?) und der 24/7-Überwachung durch "Big Brother". Aber muss das auch 20 Jahre später noch zu sehen sein? Ja – zumindest, wenn man den großen TV-Sendern glaubt. Sie schwenken die Nostagie-Keule, als gebe es kein würdevolles Erinnern mehr.

Welches ehemalige TV-Format können wir noch wiederbeleben? Welche Kulissen nochmal wiederverwerten? Aktuell lassen sich wieder 14 Kandidaten "total überwachen" - eigentlich nur vom Sender Sat.1 und einer überschaubaren Zuschauerzahl, wenn man sich die kränkelnden Quoten anguckt. Bei RTL entlockt Marco Schreyl (ja, der erste DSDS-Moderator) Promis und Nicht-Promis unglaubliche Geständnisse: "Bei uns darf auf dem Tisch mit den Händen gegessen werden - das mache ich auch, ich find''s schön." (Ex-GNTM-Sternchen Sara Kulka). Warum das Ganze? Es gibt doch genug spannende und innovative TV-Format-Ideen, die in den vergangenen Jahren überzeugen konnten. "The Masked Singer" und "Mit 80 Jahren um die Welt" sorgen bei ProSieben und im ZDF für Fernsehen der anderen Art: Miträtseln bei den mehr oder weniger musikalischen Monstern und Mitfühlen bei den reisefreudigen Rentnern.

Fehlt der Mut, um sich an mehr neue Ideen zu wagen? Lässt sich das Fernsehen zu stark von den Wiederbelebungsversuchen der alten Styles auf dem Catwalk beeinflussen? ("Endlich wieder meine alten Bauchfrei-Tops tragen!" Das sagt doch niemand derjenigen, die das damals getragen haben). Fernsehen wird für das Jetzt gemacht. Wer glaubt wirklich, dass man Generation Netflix mit Sendungen vom Recyclinghof wieder ans lineare TV holt? Aber vielleicht will man das ja auch gar nicht. Vielleicht ist das Ganze auch nur ein Versuch, um sich wieder - wenn auch nur kurzweilig - ein bisschen Vertrautheit in den Alltag zu holen, in einer Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint. In einem Zeitalter, in der so viele Informationen wie noch nie bereitstanden, aber gefühlt immer weniger verstanden werden, sehnen wir uns da nicht automatisch nach Altbewährtem? Ich nicht.

In meinem damaligen Kinderzimmer gab''s nicht nur eine Fototapete und Ugg Boots. Es gab auch einen Spruchkalender. Auf dem Stand: Alles hat seine Zeit. Und manche Zeiten sind einfach vorbei.