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Dennis, Isabella, Nathalie & Co.: Jobcenter-Expertin ordnet "Armes Deutschland"-Fälle ein

Dennis, Isabella, Armes Deutschland
Inge Hannemann, ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin, zu Fällen aus "Armes Deutschland". Sender Montage

Seit 2016 begleitet RTL2 bei "Armes Deutschland" immer wieder Menschen, die mit gutem Gewissen keinen Finger rühren und darauf auch noch stolz sind. Bei "Armes Deutschland - Dürfen die das?", dem Ableger der Sozialdoku, beurteilen Experten die aufsehenerregendsten Fälle der vergangenen Jahre.

Egal ob Willi und Carola oder Dennis und Isabella – bei der RTL2-Sozialdoku "Armes Deutschland" gibt es immer wieder Fälle, die für Aufregung sorgen. Dennis etwa: "Wofür soll ich denn arbeiten? Es gibt genug Leute, die für mich das Geld verdienen"… Einige Zuschauer fragen sich: Wieso kommt er damit durch?

RTL2 nimmt sich jetzt diesen und weitere krasse Fälle vor, und lässt sie von Experten bewerten. Bei "Armes Deutschland - Dürfen die das?" im Einsatz sind Armutsforscher Stefan Selke, die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hanneman, Diplom-Psychologin Susann Szyszka und die ehemalige Hartz-IV-Empfängerin Kerstin Gröschel.

TVspielfilm.de hat sich die Sendung vorab angeschaut und mit einer der Expertinnen gesprochen: Inge Hannemann, die sich als "Hartz-IV-Rebellin" mit dem Hamburger Jobcenter angelegt hat.

"Armes Deutschland"-Fälle nicht überraschend

Foto: Sender, Ein Experten-Team erläutert die prägnantesten Fälle aus "Armes Deutschland" (Foto: Inge Hannemann, ehem. Jobcenter-Mitarbeiterin)

Frau Hannemann, haben Sie "Armes Deutschland" schon mal privat geschaut? Haben Sie da nicht auch gedacht, das kann doch nicht wahr sein?

Inge Hannemann: Ja, die Sendung habe ich geschaut, um insbesondere die Kommunikation in den sozialen Netzwerken oder in der medialen Berichterstattung einordnen zu können. Die gezeigten "Fälle" waren jetzt nicht für mich überraschend. Ähnliches kenne ich selbst aus meiner ehemaligen Tätigkeit in den unterschiedlichsten Jobcentern. Ebenso aus bundesweiten Gesprächen mit Erwerbslosen oder auch der Erwerbslosenberatung.

Bei "Armes Deutschland" sagt Dennis immer wieder, dass er nicht arbeiten will und erklärt, wie er Jobs ablehnt: "Klar, sobald die mich vermitteln wollen, habe ich immer eine Ausrede parat. Die sagen ich soll im Lager arbeiten, sage ich zu dreckig. Wenn die mir sagen, ich soll als Putzfrau arbeiten, sag ich, ich habe eine Allergie gegen Reinigungsmittel. Irgendwas gibt es immer. Wenn die sagen, ich soll im Fotolabor arbeiten, sage ich, ist mir zu dunkel."

Sie gelten als "Hartz-IV-Rebellin" und sind dagegen, bei Regelverstößen Sanktionen zu verhängen. Finden Sie es wirklich gerecht, dass Protagonisten wie Dennis nicht sanktioniert werden?

Sanktionen verstoßen grundsätzlich gegen das Gebot einer Existenzsicherung, was ja Hartz IV eigentlich darstellen soll. Statt "gerecht" wäre auch die Frage nach der "Gleichheit" wichtig. In diesem Zusammenhang besteht keine Gleichheit, da die Sanktion oftmals von der Integrationsfachkraft im Jobcenter abhängt. Diese scheint im Fall Dennis eher "locker" zu sein. Wenn ich von "Gerechtigkeit" spreche, ist oftmals der Gedanke da, dass die Steuerzahler Hartz IV "bezahlen" und damit eben gleichzeitig vergessen wird, dass Hartz IV ein Existenzminimum ist.

Was könnte man denn "Drückeberger" wie Dennis unternehmen?

Hinter diesen Ausreden, irgendeinen Job nicht anzunehmen, verbergen sich zumeist irgendwelche Blockaden. Das können sein: Ängste vor dem Versagen, Ängste vor neuen Kollegen oder auch einfach der Verlust eines vorbestimmten Tagesrhythmus. In diesem Fall ist es fast nur möglich diese Blockaden in einem längeren Zeitraum zu erfassen und dann Schritt für Schritt abzubauen. Das dauert natürlich und zumeist ist die Zeit dafür im Jobcenter nicht vorhanden. Meine Erfahrungen sind dahingehend sehr positiv, weil ich mich natürlich in solchen Fällen der Aufforderung durch die Bundesagentur für Arbeit: "Hauptsächlich schnell vermitteln" widersetzt habe. Für die Erwerbslosen war dieses im Nachhinein natürlich viel nachhaltiger und kaum einer brach dann den Arbeitsbeginn oder Ausbildung ab.

Angriffe gehören leider zum Alltagsgeschäft

Ein anderes Beispiel: Nathalie aus Neuss hat den Sachbearbeiter, der sie sanktioniert hat, beleidigt: "Ich hab den erstmal gefragt, ob der keine Erziehung hat. Ich hab halt auch so Wörter fallen lassen wie Hu…, Dreck…, gehirnamputiertes kleines …"

Wurden Sie auch viel bedroht und beschimpft während Ihrer aktiven Zeit im Jobcenter?

Beschimpfungen, Bedrohungen oder auch (versuchte) körperliche Angriffe gehören leider zum Alltagsgeschäft. Beschimpfungen oder Bedrohungen habe ich nur zweimal erlebt, einen körperlichen Angriff zu Beginn der Entstehung von Jobcentern.

Was macht man da? Wie haben Sie reagiert?

Bei den Beschimpfungen und Bedrohungen habe ich versucht, deeskalierend einzuwirken. Das hat funktioniert, wobei in einem Fall von Seiten der Teamleitung ein Hausverbot ausgesprochen wurde. Das fand ich persönlich eher provozierend für den Erwerbslosen. Das habe ich ihm auch erläutert, und wir haben uns dann in regelmäßigen Abständen vor dem Jobcenter ausgetauscht. Bei dem körperlichen Angriff stellte sich im Nachhinein heraus, dass eine Psychose und das "Stimmen hören" der Auslöser war. Dies gab mir zu denken und ich habe mich daraufhin privat durch eine Psychologin über psychische Erkrankungen geschult. 

Eine letzte Frage: Was halten Sie persönlich von solchen Formaten wie "Armes Deutschland": Vorführung oder Hilfe?

Eine Vorführung ist es dann, wenn nach den Dreharbeiten der Kontakt zu den Protagonisten schlagartig beendet wird und keine Hintergrundinformationen über die Protagonisten und deren weiteren Verlauf oder erhaltenen Hilfen gezeigt werden. Wie ich erfahren habe, ist dieses jedoch nicht der Fall. Allerdings ist das den Zuschauern unbekannt. Eine Hilfe ist es dann, wenn im Hintergrund Hilfe durch den Sender angeboten wird. Das können sein: Schuldnerberatungen, psychologische begleitende Hilfen, Mieterverein beim drohenden Verlust der Wohnung oder auch Erwerbslosenberatungen vor Ort.

 

"Armes Deutschland - Dürfen die das?" läuft am Dienstag, 15. Oktober, um 20:15 Uhr auf RTL2.