Zum Programmauftrag der Öffentlich-Rechtlichen gehört es auch, die nationale deutsche Vergangenheit immer wieder aufzuarbeiten und so einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten. Ein neuer ARD-Sechsteiler schickt sich an, dieser Aufgabe aufs Neue gerecht zu werden: "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde", so der etwas sperrige Titel. Passender (und selbstironischer) gewesen wäre wohl "Babylon Bonn".
Der Vergleich zu "Babylon Berlin" drängt sich auf. Auch hier werden wahre Begebenheiten zu einem stimmigen und atmosphärischen Zeit- und Gesellschaftsporträt vermengt, auch hier passieren Unterhaltungs- und Aufklärungsfernsehen zugleich. Und auch hier funktioniert das erstaunlich gut, ist toll besetzt und meist wirklich geistreich. Nur mit einer Figur hat sich die Serie nicht zwingend einen Gefallen getan – und das ist ausgerechnet die Protagonistin. Aber von Anfang an: Worum geht es in "Bonn" eigentlich?
Deutsche Geheimdienste voller Ex-Nazis: ARD-Eventserie "Bonn"
Im Jahr 1954 ist Bonn noch die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Das Land ist vom Kalten Krieg geprägt, und immer noch schwebt die Frage im Raum, welchen Platz Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in der Weltpolitik spielen sollte und spielen darf. Die 20-jährige Toni Schmidt (Mercedes Müller) hat gerade ihre Au-Pair-Zeit in London verbracht und kehrt jetzt nach Bonn zu ihrem Vater Gerd (Juergen Maurer) zurück, der vom Wohlstand des deutschen Wirtschaftswunders mächtig profitiert.
Toni ergattert einen Job als Fremdsprachensekretärin bei der Operation Gehlen, dem damaligen Auslandsgeheimdienst unter Leitung von Reinhard Gehlen (Martin Wuttke). Doch kaum hat die motivierte und engagierte Toni dort angefangen, nimmt Otto John (Sebastian Blomberg), der Leiter des Bundesverfassungsschutzes Kontakt zu ihr auf. Zu seinen Aufgaben gehört es, untergetauchte Kriegsverbrecher der NS-Zeit dingfest zu machen – und er glaubt, Reinhard Gehlen unterstütze und verhindere die Festsetzung vieler Alt-Nazis. Gemeinsam mit Johns bestem Mann Wolfgang Berns (Max Riemelt) wird Toni in ein Netz aus Intrigen und Lügen verwickelt – zumal sich zwischen ihr und dem Agenten etwas anbahnt …
"Bonn" entlarvt in simplen Bildern die tiefen NS-Wurzeln der BRD
Wer sich mit der deutschen Zeitgeschichte auskennt, wird viele erzählerische Ecken von "Bonn" bereits grob kennen: Otto John und Reinhard Gehlen sowie das damalige Konkurrenzverhältnis der beiden Geheimdienste hat es natürlich allesamt wirklich gegeben. Die Entnazifizierung lief in der damals noch jungen Republik wirklich schleppend voran, denn vielen kamen die ehemaligen Kriegsverbrecher gerade recht, um das wirtschaftlich florierende Land wieder zur vermeintlichen Größe zu verhelfen. Und nicht nur die Regierung, auch die Alliierten und der US-amerikanische Geheimdienst CIA schützen die Ex-Nazis davor, vor ein Gericht gestellt zu werden.
Genau wegen dieser politischen Sprengkraft ist "Bonn" eine packende Agentenserie, wie man sie aus Deutschland selten bekommt. Phänomenal zeichnet Claudia Garde (sie inszeniert alle sechs Folgen) das damalige Deutschland unter Konrad Adenauer als ein Land der Biedermänner, in dem das offenkundig Spröde und Gemütliche der breiten Bevölkerungsmasse und ihrer Anzugträger nur zu leicht vergessen ließ, wie braun die Vergangenheit vieler ausgesehen hat. Die wohl beste Szene der Serie findet bei einer Karnevalsveranstaltung im Rheinland statt: Während die Jecken dort nämlich begeistert ihr "Alaaf" in Richtung der Bühne brüllen, hebt sich auch ihr rechter Arm. Ein alter Reflex eben.
Otto John vs. Reinhard Gehlen: "Bonn" ist ein spannender Agententhriller
"Bonn" wird immer dann zu einem Ereignis, wenn Otto John und sein Widersacher Reinhard Gehlen im Mittelpunkt stehen. Nicht nur werden beide hier als schillernde Personen illustriert, sondern beide kämpfen auch um das, was diese Serie selbst sein will: Vergangenheitsbewältigung. Verdrängt man den NS-Schrecken oder arbeitet man ihn vollumfänglich auf? Hier gelingen den Autoren ganz wunderbare Dialoge und Schlagabtausche. Man muss es gar als Geniestreich bezeichnen, Martin Wuttke als Gehlen zu besetzen. Sensationell spielt er diesen aalglatten und schmierigen "Bösewicht", als der Gehlen inszeniert wird. Es dürfte kein Zufall sein, dass für diesen Nazi-Kollaborateur in einer Machtposition jener Darsteller gewählt wurde, der 2009 in "Inglourious Basterds" vor einem weltweiten Publikum niemand geringeren als Adolf Hitler verkörperte.
"Alte Freunde, neue Feinde", so lautet der Untertitel. Die alten Freunde sind natürlich die ehemaligen braunen Uniformträger, die neuen Feinde dafür die Kommunisten. Und um sich vor diesen abzusichern, um "den Russen" notfalls in die Schranken weisen zu können, rüstete man bereits heimlich paramilitärisch auf – zum Schrecken von Otto John mit der Unterstützung ehemaliger SS-Männer und Wehrmachtssoldaten, all das klammheimlich von "den Amis" gedeckt. Es ist schlicht mitreißend, Sebastian Blomberg dabei zuzuschauen, wie er Otto John als das moralische Gewissen einer Nation im tiefsten ethischen Morast anlegt. Kostümbildnerin Petra Kray tat ihren Teil, um die gespaltenen 50er so authentisch wiederzubeleben, noch genialer gelingt das aber einigen erschreckenden Dialogzeilen. Etwa, wenn Gehlen über John verbittert tönt: "Einmal Verräter, immer Verräter." Der Verrat, den er meint, ist Otto Johns Teilnahme an der Widerstandsbewegung und seine Beteiligung am Stauffenberg-Attentat auf Adolf Hitler.
Eine zentrale Schwäche hält "Bonn" leider von wahrer Größe ab
So unterhaltsam und bewegend "Bonn" auch ist, so sehr haben sich die Macher in einem Aspekt gewaltig verhoben – gemeint ist die Hauptfigur Toni. Der Vorwurf gilt hierbei nicht Mercedes Müller, die ganz wunderbar diese zusehends empörte und verzweifelte Sekretärin verkörpert. Der Vorwurf richtet sich daran, wie plakativ mit diesem Charakter die Serie es sich immer wieder dort einfach macht, wo es kompliziert hätte werden müssen. Toni ist vom Drehbuch als eine moderne Frau unserer Zeit angelegt, die sich im Jahr 1954 gegen alle Widerstände in einer Männerwelt durchsetzt. Sie ist nicht nur Vorzeige-Feministin, sondern auch die ideale Spionin, politisch bestens aufgeklärt und stellt regelmäßig all die Fragen, die in der deutschen Gesellschaft erst mindestens zehn Jahre später wirklich aufkamen. Diese Figur ist pure Fiktion, und sie dient letztlich einzig und allein dazu, einem heutigen Publikum die teils unerträglichen Wahrheiten über die eigene Vergangenheit schmackhaft zu verpacken und zu entschärfen.
Das ist verheerend, weil sich Toni und ihr Weltbild allzu leicht als Störkörper entpuppen lassen. Und es hilft auch nicht, dass durch ihre persönliche Familiengeschichte sowie ihr Anbändeln mit einem windigen Spion der spannende Agententhriller häufig zu einem schmalzigen Melodram gerät. Erstaunlicherweise funktioniert "Bonn" die meiste Zeit trotzdem sehr gut – aber dann eher trotz als aufgrund der zentralen Hauptfigur.
"Bonn – Alte Freunde, neue Feinde" ist bereits in voller Länge in der ARD-Mediathek verfügbar. Folge 1 und 2 feiern am 17. Januar um 20:15 Uhr bei Das Erste ihre TV-Premiere, zur selben Sendezeit folgen einen Tag später die Episoden 3 und 4. Die letzten zwei Folgen werden am 24. Januar um 20:15 Uhr ausgestrahlt.