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Schluss nach 4 Staffeln: Warum die "Westworld"-Absetzung aufregt

Meinung | Dass Serien irgendwann zu Ende sind, ist ganz normal. Im Moment hört man aber ziemlich oft, dass Streamingdienste Projekte beenden, die sich nicht mehr lohnen. Einer dieser Fälle macht unseren Redakteur Michael Hille richtig wütend.

Absetzungen von Serien tun immer weh. Hinter jeder Serie, selbst hinter denen, die kein großer Erfolg wurden, steht eine treue Fangemeinde voller Personen, die durch ein frühzeitiges Ende enttäuscht werden. Auf diesem Gebiet ganz besonders schuldig gemacht hat sich dieses Jahr bereits der US-Dienst HBO. Der sägte nach zwei Staffeln das Sci-Fi-Epos "Raised by Wolves" ab – trotz der Tatsache, dass die letzte Folge mit einem offenen Ende alle Fragen offenließ. Finanziell eine womöglich nachvollziehbare Entscheidung, aber eben auch eine, die nachhaltig das Vertrauen in den Anbieter erschütterte.

Jetzt setzt man dort gleich noch einmal nach. Nach insgesamt vier Staffeln wurde nun bekanntgegeben, dass HBO auch "Westworld" nicht verlängern wird. Einst war die Serie 2016 als neues Prestige-Projekt gestartet, man erhoffte sich, dass "Westworld" (hierzulande bei WOW) einen Hype wie "Game of Thrones" auslösen könnte. Dazu kam es nie, also ist jetzt Schluss. Auch hier gilt: Finanziell ist das für HBO vielleicht ein logischer Entschluss. Und dennoch ist es im Serienbereich das wohl größte Ärgernis 2022.

Westworld: Eine einzigartige Serie

Foto: HBO, Große Serien-Kunst: "Westworld" erzählte eine Geschichte über das Geschichtenerzählen.

"Westworld" basierte auf dem gleichnamigen Film von 1973 und verfolgte ein geniales Konzept: In der nahen Zukunft gibt es für die Reichen und Mächtigen einen exklusiven Freizeitpark mit Wildwest-Motto, in dem alle herumlaufenden Mitarbeiter (Saloon-Damen, Cowboys, Lokfahrer, Schmiede, Farmer etc.) keine echten Menschen, sondern Androiden sind. Diese sind in Simulationsschleifen programmiert und ermöglichen so ein komplett "reales" Erlebnis. Wie Virtual Reality in Videospielen, nur noch einen Schritt weitergedacht. Diese Androiden können von den Park-Besuchern gerettet, geschlagen, getötet oder vergewaltigt werden – sie dienen nur als künstliche Avatare, um die eigenen niederen Gelüste zu befriedigen.

Doch natürlich, wie es in solchen Geschichten immer kommt, entwickeln die Androiden, unter ihnen die Farmerstochter Dolores (Evan Rachel Wood) und die Prostituierte Maeve (Thandiwe Newton), ein Bewusstsein, emanzipieren sich von ihrer Programmierung und drehen den Spieß irgendwann um. Obwohl diese Prämisse altbekannt ist, war "Westworld" eine Serie, wie es sie in der TV-Landschaft so noch nie gab. Sie war unfassbar hochwertig produziert, und sah oft gar teurer und epischer als "Game of Thrones" aus – erzählte aber eine komplex-verschachtelte Geschichte (teils gar auf verschiedenen Zeitebenen), wie man sie eher im Arthouse-Bereich erwarten würde. Und "Westworld" hatte noch eine weitere, ganz besondere Qualität: Sie erfand sich mit jeder Staffel komplett neu.

Die Absetzung von "Westworld" ist ein großer Fehler

Foto: HBO, "Westworld" hat sich mehrfach neu erfunden – hier in Staffel 4 mit "Breaking Bad"-Star Aaron Paul und "Mission: Impossible II"-Ikone Thandiwe Newton.

Die erste Staffel erzählte von der Bewusstwerdung der Androiden wie Dolores und Maeve, aber auch von den Männern im Hintergrund, den Leitern des Parks, angeführt von Dr. Robert Ford (Anthony Hopkins) und seinem Lakaien Bernard Lowe (Jeffrey Wright). In Staffel 2 kam es zur extrem blutigen Revolte im Park: Androiden töteten ihre Erschaffer, und einer der Besucher, der geheimnisvolle Mann in Schwarz (Ed Harris), deckte eine weitreichende Verschwörung auf. Ab Staffel 3 ging die Serie völlig andere Wege: Die Serie verließ den titelgebenden Park und spielte plötzlich in der Welt der Menschen, in einer Art "Blade Runner"-Utopie, neue Figuren wie der Bauarbeiter Caleb (Aaron Paul) standen plötzlich im Mittelpunkt. Und auch die vierte Staffel wählte einen neuen Ansatz, der so irrwitzig kompliziert ist, dass man ihn kaum in kurzen Worten wiedergeben kann. All das immer unterlegt mit fantastischer Musik von HBO-Allzweckwaffe Ramin Djawadi.

Nicht immer ist dem Autorenteam rund um die "Westworld"-Schöpfer Jonathan Nolan und Lisa Joy alles gelungen. Während Staffel 1 einstimmig zum Meisterwerk erklärt wurde, bekam insbesondere die dritte Staffel – zurecht – scharfe Kritik ab. Doch "Westworld" bereicherte das Serienerzählen enorm: Es war eine Wundertüte, die als eine von nur wenigen Produktionen noch zu echten Innovationen, zu Wagnissen und zu tatsächlichen Überraschungen fähig war. Es war eine Serie, die teuer war und dennoch mutig blieb, Dinge auszuprobieren, die andere Produktionen nie in Erwägung ziehen würde. Und: Hinter ihr steckte ein ausgeklügelter Plan. Schon vor dem Start der ersten Staffel vor mehr als sechs Jahren erklärten Nolan und Joy, die Serie für fünf Staffeln zu planen – und bereits den gesamten Handlungsbogen über alle fünf Staffeln ausgearbeitet zu haben.

Jetzt werden wir also nie sehen dürfen, wie diese Geschichte hätte enden sollen – eine Schande! HBO enttäuscht damit nicht nur zahlreiche Nerds, die "Westworld" bis zum Schluss die Treue hielten, sie zeigt auch ambitionierten Autoren, dass ihnen nicht zu trauen ist. Jahrelange Vorarbeit wird von HBO nicht honoriert und gewürdigt: Wenn es nicht läuft, setzt man fähige Serienschaffende auf die Straße.

In "Westworld" ging es um Spiele: Spiele mit virtueller Realität, Spiele als Persönlichkeitstests und um ein Spiel mit Sehgewohnheiten und Erwartungen. Tragisch also, dass "Westworld" selbst als Spielball eines Anbieters verendet, dem Qualität und Leistung nur so lange wichtig ist, wie die Zahlen stimmen.