Deutsche Serien feiern bei Streaminganbietern große Erfolge. Prime Video etwa landete Hits mit "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" oder "Luden", während Netflix sogar international mit deutschen Formaten wie "Dark" und "Barbaren" auftrumpfen konnte. Etwas verspätet zieht jetzt auch Disney+ nach, mit einer Serie, die auf wahren Begebenheiten beruht: "Sam – Ein Sachse" erzählt vom ersten Schwarzen Polizisten Ostdeutschlands.

Aber kann Disney+ dank dieser Produktion mit der Konkurrenz bei Netflix und Prime mithalten? Erreicht man vielleicht sogar das Niveau von "Dark"? Feststeht: Ganz unabhängig von diesen Fragen sollte man "Sam – Ein Sachse" ansehen. Vermutlich nie zuvor hat eine deutsche Serie so ausführlich beleuchtet, was es bedeutet, afrodeutsch zu sein.

Aufstieg und Fall des ersten Schwarzen Polizisten Ostdeutschlands

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Malick Bauer ist großartig als Titelfigur in "Sam – Ein Sachse".

"Sam – Ein Sachse" erzählt die Lebensgeschichte von Samuel Njankouo Meffire. Der Sohn eines kamerunischen Vaters und einer deutschen Mutter wird Anfang der 1990er der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands und erlangt 1992 bundesweite Aufmerksamkeit, als er im Auftrag der Sächsischen Zeitung zum Gesicht einer Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit wird. Viel Druck liegt auf ihm: Einerseits ist er mit Rassismus in den eigenen Reihen konfrontiert, muss draußen auf der Straße gegen die erstarkende Neonazi-Szene in Dresden vorgehen – und soll andererseits seinem aufgezwungenen Image als Posterboy eines neuen, liberalen Sachsens gerecht werden.

Die Serie zeigt all dies: Sein Erwachsenwerden in der DDR, den Aufstieg zum Polizisten, seine ersten Berührungspunkte mit dem westdeutschen Kapitalismus – und schließlich auch seinen Fall. Seine Karriere endete nämlich schon 1994, als er den Dienst quittierte, sich selbstständig machte und kurz darauf selbst verhaftet wurde. Knapp sieben Jahre saß er im Gefängnis, hatte sich des Raubes, der schweren Körperverletzung und der Nötigung schuldig gemacht. Danach kämpfte er sich zurück in die Legalität, wurde Buchautor, Sozialarbeiter und gründete eine Familie. Er selbst war in die Produktion der Serie involviert.

"Sam – Ein Sachse" ist trotz vielen Schwächen Pflichtprogramm

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"Sam – Ein Sachse" ist nicht perfekt. Aber wie in der Serie Schwarzes Leben in Deutschland zelebriert wird, ist großartig und ein Meilenstein fürs deutsche Fernsehen.

Die sieben Folgen von "Sam – Ein Sachse" haben viele offensichtliche Schwächen, die man anprangern kann: Für eine so beeindruckende und wendungsreiche Biografie wie die von Samuel Meffire finden die Serien-Macher rund um Jörg Winger, Tyron Ricketts und Christoph Silber nur selten die entsprechenden Bilder. Die Erzählung von Aufstieg und Fall hakt brav alle Stationen ab, die man zur realen Person auch bei Wikipedia lesen kann – und dazwischen finden sich in den Dialogen ein paar unschöne Klischees sowie abgedroschene Stilmittel. Die Trainingsmontage der 80er kehrt hier ohne jede Ironie zurück und bei der Musikauswahl changiert man zwischen zuckrigen Balladen und knallhartem Rap. Sonderlich einfallsreich ist das nicht, und der Versuch, das persönliche Drama des Protagonisten mit politischen Zwischentönen anzureichern, nutzt deutlich zu oft den sprichwörtlichen Holzhammer.

All das sind Probleme, die sich im Verlauf der Staffel bemerkbar machen und "Sam – Ein Sachse" leider davon abhalten, ein neues "Dark" zu sein. Zugleich ist "Sam – Ein Sachse" eine Serie, die man für vieles loben muss: Allen voran dafür, dass sie die erste große deutsche Produktion ist, die sich ausführlich der afrodeutschen Lebensrealität widmet. Wie differenziert Samuel Meffire als ein Mann gezeigt wird, der zugleich Held und tragischer Verlierer seiner eigenen Lebensgeschichte ist, sowohl in die Täter- als auch in die Opferrolle gedrängt, und gleichzeitig immer auch darum kämpfen muss, seine eigene Autonomie zu wahren, ist phänomenal. Getragen wird das vom grandiosen Hauptdarsteller Malick Bauer, der aus dem ohnehin schon bunten und durch die Bank starken Ensemble (u.a.: Svenja Jung, Ivy Quainoo, Martin Brambach) noch herausragt.

In den wichtigen Momenten ist "Sam – Ein Sachse" ein ungemein packendes historisches Drama, dass nie in plumpe Schubladeneinteilungen verfällt, sondern intelligent Alltagsrassismus zur Schau stellt – etwa, wenn Sam nachts dem Krankenwagen hinterher hetzen muss, in dem seine schwangere Freundin gerade wegen ihrer Wehen liegt – weil man ihn nicht im Wagen mitnehmen wollte. Aufregend gut fotografiert ist auch gleich zu Beginn ein brutaler Angriff von Neonazis. Und ein ganz besonderes Highlight stellt die dritte Episode dar, die sich ausführlich der Schwarzen Aktivistin May Amin widmet. Wie hier in 60 Minuten das afrodeutsche Leben in all seinen Facetten zelebriert und gefeiert wird, ehe wieder die bittere Realität an die Tür klopft, ist großartig und leider für deutsche Produktionen noch ein Nischenthema.

"Sam – Ein Sachse" mag aus filmtechnischen Geschichtspunkten kein zweites "Dark" sein. Dennoch handelt es sich hier um eine der relevantesten deutschen Serien der letzten Jahre. Sie zeigt auf, welchen langen und harten Weg Schwarze Bürger in diesem Land einst gehen mussten – und leider heute noch weitgehend müssen.

"Sam – Ein Sachse" ist seit dem 26. April bei Disney+ verfügbar.