Es klingt kurios, bei einer deutschen Serie, die von deutschsprachigen Serienschaffenden in Deutschland produziert wurde, aber: Wer "1899" bei Netflix gucken will, sollte dringend die Sprachausgabe auf "Englisch" umstellen. Leider muss man nämlich sagen: Wer die deutsche Synchronfassung anguckt, versaut sich einen Großteil des Spaßes.
Das ist vor allem schade, weil es sich bei "1899" um die neue Serie von Baran bo Odar und Jantje Friese handelt, die für Netflix bereits "Dark" verwirklichten und international in den höchsten Tönen einstimmig gelobt wurden. "1899" verdient dieselbe Anerkennung und gerade hier in Deutschland will man diese Mammutproduktion unterstützen. Doch die deutsche Tonfassung macht es einem schwer, begeistert zu sein.
Deutsche Synchro entstellt das Konzept von "1899"
"1899" spielt in eben jenem Jahr auf dem Passagierschiff Kerberos, das von Europa in die Vereinigten Staaten von Amerika fährt und einen Haufen an Migranten an Bord hat, die sich abseits ihrer Heimat ein neues und besseres Leben aufbauen wollen. Auf der Kerberos befinden sich also Menschen verschiedener Nationalitäten: Deutsche, Engländer, Spanier, Franzosen und Niederländer. Und das ist für die Handlung der Serie immens wichtig: Im Originalton (bei Netflix heißt dieser irreführend "Englisch") sprechen alle Charaktere nur in ihrer Muttersprache. Die Spanier können sich so ungestört miteinander unterhalten, da sie wissen, dass niemand sonst an Deck sie verstehen kann. Gerade damals war es schließlich noch sehr unüblich, mehrsprachig aufgestellt zu sein. Alle Dialoge sind also untertitelt.
In der deutschen Synchronfassung werden stattdessen sämtliche Dialoge komplett eingedeutscht. Die Spanier sprechen jetzt genauso deutsch wie die Engländer und die Deutschen. Das führt aber inhaltlich zu enormen Problemen: Immer wieder müssen die Figuren sich mit Händen und Füßen verständigen und kreative Wege finden, um zu kommunizieren. In der deutschen Fassung wird das gänzlich ad absurdum geführt. Viele Szenen ergeben schlagartig gar keinen Sinn mehr. Bei anderen Dialogen wird der Inhalt einfach dreist geändert. Ein Beispiel: In der Originalfassung der ersten Folge verkündet ein Spanier seinem Landsmann gegenüber lautstark im Speisesaal: "Ich kann brüllen und schreien, was auch immer ich will. Diese Leute verstehen uns doch sowieso nicht." In der deutschen Tonfassung sagt er stattdessen: "Ich kann brüllen und schreien, was ich will. Mir ist es eh egal, was diese Leute über mich denken."
Es ist grotesk, aber die neue deutsche Netflix-Serie "1899" ist besser, wenn man sie nicht auf deutsch ansieht. Zugegeben: Viele mögen das Lesen von Untertiteln nicht, empfinden es als lästig. Hier ist es jedoch die richtige Wahl und trägt immens zur Spannung und Atmosphäre an Bord der Kerberos bei.