Aller Anfang ist schwer - diese Binsenweisheit gilt selbst für eine Erfolgsserie wie "Game of Thrones". Aus heutiger Perspektive mag man es kaum glauben, aber als die Showrunner David Benioff und D. B. Weiss im Jahr 2010 ihren Pilot-Film bei HBO vorstellten, waren die Bosse des US-Senders alles andere als begeistert. Im Gegenteil: Sie lehnten ab und forderten die Macher auf, die Serie komplett umzukrempeln.

Bis die erste Episode "Game of Thrones" im April 2011 auf die Bildschirme kam, mussten mehr als 90 % des ursprünglichen Piloten umgeschrieben und neu gedreht werden. "Es war eine der schmerzhaftesten Erfahrungen meines Lebens", beschrieb David Benioff den Tag, an dem das Test-Screening seines Pilot-Films stattfand.

George R. R. Martins Einfluss auf Staffel 8

Die Geschichte dieser ersten Episode ist inzwischen in Vergessenheit geraten, dabei erzählt sie sehr viel darüber, wie schwierig es ist, einen soliden Unterbau für eine komplexe Serie zu erschaffen. Viele Aspekte, die umgeschrieben werden mussten und heute als selbstverständlich gelten, sind essentiell für die märchenhafte Erfolgsstory, die "Game of Thrones" in den letzten acht Jahren geschrieben hat.

Aber der Reihe nach: Schon seit Jahren schwirren im Internet Drehbuchversionen herum, die angeblich die Grundlage für die niemals ausgestrahlte, erste Episode sein sollen. Nun hat ein Autor der amerikanischen Huffington Post die Cushing Memorial Library der texanischen Universität A & M besucht und dort Originalmanuskripte ausfindig machen können. George R. R. Martin - Schöpfer der Buchvorlage "Das Lied von Eis und Feuer" - hat dort seine Bücher archivieren lassen, weil er sich, wie es in dem Bericht der Huffington Post heißt, in den 70er-Jahren "in die Sci-Fi-Sammlung der dortigen Bibliothek verliebt hat". Eine ganze Wand sei mit der Westeros-Saga von Martin gefüllt und neben den Roman-Manuskripten existiert auch ein Produktionsentwurf zur nie gezeigten, ersten "Game of Thrones"-Episode.

Diese ist auf den 22. Oktober 2009 datiert und damit auf eine Zeit, zu der die Dreharbeiten des unveröffentlichten Pilot-Films begannen. Das Skript führt Tom McCarthy als Regisseur, der später, in der gesendeten Premiere von Tim Van Patten ersetzt wurde. Diese Infos sind verbürgt, weswegen davon ausgegangen werden kann, dass es das echte Drehbuch ist. Drei Beispiele aus den Figurensträngen der Weißen Wanderer, von Jon Schnee (Kit Harington) und der Lannister-Regentin Cersei (Lena Headey) geben Hinweise zum Ende der bevorstehenden achten Staffel (Start am 14. April) , zeigen aber vor allem, wie viel besser die letztlich tatsächlich ausgestrahlte Auftaktepisode von "Game of Thrones" ist.

Sprechende Weiße Wanderer

Sechs Staffeln lang stapften die Weißen Wanderer bedrohlich durch die Hinterlande von Westeros. Nun, nach ihrem großen Auftritt in der 7. Staffel "Game of Thrones", stehen sie plötzlich im Mittelpunkt der Handlung. Denn die große Frage für das Ende von GoT lautet: Können Jon, Daenerys und Co. die Armee des Nachtkönigs abwehren oder versinkt die Welt im Eis? Die vom Nachtkönig und seinem Heer ausgehende mystische Bedrohung ist auch deshalb so wirkungsvoll, weil niemand sicher sagen kann, was ihr erklärtes Ziel ist.

Der Grund ist schnell gefunden: Sie sprechen nie. Das war im ersten Serienentwurf noch anders. Dort hieß es, die Weißen Wanderer würden eine Sprache sprechen, die klingt wie "das Knacken von Eis an einem Wintersee". In dem Huffington Post-Artikel ist sogar eine Audiospur zu finden, die David Peterson, der Schöpfer der "Game of Thrones" -Sprache, dem Medium zur Verfügung gestellt hat. Die Sprache wurde Skroth genannt, fand aber letztlich keine Verwendung. Obwohl Peterson berichtet, dass es später erneut Diskussionen gegeben habe, sie in der zweiten Staffel einzusetzen. Schließlich fiel der Entschluss zu ungunsten der Fantasy-Sprache: "Sie (Anm. d. Red.: Benioff und Weiss) sagten, sie hätten es versucht, und es hat einfach nicht funktioniert, also haben sie die Idee aufgegeben", so der Architekt hinter dem Sprachcode der Serie.

Die Kinder des Waldes sollten ursprünglich ebenfalls eine eigene Sprache bekommen, doch die Macher hatten die Befürchtung, Untertitel würden dem Spannungsaufbau der Serie schaden - also kam auch diese niemals zum Einsatz.

Ein betrunkener Jon Schnee

In der ersten Drehbuchversion kam der heutige Hauptcharakter Jon Schnee/Targaryen unvorteilhaft davon. Anders als es damals bei HBO zu sehen war, sitzt Jon in der Großen Halle von Winterfell an einem Tisch mit Benjen Stark und betrinkt sich derart stark, dass er vom Stuhl kippt. Die Szene entspricht vielmehr dem, was George R. R. Martin in seiner Buchvorlage beschrieb:

"Er muss mehr Wein getrunken haben, als er gedacht hatte. Seine Füße verhedderten sich, als er zu gehen versuchte. Er taumelte zu einem Dienstmädchen und stieß eine Flasche Wein auf den Boden. Gelächter dröhnte um ihn herum."

Ein aus heutiger Sicht Jon-untypisches Verhalten. Wir erinnern uns: In der Auftaktepisode, die 2011 ausgestrahlt wurde, muss Jon auf Befehl von Catelyn Stark draußen bleiben und darf nicht am Festmahl im Großen Saal teilnehmen. Die Charaktereinführung ist eine symbolische Ausgrenzung für Jon, von dem alle denken, er wäre der Bastardsohn von Ned Stark. Vor allem die ständige Diffamierung Jons aufgrund der scheinbar unehelichen Herkunft treibt die Figurenentwicklung im Verlauf der bislang gezeigten 67 Episoden voran. Heute ist Jon eine geachtete und hochgeschätzte Persönlichkeit in "Game of Thrones". Eine Figur, die sich alles hart erkämpft und den Aufstieg vom geächteten Bastard zum legitimen Erbe des Eisernen Throns gemeistert hat.

Solch eine Geschichte wäre mit dem Einstieg als tollpatschiger Trunkenbold kaum glaubhaft zu machen gewesen.

Cersei und die Feder aus der Stark-Gruft

Eines der aktuellesten Beispiele aus dem Drehbuchpiloten dreht sich um die Feder, die im neuen Teaser-Trailer zur achten Staffel "Game of Thrones" zu sehen ist. Dort liegt sie in der Familiengruft der Starks, zu Füßen der Statue von Lyanna Stark. Als am Ende des Videos eisiger Wind aufzieht, friert sie ein. In der ersten Folge, die 2011 ihre TV-Premiere feierte, legt Robert Baratheon eine Feder in die Hände der Lyanna Stark-Statue. Eine symbolische Geste für seine nie enden wollende Liebe zu ihr.

Der missglückte Pilot wählte diese Szene auch. Allerdings folgt darauf eine Sequenz, in der Cersei Lannister die Gruft betritt und sich dieser Feder annimmt. Sie bringt sie einem ihrer Lannister-Gefolgsleute und erteilt den Befehl, sie verbrennen zu lassen. Die Feder wäre also 1) niemals in der vierten Episode von Staffel 5 aufgetaucht, als Sansa sie findet und ungläubig betrachtet und 2) hätte sie niemals eine Rolle in dem ersten großen Spannungsteaser für die letzte Staffel "Game of Thrones" spielen können.

Es sind die kleinen Dinge, die die Serie von David Benioff und D. B. Weiss im Verlauf der acht Staffeln so erfolgreiche gemacht haben. Viele detailversessene Fans haben noch so scheinbar banal wirkende Hinweise in der Serie entschlüsselt und zu einem großen Puzzle zusammengefügt, noch heute dreht sich das Rad der Gerüchte, Theorien und Spekulationen so schnell und ergiebig, wie in kaum einer anderen Serienproduktion unserer Zeit. Eines dieser entscheidenden Details - eine harmlose Feder - hätte niemals die Bedeutung erlangt, das es heute hat.

Die Vogel-Feuer-Theorie

Aber der verworfene Gedanke der Showrunner gibt uns auch Raum zur Interpretation: Warum wollte Cersei die eigentlich so bedeutungslose Feder unbedingt vernichtet wissen?

Vögel spielen in "Game of Thrones" schon immer eine wichtige Rolle. Es gibt das Spionagenetz von Varys "kleinen Vögeln", den einflussreichen Hohen Spatz in Königsmund, den Dreiäugigen Raben, und dann wäre da noch Sansa, die oft als "kleine Taube" bezeichnet wurde. All diese Charaktere haben etwas gemeinsam: Sie werden missverstanden, unterschätzt und sind doch im Besitz von mächtigen Informationen. Die Feder könnte darauf hindeuten, dass auch Lyanna eine missverstandene Figur war, ein weiterer "kleiner Vogel". Die Feder schwebt wie ein unausgesprochenes Geheimnis/Vermächtnis über ihr und könnte auch als Symbol für ihr Kind, Jon, dienen.

Bis zum Ende der 7. Staffel glaubten alle Zuschauer immer noch, dass Lyanna von Prinz Rhaegar entführt und vergewaltigt worden war. Es war nicht bekannt, dass sie und Rhaegar tatsächlich verliebt waren und geheiratet hatten, bevor sie das gemeinsame Baby bekam - ein Geheimnis, das sie im Sterbebett ihrem Bruder Ned flüsterte. Nun spielt diese Verbindung zu Jon für die 8. Staffel eine wichtige Rolle. Könnte es sein, dass Cersei die Feder in dem ausrangierten Pilotskript verbrannte, weil es ein Hinweis auf das Ende der Serie beinhaltet?

Cersei spricht gerne davon "die Städte ihrer Feinde niederbrennen" zu lassen und in dem Teaser, der bereits vergangenes Jahr veröffentlicht wurde, sehen wir den ikonischen Löwen der Lannisters in Flammen aufgehen. Möglicherweise kommt es zum feurigen Endkampf zwischen Cersei und Jon, der als Targaryen immerhin auf einem Drachen gen Königsmund reiten könnte, um der Lannister-Regentin eine heiße Föhnfrisur zu verpassen. Auch dazu bekamen wir bereits einen Hinweis: Einst sah Daenerys Targaryen in einer Vision, wie die Thronhalle von Königsmund in Schutt und Asche liegt.

Kommt es wirklich zu diesem Ende, hättte die misslungene Pilot-Episode der heute gefeierten "Game of Thrones"-Macher doch noch etwas geleistet.