Serien auszustatten ist oft ein undankbarer Job. Wenn man alles richtig macht, fällt der Aufwand dahinter kaum auf. Aber sobald mal aus Versehen ein Kaffeebecher in "Game of Thrones" herumsteht, wird gleich der Kopf des Production Designers gefordert.

Die Netflix-Serie "Dark" ist jedoch einer der seltenen Fälle, in denen die Ausstattung regelrecht ins Auge sticht. Denn Szenenbildner Udo Kramer muss nicht nur drei Jahrzehnte – die 20er, 50er und 80er – authentisch zum Leben erwecken. Er darf dazu noch eine apokalyptische Zukunft gestalten und Maschinen erfinden, mit denen man durch die Zeit ­reisen kann. Mit TV SPIELFILM hat der Wahlberliner, der seine Profession auch an der Filmuniversität Babelsberg lehrt, über seine Arbeit gesprochen.

Ihr wollt vorab die verworrenen Familienbeziehungen rekapitulieren und euch einen Überblick über die mindestens drei Generationen von Familie Nielsen, Tiedemann, Kahnwald und Doppler verschaffen? Wir haben Stammbäume für euch angefertigt und erklären die Zusammenhänge in einer ausführlichen Podcast-Analyse:



Nun berichtet Udo Kramer, wie die Epochen gestaltet sein müssen, damit sich die Figuren darin wirklichkeitsnah bewegen können:

Interview zur 2. Staffel der Netflix-Serie

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"Dark" Season 2: Ein Plakat aus der Zukunft

Die zweite Staffel von "Dark" führt zwei neue Zeitebenen ein. Überwiegt da Freude oder die Sorge, wie das zu schaffen ist?
Udo Kramer: Für mich ist das ein großer Spaß. Man freut sich auf neue Herausforderungen.

Wie viel Zeit haben Sie, um alles vorzubereiten?
Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass der Dreh bereits beginnt, während die Bücher noch weiterentwickelt werden. Bei "Dark" waren aber die Drehbücher bereits fertig, und man konnte ganze Systeme austüfteln und aufeinander abstimmen.

Das heißt, Sie sind bereits in der Drehbuchphase eingebunden…
Die Bücher entstehen ja nicht an einem Tag, vorher gibt es die Outlines. Wenn man die liest, geht schon die Ideensuche los. Und aus dieser Konzeptphase entstehen erste Designideen, von denen sich dann erstaunlich viele auch in der Serie wiederfinden. Wenn die Bücher fertig sind, wird es schnell konkret. Diese Umsetzungsphase dauert bei mir acht bis zwölf Wochen.

Wie sehr sind die Showrunner in den Designprozess involviert?
Außergewöhnlich bei Jantje (Friese) und (Baran) Bo (Odar) ist, dass bei ihnen Wort, Bild und die Emotionen, die sie hervor­rufen wollen, zusammengehen. Sie denken und fühlen filmisch. Daher geht das Übersetzen von Texten in Bilder sehr gut.

Ein Production Designer muss Budgets einhalten. Gibt es Tricks, um Geld zu sparen?
Tatsächlich geht es nicht darum, einzelne Ideen möglichst günstig umzusetzen. Was wesentlicher ist, ist, den gesamten Prozess des ­Filmemachens zusammen zu betrachten. Das zu verstehen gehört zum Beruf des Designers. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Es wäre theoretisch günstiger, an einem echten Höhleneingang im Harz zu drehen. Aber mit dem Team dort hinzufahren und die Übernachtungen zu zahlen kostet mehr, als die Höhle genau so, wie man sie haben möchte, herzustellen. So habe ich viel Geld ausgegeben, aber auch viel gespart.

Detailversessenheit: Warum "Dark" zeitlos ist

Wie wichtig sind Details? Wenn beispielsweise ein Buchregal in der Szene ist, spielt es eine Rolle, welche Bücher darin stehen?
Das kommt ein bisschen auf den Zusammenhang an. Wenn die Bücher Teil der Handlung sind, ist es natürlich wichtig. Wenn es Dekoration ist, hat es ein wenig damit zu tun, wie der Ort wahrgenommen wird. Wenn man 50 bis 60 Bücher hat, um eine Wand zu dekorieren, muss man vorher schon wissen, welche Bücher: Reclam-Hefte oder 80er-Jahre-Sachbücher. Aber da ist eher das Grafiklayout entscheidend als der ­Inhalt. Bücher über Arbeitsrecht haben ein anderes Design und passen vielleicht besser zu einer Person als die Gesamtausgabe von Karl May.

Wird vorher im Drehbuch festgelegt, welche Ausstattungsgegenstände essenziell für die Handlung sind?
In der Regel ja, aber nicht immer. Man würde in einer Küche auch nicht jeden Schrank befüllen, aber schon Dinge, mit denen man spielen kann. Auch wenn es nicht im Drehbuch steht, macht es vielleicht Sinn, eine Schublade rauszuziehen, und die hat einfach eine gewisse Tiefe. Sodass der Schauspieler nicht das Gefühl hat, er steht zwischen Pappwänden.

Bei "Dark" stehen gleiche Sets in verschiedenen Zeitebenen. Wie lange dauert die Umgestaltung?
Wir haben immer vier bis fünf Tage dafür gerechnet. Letztlich kommt es auf die Verfügbarkeit der Schauspieler, manchmal auch auf die Verfügbarkeit der Motive an. Wir versuchen das so zu organisieren, dass man jede Zeit möglichst nur einmal einrichtet.

In vielen Sets sieht man nicht nur Gegenstände aus der Zeit, sondern auch ältere. Ist das wichtig, damit es realistisch wird?
Absolut. Das hat auch den Hintergrund, dass das, was wir etwa mit 50er-Jahre beschreiben, ja nur ein Look ist. In Wirklichkeit war es fünf Jahre nach Kriegsende. Da sind die Kontraste interessant zwischen einer sich langsam entwickelnden Epoche und einzelnen Menschen, die im Kopf weiter sind. Auch die Kostüme spiegeln das wider. Deswegen laufen eben auch nicht alle im Petticoat rum. Die Modebewussten tragen Unikate, während das Gros hinterherschleift.

Ist es dabei wichtig, dass alle Gegenstände historisch absolut akkurat sind? Oder kommt es da auf ein, zwei Jahre nicht an?
Mir ist es schon wichtig, dass alles so stimmt. Ich schließe nicht aus, dass uns auch mal ein Fehler unterläuft, aber wir recherchieren so etwas im Internet oder schreiben die Firmen an und fragen nach Produktblättern, um wirklich die Baujahre zurückzuverfolgen. Man schaut auch auf die 80er interessanterweise schon mit diesem klassischen Nostalgiefilter. Und da ist es schon wichtig, sich nicht auf Erinnerungen zu berufen, sondern das recherchebasiert zu machen. So bekommt man einen anderen Realismusgrad.

Zukunft ist Vergangenheit in "Dark"

Eine vergangene Epoche zurück­zuholen scheint einfacher, als die Zukunft zu gestalten. Was waren die Ansatzpunkte für die Optik des Jahres 2053, also einer postapokalyptischen Zeit?
Da wäre zunächst eine Recherche der zeitlichen Abfolge und der Veränderungen in ähnlichen Fällen. Und das sind hier Fukushima und Tschernobyl. Der Trick dabei ist, die gewonnenen Erkenntnisse nicht alle auf einmal hineinzu­packen. Man muss immer die richtige Balance zwischen Plakativität und Subtext finden. Um ein Beispiel zu nennen: In Tschernobyl-Dokus sieht man geordnete Evakuierungen. Doch das sind meist politisch motivierte Dokumentationen, die eine Botschaft vermitteln wollten. Filmisch ist es häufig effektiver, einfach den Abschied von zwei Menschen zu zeigen, mit denen man eine Verbindung hat. Und im Hintergrund läuft der Überbau ab, indem eine Buskolonne durch das Bild fährt.

Wie realistisch ist die Innen­einrichtung des Atomkraftwerks in der Serie?
Die ist eher Fantasie, aber eine realistische Fantasie. Es gibt ein paar Dokumentationen in denen man das Herz eines AKWs, die Kontrollräume, sieht. Die Büros sieht man weniger. Aber ein Atomkraftwerk unterscheidet sich dort nicht sehr von anderen Kraftwerken. Der Unterschied liegt in erster ­Linie darin, wie das Wasser erhitzt wird, das als Dampf die Turbinen antreibt. Daher kann man an herkömmlichen Kraftwerken gut Abläufe verfolgen und sieht schnell, wie profan das Büro eines Kraftwerkchefs eigentlich ist.

Wo haben Sie die Häuser für den Ortseingang zur Zeit des Jahres 1921 gefunden?
Das ist ein Bahnhofsensemble aus der Gründerzeit. Offizielle Gebäude wurden länger im Original­zustand gehalten als Gebäude in Privatbesitz. Es gibt dort auch nur diese zwei Häuser. Aber durch die Inszenierung wirkt es, als beginne dahinter der Ort. Das war wichtig, denn wir haben bei "Dark" immer eine erste Totale, wo man auf den ersten Blick erkennen soll, wann und wo wir gerade sind.

Das heißt, ein Production Designer muss sich auch immer mit Location Scouts abstimmen…
Die Arbeit mit Location Scouts ist gerade zu Beginn essenziell. Jeder Designer hat normalerweise einen Scout seines Vertrauens. Man findet in der Regel ja nie genau das, was man sucht. Sondern was anderes, was unter Umständen besser ist. Historische Motive zu suchen ist übrigens einfacher, weil die Auswahl kleiner ist.

Einer der interessantesten Gegenstände ist der Zeitreisekoffer. Wie ist der entstanden?
Das war ein längerer Prozess. Die erste Idee war, eine Maschine zu erfinden, die in der Zukunft und Vergangenheit gleichberechtigt ist. Es sollte also weder ein futuristisches noch ein historisches Gerät sein. Und darauf basierend haben wir geschaut, was für Designkonzepte es für die Zukunft gibt und wie alte Mechaniken aussehen. Da es mit Zeitreise zu tun hat, liegt der Verweis auf Uhren nahe. Daher ist es eine Kombination aus einer Uhr und einer futuristischen Antriebstechnik. Wir haben also dort, wo bei einer normalen Uhr das Schwingsystem sitzt, unseren Magnetantrieb eingebaut. Und dann muss das Ganze natürlich noch so kompakt sein, dass man damit reisen kann.

Viele Designer verewigen sich in ihrem Set. Ist das bei "Dark" auch so?
Ein Foto von mir als Polizeipräsident hängt in den 90ern an der Wand. Ich weiß allerdings nicht, ob das je im Bild zu sehen war. Und unser Team hat sich als ­Verstorbene in der Zukunft verewigt…