Wenn die Nacht hereinbricht, ist die Illusion perfekt. Schwarze Luxuslimousinen kreuzen die Friedrichstraße. Manchmal hält ein Horch oder ein Mercedes vor einem Club. Frauen prüfen im Schaufenster, ob der Glockenhut richtig sitzt. Männer schauen neugierig auf das Geschöpf hinter der Glasscheibe des Moka Efti. Die Lady sitzt auf einer Schaukel, bewacht von einer Riesenschlange aus Papier, und lächelt lasziv.

Regisseur Achim von Borries ist zufrieden. Auf dem Monitor, der vor ihm steht, sieht alles noch intensiver aus. Das Schwarz der Nacht samtiger, das Silber der Kühlerfiguren kälter. Ursprünglich sollte der Straßenbelag mit Wasser besprüht werden, damit sich die Lichter der Laternen am Boden stärker spiegeln. Aber auf diesen Wet-down musste der Filmemacher verzichten. Da spielten die Besitzer der acht Oldtimer nicht mit. Sie hatten Angst, ihre kostbaren Autos würden bei gefrierender Nässe von der Fahrbahn abkommen.

Die Dimensionen des Sets sieht man nur bei Tageslicht. Das Berlin des Jahres 1929 entstand auf dem Gelände von Studio Babelsberg in Potsdam. Für die Macher der Krimiserie "Babylon Berlin" war es ein Glücksfall, dass das Studio ohnehin dauerhafte Kulissen in großem Maßstab bauen wollte. 2013 war der Pachtvertrag für die sogenannte Berliner Straße abgelaufen, die Kinofilmen wie "Sonnenallee" als Spielplatz diente.

Beim Bau der Neuen Berliner Straße war X Filme Creative Pool, die Firma, die "Babylon Berlin" produziert, von Anfang an dabei. Als Erstmieter konnten Szenenbildner Uli Hanisch und sein Team die Gestaltung der Häuser maßgeblich bestimmen. Bis zu 300 Handwerker hämmerten, sägten und malten sechs Monate lang auf der 15 000 Quadratmeter großen Baustelle. Wegen des weichen Sand- bodens verlängerten sie die Kulissen sieben Meter tief in die Erde, schließlich sollen sie 50 bis 60 Jahre halten. Als besonders aufwendig entpuppte sich die Gestaltung der Fassaden. Ihr Schmuck markiert in dem ansonsten architektonisch relativ homogenen Berlin der Zwanzigerjahre die feinen Unterschiede: je mehr Akanthusblätter und Stuckornamente, desto nobler die Adresse.

Fassen Sie ruhig an", sagt ein aufgekratzter Stefan Arndt. Der Produzent führt mit wehendem Jackett und breitem Lächeln durch die Traumstadt, die er in Babelsberg hat errichten lassen. Wir stehen vor einem Wohnhaus, in dessen Erdgeschoss eine Apotheke mit homöopathischen Produkten wirbt, auch das gab es 1929 schon. Die Wand fühlt sich erstaunlich fest an. Unter dem Putz verbergen sich Siebdruckplatten, schweres Holz, wasserdicht versiegelt. Der Weg führt vom vornehmen Charlottenburg ins proletarische Wedding. In einem Hinterhof kleben Wahlkampfplakate der KPD. Hier wohnten die Arbeiter, die am 1. Mai 1929 trotz Verbots durch die SPD-Stadtregierung auf die Straße gingen. Die Polizei reagierte mit übergroßer Härte, es kam zu Unruhen, in deren Verlauf 33 Zivilisten getötet wurden: eine zentrale Szene in der Romanvorlage "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher und auch in der Verfilmung. Der Aufwand, der für die Inszenierung dieses Ereignisses in "Babylon Berlin" betrieben wird, erinnert eher an Kino als an Fernsehen: 20 Schauspieler und 500 Komparsen kann sich kein "Tatort" leisten. "Babylon Berlin" spielt in einer anderen Liga. Es ist die Champions League des internationalen Qualitätsfernsehens. Dort, wo Serien wie "Homeland" oder "House of Cards" den Ton angeben, will man hin. Man muss es auch. Mit 40 Millionen Euro für 16 Folgen à 45 Minuten ist das Gemeinschaftsprojekt von Sky und ARD so teuer, dass es ohne den Verkauf an ausländische Sender nicht zu stemmen wäre.

Selbst Stefan Arndt hatte manchmal Zweifel, ob die Rechnung aufgeht. Die Einführung des Mindestlohns am 1. Januar 2015 sprengte das Budget für Komparsen. In Budapest wäre man billiger davongekommen. Und ein Dreh auf Englisch hätte sich möglicherweise leichter vermarkten lassen. Doch Regisseur Tom Tykwer, seit 30 Jahren Arndts Partner, sträubte sich. Zu Recht, wie der Produzent ironisch einräumt: "Es ist trotz der grassierenden Unbildung in der Welt bekannt, dass die Menschen im Berlin der Zwanzigerjahre Deutsch gesprochen haben." Um international akzeptiert zu werden, braucht eine Serie neben hohem Schauwert eine horizontale Erzählweise und die viel beschworene Authentizität. Die erreicht man, so der Grundgedanke, eben nicht mit einem englischen Drehbuch zu einer deutschen Geschichte.

Frédéric Batier/X Filme

Hauptdarsteller Volker Bruch

Tom Tykwer weiß, wie Szenen an Größe gewinnen. Sein Kinofilm "Cloud Atlas", ebenfalls in Babelsberg gedreht, war visuell eindrucksvoller als vieles aus Hollywood. Und mit "Sense8" (Netflix) hat der Regisseur auch schon internationale Serienerfahrung. Aber "Babylon Berlin" verlangte ihm noch einiges mehr ab. Zwei Jahre lang arbeitete er mit den Co-Autoren und -Regisseuren Achim von Borries und Henk Handloegten am Drehbuch. Gedreht wurde 180 Tage lang, teilweise mit drei Teams. Während im Studio Babelsberg das Moka Efti Gestalt annimmt, zeichnen die Kameras im ehemaligen Stummfilmkino Delphi Tanzszenen auf. Dessen Foyer wiederum fanden die Locationscouts im Eingangsbereich des 1914 gebauten Nordsternhauses. Ein wenig echte Gefahr, wie sie in der Berliner Unterwelt in den Zwanzigern herrschte, kam beim Dreh auch auf. "Nach einem hitzigen Lauf durch einen heftigen Schusswechsel hat mich ein Projektilknall ungeplant nah am Kopf erwischt. In den folgenden Wochen begleitete mich ein Tinnitus als Untermieter in meinem Ohr", erinnert sich Volker Bruch, der als Kommissar Gereon Rath zusammen mit der Stenotypistin Charlotte (Liv Lisa Fries) in der Hauptstadt ermittelt.

Gut möglich, dass beide ihren Job noch über die 16 Folgen hinaus behalten. In rund 30 Länder wurde die Serie bereits verkauft. Autor Volker Kutscher hat schon sechs Gereon-Rath-Krimis geschrieben und will die Reihe bis ins Jahr 1936 fortführen. Ob "Berlin Babylon" weitergeht, hängt vom Votum der Zuschauer ab: ab 13. Oktober auf Sky Atlantic
Autor: Rainer Unruh