Man vergisst gerne, was für ein famoser Schauspieler Nicolas Cage eigentlich ist – vor allem, weil der Hollywood-Star erst zur Kult-Ikone wurde, als er sich durch schräge Grimassen in Trashfilmen wie "Wicker Man", "Der letzte Tempelritter" oder der unsäglichen "Ghost Rider"-Doublette unter Wert verkaufte. Eigentlich aber steckt in Cage eine schauspielerische Urgewalt. Klar, berühmt wurde er durch Nepotismus, weil sein Onkel Francis Ford Coppola, immerhin der Regisseur von "Der Pate" und "Apocalypse Now", ihn in mehreren seiner Filme besetzte.

Doch Cage hatte sich den Ruhm tatsächlich verdient, entpuppte er sich doch als fantastisches Talent. Durch das eigentümliche Liebesmärchen "Wild at Heart" von David Lynch gelang ihm der große Durchbruch. 1996 etablierte er sich dank "The Rock – Fels der Entscheidung" als Actionstar und gewann zudem für seine unfassbare Leistung als alkoholkranker Drehbuchautor in "Leaving Las Vegas" einen verdienten Oscar als Bester Hauptdarsteller. Zuletzt trat er wieder verstärkt in künstlerisch hochwertigen Filmen auf, etwa im Gewalttrip "Mandy" oder dem tief berührenden Charakterdrama "Pig". Und was Cage noch auszeichnet: Selbstironie. Jüngst spielte er in "Massive Talent" sich selbst – und der Film war zwar auch eine große Würdigung seines Lebenswerks, machte sich aber zusätzlich auch stark über ihn lustig.

Nicolas Cage erfüllt sich mit "Renfield" einen Traum

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Nicolas Cage und Nicholas Hoult liefern als Vampir-Buddies Humor mit Biss.

Als er damals seine Karriere begann jedenfalls, träumte er eigenen Aussagen davon, irgendwann mal drei bestimmte Rollen zu spielen: Kapitän Nemo aus "20.000 Meilen unter dem Meer", die Superheldenikone Superman und den gruseligen Vampiren Graf Dracula. Tja: Aus Nemo ist bis heute nichts geworden, die zwei anderen Wünsche konnte sich Cage 2023 endlich erfüllen: Im bald erscheinenden "The Flash" (Kinostart: 15. Juni) wird er in einem kurzen Gastauftritt den Superman spielen, zuvor aber gibt es ihn in der Komödie "Renfield" schon als Dracula zu sehen. Es ist die ideale Rolle für ihn, vielleicht gar die Rolle seines Lebens: Als Fürst der Finsternis kann er in bester Manier die Sau rauslassen, und sich selbst im Nonstop-Modus beim Fratzen schneiden genießen.

Wer aber ist "Renfield"? Nun, dafür muss man die Zeit 92 Jahre zurückdrehen. "Renfield" ist nämlich eine indirekte Fortsetzung zum originalen "Dracula"-Film von 1931. Damals spielte Bela Lugosi den Vampir, und Komiker Dwight Frye dessen Gehilfen Renfield. Dessen Aufgabe ist es quasi, wann immer Dracula sich wieder erfolgreich gegen Vampirjäger verteidigt hat und nun über Monate ausruhen muss, für seinen Meister ein neues Versteck und ein paar frische Blutkonserven zu organisieren. Doch nach 92 Jahren reicht es dem Helferlein. Er hat die Faxen seines exzentrischen Maestros gehörig dicke – und geht in New Orleans zu einer Selbsthilfegruppe. Dort wird ihm klar: Dracula und er führen eine toxische Beziehung.

Gaga und blutig: "Renfield" ist exzellentes Blutsaugerkino

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Geschmackvolles Gemetzel: Für Awkwafina wird Nicholas Hoult als "Renfield" zum Berserker.

Filmemacher Chris McKay hat sich in "Renfield" eine Gaga-Parade par excellence einfallen lassen. Die Idee einer 92 Jahre später erscheinenden Fortsetzung zum Uralt-"Dracula" meint er aber tatsächlich ernst: Er zeigt sogar eine kurze Rückblende in die Zeit des damaligen Films – natürlich in Schwarz-Weiß und so bearbeitet, als hätte man tatsächlich Nicolas Cage per Zeitreise ins Jahr 1931 geschickt und ihn mit der damaligen Technik abgefilmt. Da fangen die absurd-überdrehten Einfälle aber erst an: Nicolas Cage darf als Dracula Szenen spielen, die so schräg und eigentümlich sind, dass sie selbst in seiner Karriere noch herausstechen. Wenn er, vor lauter Erschöpfung vegetierend nach Blut dürstet und daher von seinem Gehilfen wie selbstverständlich eine Busladung Cheerleader verlangt, ist das irre komisch. .

Ein anderer Nic(h)olas brilliert dabei neben Cage: Nicholas Hoult, der als Renfield absolut fantastisch zwischen genervter Pflichterfüllung und verzweifelter Hysterie mit entsprechend wildem Gelächter wechselt. Seine Szenen bei der Selbsthilfegruppe, eine Art Rahmen um die eigentliche Geschichte, amüsieren ohne Ende. Zugleich muss er sich aber auch als Actionheld beweisen. Als er in einem Restaurant nämlich mit seinen übermenschlichen Kräften die engagierte Verkehrspolizistin Rebecca vor einer ganzen Armee an Mafia-Schergen rettet, splattert der Film ordentlich drauf los. "Renfield" mag eine Komödie sein, sie ist aber auch verdammt blutig. So viel rote Suppe und abgetrennte Körperteile kennt man sonst nur aus den "John Wick"-Filmen. Wann immer Renfield richtig loslegt und den nächsten Haufen an Gangstern nicht nur tötet, sondern regelrecht körperlich deformiert, würde wohl selbst Dracula Bauchschmerzen von all dem Blut bekommen, welches es nun aufzusaugen gilt.

Trotz aller Albernheiten: "Renfield" ist überschäumend kreativ

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Ein Herz und (k)eine Seele: Renfield und Dracula können sich nicht schmecken.

Das ist schon oft ganz schön albern und viele der Dialogwitze, die Chris McKay seine Figuren sagen lässt, könnten auch 1:1 aus einem seiner anderen Filme stammen: "The Lego Batman Movie". Der Vergleich mutet seltsam an, sicher, doch die Haltung beider Filme ist dieselbe: Sie betrachten ihre vertrauten Hauptfiguren (Batman und Dracula) als eigentlich auserzählte Kinomythen, denen man sich nun nur noch frisch annähern kann, in dem man sie als offene Schatztruhen betrachtet, als Zitatenspielwiese, bei denen man sich alles zurechtplündern kann, was das Publikum eben so mit ihnen verbindet. Altbekannte Vampirregeln (etwa, dass Dracula ein fremdes Haus nur nach vorheriger Einladung betreten kann) werden genüsslich parodiert und auf die Spitze getrieben, und überhaupt hat "Renfield" keine Angst, wie moderner Pulp zu wirken, sondern umarmt den Trash.

Diese Einstellung ist genau die richtige, denn erst im völligen Freidrehen, im frech-respektlosen Übertreiben lässt sich neue Kreativität schöpfen. So wird sicher nicht jedem einleuchten, warum ein heutiger Dracula-Film ins Zentrum einen Millennial-Softie stellt, sich in super brutalen, teils faszinierend "schwerelos" gefilmten Martial-Arts-Einlagen lauter Verstümmelungen ergeht und dies gerne mit Musik aus der "Schwanensee"-Oper von Pjotr Tschaikowski unterlegt, dafür aber nie interessiert zu sein scheint, auch nur ansatzweise ins Horror-Genre zu wechseln. Aber das ist die Stärke von "Renfield": Erst die comichafte Verballhornung des Dracula-Mythos lässt einen frischen Blick zu.

Vampir im Blutrausch: Auch ein Dracula macht mal Party

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In "Renfield" lacht man nicht nur über, sondern mit den schrägen Figuren.

Eine muss noch gelobt werden: So viel Spaß wie man hier mit dem völlig entfesselten Nicolas Cage als selbstverliebten Superbösewicht und Nicholas Hoult als seinem aufmüpfigen Diener auch hat, der wahre Star ist US-Rapperin Awkwafina. Sie spielte zuletzt u.a. in Filmhits wie "Crazy Rich" oder "Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings" mit, funktionierte aber nie so gut wie jetzt in "Renfield". Als ehrbare Polizistin Rebecca kontert sie die Jammer-Haltung von Hoult und die Varieté-Freakshow von Cage mit staubtrockenem Humor und wann immer sie den Mund aufmacht, wirkt es gar, als kommentiere sich der Film selbst. Eigentlich praktisch: So mancher Filmkritiker müsste nur ihre bissigen Bemerkungen notieren und veröffentlichen und könnte sich den eigenen Text gar sparen.

Ist "Renfield" perfekt? Nicht ganz. So phänomenal die Idee einer gruppentherapeutischen Sichtweise auf Dracula und Renfield auch sein mag und so sehr man sich hier kringelig lacht, je mehr die toxische Beziehung und Interdependenz der zwei Figuren hervorgekitzelt wird, so wenig haben Chris McKay und sein Drehbuchautor Ryan Ridley dabei eigentlich über die Natur solcher Beziehungen zu sagen, setzen in den knappen 94 Minuten eher auf Spaß, Derbheit und Tempo. Nicht immer lässt sich der Eindruck verbergen, dass in der Prämisse und Basis von "Renfield" ein Meisterwerk gesteckt hat, welches bei all dem Anarcho-Charme nie so ganz sein volles Potenzial entfalten kann. Die brillante neuseeländische Vampir-Fakedoku "5 Zimmer Küche Sarg" etwa hatte mit der gleichen Attitüde und ähnlich pointenlastiger Erzählung die weitaus größere Sprengkraft für das Genre erzielt.

Nun werden aber viele meinen: Dafür hatte "5 Zimmer Küche Sarg" nicht einen Nicolas Cage als Dracula, der die Gaudi seines Lebens feiert und damit jeden Kinosaal anstecken wird. Und sie haben recht damit: Manchmal dürfen selbst Vampire einfach Party machen. Im originalen 1931er "Dracula"-Film heißt es schließlich an einer Stelle: "Ein Hurra für den Nächsten, der stirbt." In diesem Sinne lässt sich bei "Renfield" wohl ziemlich häufig "Hurra" rufen.

"Renfield" ist seit dem 25. Mai 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.