Im Wettrennen um die Kinokassenkrone haben sich in den vergangenen circa zehn Jahren besonders Comicverfilmungen aus zwei Lagern hervorgetan: Marvel / Disney und DC / Warner. Erstgenanntem Team gelang mit dem Marvel Cinematic Universe (MCU) die Etablierung des bislang größten Kinofranchises aller Zeiten, mit "Avengers: Endgame" als erfolgreichstem Film aller Zeiten das Kronjuwel der Reihe. Das inoffiziell DC Extended Universe (DCEU) getaufte Erzähluniversum von Warner hingegen tut sich vergleichsweise schwer – mit bisher weniger als halb so vielen Filmen, die entsprechend deutlich weniger eingespielt haben und auch von Fans wie Kritikern weniger wohlwollend aufgenommen wurden.

Die offizielle Rhetorik im Blockbuster-Battle klingt dabei scheinbar professionell höflich: Warner-Produzent Peter Safran nannte die Rivalität beider Studios einst "absurd" und es gebe mehr, was sie eint und vor allem gebe es genug Platz für beide Studios. Wie nett. Doch beim Geldverdienen will am Ende jeder an der Spitze sein und ob man die Rivalität aus den Köpfen der Fans bekommt, ist durchaus fraglich. Mit "The Suicide Squad" ist nun ein Film in den Kinos erschienen, der das krisengeplagte Geschäft durchrütteln könnte sowie die Dynamik zwischen Marvel und DC.

James Gunn: Um ihn dreht sich alles

Denn auch wenn es keiner der Entscheidungsträger offen zugeben will: Künstlerisch wie kommerziell lief DC dem MCU immer hinterher und in der Vergangenheit wurden schon Stimmen laut, dass diverse kreative Entscheidungen bei Warner vor allem auch deshalb getroffen wurden, um sich tonal den Marvel-Blockbustern anzupassen. Bitte nicht so ernst und düster wie einst noch "Man of Steel" oder "Batman v Superman: Dawn of Justice", mehr Farben, mehr Humor! Joss Whedons Version von "Justice League" schlug zum Beispiel in diese Kerbe, flotter Trailer mit fetziger Musikuntermalung inklusive.

Ebenso "Suicide Squad" von David Ayer aus dem Jahr 2016. Trotz mehr als 700 Millionen US-Dollar Einspielergebnis gilt das Projekt als Enttäuschung, jüngst distanzierte sich Ayer sogar vehement davon, indem er die Kinofassung nicht als sein eigenes Werk bezeichnete. Nur fünf Jahre später erschien nun die Neuauflage unter der Regie von James Gunn.

Die Personalie Gunn ist dabei ganz zentral in dieser Geschichte: Denn 2018 wurde der Filmemacher nach zwei äußerst beliebten "Guardians of the Galaxy"-Filmen fürs MCU wegen jahrealter kontroverser Tweets von Teil 3 entlassen. Ein großer Verlust für die Filmreihe um Star-Lord, Groot und Co., Imagepflege für Disney – und eine super Gelegenheit für Warner, sich Gunns Dienste unter den Nagel zu reißen und mit ihm einen ganz eigenständigen Filmemacher unter Vertrag zu nehmen. Denn es sind nicht nur seine "Guardians"-Filme, die bewiesen, dass er freche, fiese und schwer unterhaltsame Unterhaltung abdrehen kann. Zuvor schon machte er nämlich mit "Super - Shut up, Crime!" die FSK-18-Variante von "Kick-Ass" und mit "Slither - Voll auf den Schleim gegangen" einen herrlich ekligen Monster-Horrorfilm mit Kultstatus. Und nicht zu vergessen seine augenzwinkernde "PG Porn"-Kurzfilmreihe, in der er Pornofilmklischees humoristisch durch den Kakao zog – kindgerecht sozusagen.

"The Suicide Squad" hätte Disney so nie gemacht

Blut, Gewalt, Schleim und (quasi) pornographische Inhalte, all das scheint im Disney-Kontext aktuell absolut nicht denkbar. Mag sein, dass Gunns Handschrift bei den "Guardians" durchaus durchschien, aber es dürfte klar sein, dass er beim familienfreundlichen Konzern für das maximale Gewinnpotenzial auf einen möglichst breiten Konsens hinarbeiten musste. Also keine Flüche und erst recht kein Blut. Das war nicht etwa Gunn mit angezogener Handbremse, sondern mit stumpfen Messern in der Küche des Steakhouses. Derlei Restriktionen gab es aber bei DC / Warner offenbar keine, nachdem Gunn eine hohe Altersfreigabe im Vorfeld der Produktion explizit einforderte. Was sich jetzt als absoluter Glücksfall für die Filmlandschaft entpuppt.

Denn sein "The Suicide Squad" hat alles, was man aus dem MCU nicht kennt – reihenweise zerschossene wie zerplatzte Köpfe inklusive. Nun soll sein Werk aber nicht einzig auf seinen Härtegrad reduziert werden. Aber wie Gunn überzogene Gewaltdarstellungen auf seine ganz eigene Weise mit viel (derben) Humor vermengt und dabei sowohl an der Monster-Gaga-Schraube dreht (Stichwort: "Starro the Conquerer", was für ein herrlicher Blödsinn!) als auch ein überraschendes Gespür für Menschlichkeit im menschlichen Abschaum zeigt, ergibt in der Summe einen Comicfilm, der auf diesem teuren Blockbusterlevel seinesgleichen sucht. Internationale Kritiken fallen exzellent aus, sage und schreibe 96 Prozent aller eingegangenen Rezensionen bei Rotten Tomatoes sind positiv (Stand: 2. August). Es bleibt zu hoffen, dass sich der finanzielle Erfolg, auch im Anbetracht der Coronakrise, einstellt. Es wären Gunn und seiner entfesselten Vision nur allzu sehr gegönnt.

Aber selbst wenn die Kinokassen nicht wie erwartet klingeln sollten, so ist "The Suicide Squad" zumindest künstlerisch schon jetzt ein Erfolg, den man Gunns Entlassung durch Disney zu verdanken hat. Der Mäusekonzern ist übrigens schon längst wieder zurückgerudert und Gunn darf "Guardians of the Galaxy 3" nun doch machen. Der Schaden ist aber bereits entstanden: Für die Konkurrenz hat der nämlich mit kreativer Freiheit eine echte Alternative von einem Mainstream-Comicfilm gemacht, wodurch sich die Disney-Verantwortlichen selbst ins eigene Fleisch geschnitten haben. Der hierzulande zum Teil boykottierte MCU-Titel "Black Widow" wirkt dagegen wie ein langweiliges, harmloses Kaffeekränzchen und der im September erscheinende "Shang Chi and the Legend of the Ten Rings" wird ganz sicher nicht so hart zuschlagen wie Bloodsport, Harley Quinn und der Rest der Bande – zumindest vermitteln die ersten Trailer einen solchen Eindruck und naja … es ist halt immer noch Disney.

DC zeigt im Kino Marvel, wo der kreative Hammer hängt

Darüber hinaus befindet sich das MCU Post-"Endgame" in einer Übergangsphase, die Warner durchaus für sich nutzen kann und "The Suicide Squad" könnte ein erster Schritt sein, die Aufmerksamkeit des Publikums verstärkt auf sich zu lenken. Denn auf einmal prangt da zum Beispiel mit Quinn eine bereits bekannte (Anti)-Superheldengröße auf dem Plakat, die erst Anfang 2020 auch einen eigenen Film bekam ("Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn") – einige der ganz großen Zugpferde Marvels wie Iron Man oder Captain America haben sich indes verabschiedet und bislang glänzt die zweite Garde eher in Serienform bei Disney+. Zudem besetzt das "Squad" die gar nicht so unwichtige Nische der Comicverfilmungen mit höherer Altersfreigabe, in der schon Titel wie "Joker", "Logan – The Wolverine" und die beiden "Deadpool"-Filme glänzten.

Apropos "Deadpool": Wie Wolverine handelt es sich beim Plappermaul auch um eine Marvel-Figur, deren Rechte wie die "X-Men" insgesamt die meiste Zeit über bei 20th Century Fox lagen. Nach der Übernahme durch Disney steht einer Integration ins MCU theoretisch nichts mehr im Wege. Bislang aber haben sich Fans zu Recht die Frage gestellt, wie der schnoddrige Brutalo tonal mit seinen MCU-Kollegen vereinbar sein soll. Produzent Kevin Feige hat zwar bereits in Aussicht gestellt, dass Deadpool nicht entschärft werden würde. Doch im Anbetracht der Qualität von "The Suicide Squad" steht jetzt Disney massiv unter Zugzwang und muss abliefern – vor der knallharten Konkurrenz will man sich ganz sicher nicht die Blöße geben und ein auch nur minimal verweichlichter Deadpool würde garantiert die Fans in Aufruhr versetzen.

Auch wenn es nach außen hin nicht so kommuniziert wird: Marvel / Disney und DC / Warner sind und bleiben Konkurrenten auf dem Kinomarkt. Und mit "The Suicide Squad" ist Letztgenannten ein filmischer Coup gelungen, der, wenn nicht finanziell dann zumindest künstlerisch, das Kräfteverhältnis zwischen ihnen fürs Erste klar in eine neue Richtung verschiebt. Bei Warner denkt man sich deshalb mit Sicherheit. "Danke, Disney!"

"The Suicide Squad" ist seit dem 5. August 2021 in deutschen Kinos zu sehen.

Dieser Artikel ist zuerst bei CHIP.de erschienen.