Unter den vielen brutalen Action-Krachern, in denen Arnold Schwarzenegger sich in den 1980ern irgendwo im Dschungel gegen eine Armee von Gegnern ballerte, kann nur einer als Meisterwerk gezählt werden: "Predator". Der grandiose Mix aus Action, Sci-Fi und Horror zeigte einen Truppe muskulöser US-Soldaten (angeführt von Schwarzenegger), die im Urwald von Mittelamerika auf einen unsichtbaren Feind treffen: einen außerirdischen Jäger, der aus purem Vergnügen und Sportsgeist heraus auflauert und tötet.

"Predator" ist ein perfekter Film, ein Stück Popkultur und ungeheuer einflussreich. Doch die Magie konnte nie kopiert werden: Drei Fortsetzungen versuchten sich daran, alle sind zurecht längst vergessene Fußnoten der Filmgeschichte. Jetzt aber hat das Original einen würdigen Nachfolger gefunden: "Prey" bei Disney+. Der fünfte Teil dreht die Zeit weit zurück, 300 Jahre vor unsere Zeit, in die untergegangene indigene Welt der US-amerikanischen Ureinwohner – und dabei gelingt das Unvorstellbare: Ein neues Meisterwerk! So viel sei vorweggenommen: "Prey" ist genau wie "Predator" ein perfekter Film und ein Kandidat für die Spitzenliste des Jahres.

Die mit dem Predator tanzt: "Prey" ist ein Sci-Fi-Horror-Western

20th Century Fox

Dreh dich nicht um … der Predator geht um.

1719: Die Komantschin Naru (Amber Midthunder) will sich als Kriegerin beweisen. Während sie im Waldgebiet auf die Jagd geht, soll ihr Bruder Taabe (Dakota Beavers) zum Anführer des Stammes gewählt werden. Aber im Wald lauert etwas, dass die Ureinwohner noch nie gesehen haben. Eine unendlich starke Kreatur, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist, bullenschwere Tiere problemlos zerlegt und über technische Hilfsmittel verfügt, welche auf Naru, Taabe und die anderen wie Zauberkräfte wirken. Die Kreatur stammt aus dem All, und ist auf der Erde gelandet, um einen würdigen Gegner zu finden. Es ist ein Predator, ein Wesen aus einer Rasse von Kriegern, die nur einen Zweck im Leben kennen: die Jagd.

Schon die ersten zwei Minuten dieses Films verblüffen: Wie Regisseur Dan Trachtenberg, der u.a. für die Serie "The Boys" inszenierte, hier die Landschaften anfängt, sich im naturalistischen Licht den Figuren nähert, ihre Lebensweisen und ihr Wirken in der wilden Natur zeigt – all das ist großartig umgesetzt und erinnert dank der kunstvollen Bildsprache an geniale Western wie "Der mit dem Wolf tanzt" oder insbesondere "The Revenant". Doch da "Prey", wenn man den Abspann nicht mitzählt, nur 90 Minuten lang ist, dauert es nur eine kurze Weile, ehe der Predator vom Himmel stürzt – und in dieser Mischung aus Sci-Fi, Horror und Western die Hölle losbricht.

Endlich wieder Überlebenskampf! "Prey" zeigt, wie "Predator" geht

20th Century Fox

Predator-Fans wissen: Diesem Comanchen geht kein Licht auf. Stattdessen wird es gleich "mindblowing".

Alle bisherigen Fortsetzungen von "Predator" haben denselben Fehler wiederholt: Sie haben versucht, die packende Action und das bleihaltige Geballer des Originals zu übertreffen. Dabei war das nie der Kern des ersten Films: "Predator" war ein Gegenentwurf zum damaligen Actionkino. In den 1980ern dominierten muskulöse Alphamännchen wie Sylvester Stallone oder eben Arnie die Leinwände, gerne mit möglichst großen Maschinengewehren ausgerüstet. In "Predator" waren die starken Männer jedoch auf einmal gar nicht mehr so stark, sondern wurden wie Tontauben vom Predator abgeschossen. Nur Arnie blieb zurück, verzichtete auf die nutzlosen Knarren, schmierte sich halbnackt wie seine Kultrolle "Conan der Barbar" im Schlamm ein (wodurch er für die Sensoren des Predators unsichtbar wurde) und erledigte den Predator auf archaische Weise: Mit ausgeklügelten Fallen. Intelligenz schlägt Technik, Überlebenswille triumphiert über Manneskraft.

Dan Trachtenberg und das Team von "Prey" haben das verstanden, sie haben aus dem rohen, vorzivilisatorischem Finale des 87er Originals einen vollwertigen Spielfilm geschaffen. "Prey" ist kein reines Action-Duell, sondern ein Überlebenskampf, ein Katz-und-Mausspiel – eine Gegenüberstellung von David und Goliath. Der unbesiegbare Predator gegen die junge Komantschin. Erfreulicherweise ist alles in "Prey" auf diese Essenz heruntergebrochen: Es gibt keine unnützen Nebenhandlungen, keine lange Vorgeschichte, keinen erzwungenen Subtext. Alles dreht sich um die Frage: Wie kann eine erfahrene, aber eben junge Kriegerin in einer Welt ohne Strom und Feuerkraft gegen einen Mörder aus dem All bestehen?

Ein Fest für "Predator"-Fans: Meisterhafter Überlebenskampf

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Im Kampf gegen den Predator fackelt Naru nicht lange.

Verlassen kann sich "Prey" auf eine fantastische Hauptdarstellerin. Junge Actionheldinnen à la Katniss Everdeen aus "Die Tribute von Panem" liegen derzeit im Trend, doch selbst im Vergleich zu Jennifer Lawrence zeigt Amber Midthunder hier große Qualitäten. Sie ist absolut glaubhaft in dieser sehr körperlichen Rolle, schwitzt, schreit und blutet sich durch die mitreißenden Kämpfe. Wie sie mit Wurfbeil, Pfeil und Bogen dem Hightech-Arsenal des Alien-Raubtiers gegenüber trifft, ist imponierend und bildgewaltig eingefangen. Destilliertes Genrekino, sicher, aber der allerbesten Sorte. Auch wer noch nie einen "Predator"-Film gesehen hat, kann hier ohne Probleme einsteigen. "Prey" kann ganz für sich stehend überzeugen. Kritisieren lässt sich bei diesem Filmvergnügen nur eines: So ein meisterhaftes Survival-Kleinod hätten Filmfans gerne auf der großen Leinwand bestaunt, statt nur zu Hause bei Disney+ zu sehen.

Es wäre auch ein schönes Zeichen gewesen, da lange kein Film mehr so liebevoll die Kultur der indigenen Ureinwohner auf dem nordamerikanischen Kontinent zeigte. Von inhaltlich nötigen Freiheiten abgesehen wurden der Alltag und die Jagdpraktiken der Comanchen so realistisch und authentisch wie möglich nachgezeichnet. Midthunder selbst hat "First Nation"-Vorfahren, Produzentin Jhane Myers ist gar Comanchin. Das klassische Western-Thema vom Fremden, der brutal das "Indianerland" erobert, wurde hier so reizvoll wie nur selten variiert. Da ist es dann auch keine Überraschung mehr, dass nicht nur Wildtiere und Stammesmitglieder, sondern in einer Szene ein paar französische Kolonialisten grausam vom Predator gemeuchelt werden. Einem Raubtier wie dem Predator, das weiß Trachtenberg, muss man auch mal ein Leckerli hinwerfen.

Bei Disney+ werden "Predator"-Fans so glücklich, wie zuletzt 1987, als alles begann. "Prey" ist dort ab sofort verfügbar. Damit hat der Streaminganbieter nicht nur Nerds auf der ganzen Welt ein Geschenk gemacht, sondern sich selbst eines der Film-Highlights des Jahres eingebracht. Ein seltener Glücksfall für wirklich alle also.