Das "Alien"-Franchise gehört zu den beliebtesten Horror-Sagen der Filmgeschichte. Nicht umsonst bekam es sein eigenes Crossover mit den "Predator"-Filmen. Doch 2017 konnten viele Zuschauer nicht so richtig folgen, als "Alien: Covenant", der sechste Teil der Reihe, eine Wendung einbaute, die kaum zu verstehen war. Echt ärgerlich: Der größte Plottwist des Films baut so stark auf spezifischem Hintergrundwissen auf, dass es im Kinosaal oder ab sofort bei Disney+ nur zu Verwirrung kommt.

Plottwist in "Alien: Covenant": Was passiert im Film?

Wir erinnern uns: Auf einem unbekannten Planeten stößt die Crew des Raumschiffs Covenant auf das Wrack der abgestürzten Prometheus, das Schiff aus dem Vorgänger "Prometheus – Dunkle Zeichen". Der einzige Überlebende der Prometheus ist der Android David, gespielt von Michael Fassbender, der hier eine Doppelrolle hat, denn auch zur Besatzung der Covenant gehört ein Android namens Walter, der bis auf die Haarfarbe genau wie David aussieht. Die Covenant-Crew erfährt, dass auf dem ominösen Planeten einst eine Alien-Kultur, die sogenannten Konstrukteure lebten, aber durch irgendetwas komplett ausgelöscht wurden. Walter unterhält sich mit David, da dieser der Schlüssel zu sein scheint.

David zitiert daraufhin ein Gedicht, das ihn angeblich sehr berührt. Es heißt "Ozymandias", ein echtes Gedicht von 1818. Darin geht es um die Ruinen eines untergegangenen Reiches, und um die Statue des Herrschers Ozymandias, die mittlerweile, nach mehreren Jahrhunderten, von Sand und Staub bedeckt und in Vergessenheit geraten sind. David sagt, dieses Gedicht des Autoren Byron habe ihm sehr gut gefallen. Während er das Gedicht aufsagt, sehen nur wir Zuschauer, dass David die Konstrukteure ausgelöscht hat und mit einer Biowaffe einen grausamen Genozid verübte.

Später beschuldigt Walter ihn auf einmal, genau das getan zu haben. Auf die Frage, wie er das wissen könne, verweist er auf "Ozymandias" und erklärt, das Gedicht stamme "nicht von Byron, sondern von Shelley". Dann greift er ihn an und versucht, sich und seine Crew vor dem durchgeknallten Androiden in Sicherheit zu bringen.

Was macht das für einen Unterschied? Ein literarischer Exkurs

20th Century Fox

Michael Fassbender spielt gleich zwei Rollen in "Alien: Covenant": die Androiden David und Walter.

Viele Zuschauer werden an dieser Stelle völlig zurecht denken: Wie zur Hölle konnte Walter wissen, was David getan hat? Wie genau kann eine Verwechslung des Autoren eines Gedichts der Schlüssel der Geschichte sein? Tja, leider erwarten die Drehbuchautoren von "Alien: Covenant" offenbar von ihren Zuschauern, sich sehr gut mit britischer Literaturgeschichte auszukennen. Wer das (verständlicherweise) nicht tut, guckt in die Röhre.

Die im Gedicht beschriebene Szenerie scheint perfekt zu David und seiner Situation zu passen: Eine einst starke und bedeutungsvolle Zivilisation wurde Opfer der Zerstörung durch Ozymandias. Es bleiben nur noch Ruinen übrig. Ein klares Zeichen dafür, dass David im Inneren genau weiß, dass er die Zerstörung einer ganzen Kultur bzw. Zivilisation zu verantworten hat und wie grausam er gehandelt hat. Gleichzeitig scheint er sich aber als Held zu sehen: Die Auslöschung der Konstrukteure war aus seiner Sicht ein notwendiges Übel, mit dem er einem höheren Zweck diente – und zu dem er als eine Art "Gott" oder Herrscher à la Ozymandias jedes Recht hatte.

Helden, die sich nicht immer korrekt verhalten, sondern sehr unmoralisch handeln, nennt man in der britischen Literaturwissenschaft byron'sche Helden, benannt nach den Werken des Dichters Lord George Byron. Ein byron'scher Held ist eine Person, die zwar im Mittelpunkt der Geschichte steht, der Held ist, aber dennoch moralische Grauzonen hat. Solche Figuren kennen wir alle: Han Solo aus "Star Wars" oder Tony Stark aus den "Iron Man"-Filmen wären bekannte Beispiele. Sie sind weder strahlende weiße Ritter noch düstere Schurken, sondern eben etwas dazwischen.

Das "Heldenbild" in "Alien: Covenant"

Den byron'schen Helden zeichnet aber aus, dass trotz seiner negativen Seiten die guten so weit überwiegen, dass er noch als "Held" gesehen werden kann. Ist das nicht mehr der Fall, spricht man vom gefallenen Helden. Damit sind Charaktere gemeint, deren Handlungen so abscheulich und falsch sind, dass auch ihre nachvollziehbaren Gründe oder gar edlen Motive dies nicht aufwiegen können. Der Begriff gefallener Held geht auf die britische Autorin Mary Shelley zurück, die den Typus in ihrem Roman "Frankenstein" prägte.

Die Hauptfigur dort, Dr. Frankenstein, scheint anfangs ein byron'scher Held zu sein, der zwar nicht immer freundlich ist, aber im Geiste der Wissenschaft handelt. Als sein erschaffenes Monster aber ein halbes Dorf auslöscht, erkennt Dr. Frankenstein, dass er selbst zum Monster geworden ist. Er ist jetzt ein "gefallener Held". Der Ehemann von Mary Shelley ist übrigens Percy Bysshe Shelley, der unter anderem das Gedicht "Ozymandias" verfasste und bei dem Roman seiner Frau "Frankenstein" als Verleger beteiligt war.

David in "Alien: Covenant" verwechselt also zwei Dinge: Er hält sich trotz seines Genozids an den Konstrukteuren immer noch für den byron'schen Helden, der auch mal etwas über die Stränge schlagen muss, um seine heldenhaften Ziele zu vervollständigen. Aufgrund seines Größenwahns ist er nicht mehr in der Lage, festzustellen, dass die Ausrottung einer ganzen Zivilisation nicht einfach nur eine kleine Hürde ist, um irgendwann als großer Herrscher wie Ozymandias erinnert zu werden, sondern ihn moralisch so ins Abseits stellt, dass man ihm nicht mehr verzeihen kann. Er ist ein gefallener Held à la Shelley, kein byron'scher Held, wie er es glaubt. Weil er das aber so sehr glaubt, verwechselt er die Autorenschaft, und sagt versehentlich, dass "Ozymandias" von Byron geschrieben wurde, und nicht von Shelley. Als Walter das bemerkt, ist ihm klar, wie David sich selbst sieht – und dass das bedeutet, dass er die Konstrukteure umgebracht hat.

Ist das nicht alles viel zu kompliziert für einen Horrorfilm?

20th Century Fox

Angeblich sahen so einige Zuschauer aus, bei dem Versuch, der Handlung von "Alien: Covenant" zu folgen.

"Alien: Covenant" kam bei Kritikern nicht unbedingt gut weg, und auch die Zuschauer waren mit dem Film nicht vollkommen zufrieden. Wenn man sich den zentralen Plottwist und seine Herleitung anschaut, ist auch klar, wieso: So intelligent das Drehbuch von John Logan und Dante Harper auch sein mag, ohne lange Erklärungen oder ein abgeschlossenes Literaturstudium ist der Handlung teilweise nicht mehr zu folgen. Ungünstig für einen Film, der hauptsächlich über brutalen Alienhorror funktionieren will.

Das enttäuschende Abschneiden des Films stellt jetzt die Frage, wie es mit "Alien" weitergehen wird. Jüngst hat Disney+ eine Serie aus dem Universum angekündigt, Regisseur Ridley Scott plant aber eigentlich noch einen weiteren Film. Ob dieser kommen wird, steht nur in den Sternen. Wenn ja, darf man hoffen, dass die Handlung zwar intelligent bleibt, aber vielleicht wieder etwas leichter zu verstehen ist.