Mit "The Irishman" soll dem Streamingdienst der große Coup gelingen. Kein Geringerer als Martin Scorsese wurde engagiert, um die erste wirklich (!) große, aber insbesondere ruhmreiche Filmproduktion mit dem Label "Netflix Original" versehen zu können. Doch das reicht Netflix nicht. Neben der, noch zu beurteilenden, Klasse soll jetzt auch Masse her.

80 neue Filme will der Streaming-Dienst im kommenden Jahr herausbringen. Rund 30 waren es im Jahr 2017. Doch Reed Hastings vor 20 Jahren gegründete Streaming-Fabrik wächst unaufhaltsam: 109,3 Millionen zahlende Kunden, knapp 90 Milliarden Dollar Wert an der Börse, Investitionen von über 6 Milliarden Dollar für die eigenen Content-Produktionen. Die Liste der Superlative steigt von Jahr zu Jahr - 2018 sollen 7 bis 8 Milliarden Dollar in die Eigenproduktionen fließen. So viel verriet Hastings im Anschluss an eine Quartalsbilanz.

Netflix: Die besten Filme, die sonst keiner will

Mit diesen ambitionierten Zielen und einem prall gefüllten Budget-Sack ist der Angriff auf die Filmstudios perfekt. Zum Vergleich: Time Warner produzierte im vergangenen Jahr 35 neue Filme, Sony und Lions Gate 27. Wenn selbst arrivierte Hollywoodstudios nicht mehr mithalten können, stellt sich also die Frage: Ist Netflix Chance oder Risiko?

Die aktuellen Produktionen geben Aufschluss: In diesem Jahr waren Produktionen wie "The Discovery" oder "Our Souls at Night" mit Oscar-Preisträger Robert Redford zu sehen, während der cirka 90 Millionen Dollar schwere Blockbuster "Bright" von "Suicid Squad"-Regisseur David Ayer noch aussteht. Außerdem ist Netflix für Wagnisse wie das 2015 herausgebrachte Kriegsdrama "Beast of no Nation" mit Idris Elba, die Gesellschaftssatire "Okja" und ganz aktuell das wunderbar witzige Nischenprodukt "The Meyerowitz Stories" von Drehbuchautor und Regisseur Noah Baumbach ("Frances Ha") bekannt.

Immer wieder betonen die Filmemacher die Freiheit beim Streamingdienst. So wie "Okja"-Regisseur Bong Joon-ho im Interview mit Die Zeit: "Das war das Tolle an der Zusammenarbeit mit Netflix, sie haben mir alle Freiheiten gelassen und mich nicht auf irgendeine Altersfreigabe drücken wollen!"

Adam Sandler, überall Adam Sandler

Es ist also die Chance, die überwiegt. Zwar enttäuschen Netflix-Filme bisweilen, aber das tun Produktionen der Hollywoodstudios auch. Es lässt sich mit Fehlschlägen wie der Anime-Adaption "Death Note" oder der Kriegssatire "War Machine" mit Brad Pitt leben, wenn kreative Filmemacher bei Netflix einen Hafen für ihre Filme finden, denen sonst keiner mehr Liegeplätze einräumt. Vor allem für kleinere Independent-Produktionen, die mittlerweile reihenweise bei den großen Studios durchs Raster fallen, ist die Content-Offensive von Netflix eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

Nicht immer werden die Produktionen so teuer sein, wie "Bright" mit Will Smith. Low-Budget-Filme werden von den geplanten 80 Filmen garantiert die Masse stellen, doch sie könnten beweisen, dass Klasse in ihnen steckt. Immerhin ist es kein Geheimnis, dass Netflix mit seiner Film-Offensive auch auf die Oscars schielt.

Für die zahlenden Kunden ist es ohnehin eine Bereicherung, wenn sich Groß und Klein die Waage halten, hin und wieder eine Überraschung dabei ist und bei Filmen wie "The Irishman", wo Branchengrößen wie Martin Scorsese, Robert De Niro und Al Pacino mitwirken, Kinostimmung aufkommt. Netflix wäre ja schön blöd, wenn sie zukünftig nur noch Eigenproduktionen von und mit Adam Sandler über ihr Portal laufen lassen. Obwohl, wenn das Ergebnis aussieht wie "The Meyerowitz Stories" könnte selbst eingefleischten Adam Sandler Hassern ein Lächeln über das Gesicht huschen.