Der kleine Junge aus Holz, dessen Nase durch jede Lüge weiterwächst, ist der ganzen Welt unter dem Namen "Pinocchio" bekannt. Das Wort ist übrigens ein Wortspiel aus den italienischen Begriffen "pino" für Pinie, "pinco" für Dummkopf und "occhio" für Auge. Hierzulande ist die Geschichte am bekanntesten durch den Disney-Zeichentrickfilm von 1940 – der noch dieses Jahr bei Disney+ als Realverfilmung neu erscheinen wird.
Doch noch ein zweiter "Pinocchio" steht uns für 2022 bevor. Kult-Regisseur Guillermo del Toro hat das Märchen als schräges Stop-Motion-Abenteuer für Netflix adaptiert und schon der erste Trailer ließ eine deutlich düsterere Machart vermuten. Jetzt sind mehr Details zur abgewandelten "Pinocchio"-Version bekannt geworden und vor allem Eltern sollten aus diesen Infos eines ziehen: Kinder sollten vom Netflix-"Pinocchio" die Finger weglassen.
Pinocchio unter Faschisten: So irre wird die Netflix-Variante
Wie man es von del Toro, der für gruselig-bizarre Meisterwerke à la "Shape of Water" oder "Pans Labyrinth" bekannt ist, erwarten darf, wird sein "Pinocchio" sich weit von den Disney-Motiven entfernen. Schon die Entstehung des hölzernen Jungen wurde von ihm angepasst, wie er Vanity Fair erzählt. Statt einfach eine Holzpuppe zu sein, die sich der Tischler Gepetto als Kinderersatz anfertigt, und die durch eine gute Fee zum Leben erweckt wird, ist "Pinocchio" im Netflix-Film zuerst ein Baum. Ein Baum, den Gepetto auf dem Grab seines früh verstorbenen Sohnes gepflanzt hat. Als der Baum zu sprechen beginnt, schnitzt sich Gepetto aus dem Holz des Baumes eine Puppe.
Wem das noch nicht irre genug ist, darf sich über die nächste Ankündigung von del Toro freuen: Der Star-Regisseur siedelt seinen Film im realen Italien an – zwischen den Weltkriegen. Statt also in einem Fantasy-Familienpark in einen Esel verwandelt zu werden, wird sein Pinocchio stattdessen von der Opera Nazionale Balilla aufgenommen: Einer faschistischen Jugendorganisation Italiens der 20er und 30er Jahre, die sich in etwa mit der deutschen Hitlerjugend vergleichen lässt. Del Toro dazu: "Er wird in das Militärlager des Dorfes rekrutiert, weil der faschistische Beamte in der Stadt denkt, dass diese Marionette, die nicht sterben kann, der perfekte Soldat sein könnte."
Guillermo del Toro vergleicht Pinocchio mit Frankenstein
Für del Toro war es wichtig, seinen "Pinocchio" so weit wie möglich von jeder anderen Version des Märchens abzugrenzen. Abgesehen von der Disney-Variante war erst 2020 die "Pinocchio"-Adaption des italienischen Filmemachers Matteo Garrone ein Kritiker-Erfolg geworden. Schon die wählte einen tonal härteren Ansatz, blieb inhaltlich aber sehr dicht am originalen Märchen. Del Toro, der in Hollywood als Fan alter Monsterfilme bekannt ist, fand für "Pinocchio" hingegen eine andere Inspiration: Frankensteins Monster. So sagt er: "Beide sind Kinder, die einfach in die Welt geworfen werden. Beide werden von einem Vater erschaffen, der von ihnen erwartet, dass sie selbst herausfinden, was gut und böse ist, was Ethik, Moral, Liebe, Leben und das Wesentliche ist."
Kinder sollten sich diesen "Pinocchio" also besser nicht ansehen. Oder zumindest nicht alleine. Denn del Toro beschreibt sein Werk selbst als einen Film für "Kinder und Erwachsene, die miteinander darüber reden". Eltern werden für sich selbst einschätzen müssen, ob sie ihre Jüngsten mit so heftigen Themen wie Faschismus und Kindersoldatentum konfrontieren wollen – oder lieber die Disney-Variante schauen, die am 8. September weltweit bei Disney+ startet. Wer sich für die Netflix-Version entscheidet, muss länger warten. Erst im Dezember soll del Toros Film kommen.