Originale sind immer besser als die Kopien, so sagt ein ungeschriebenes Gesetz der Filmgeschichte. Jahre lang hieß es in den Werbeclips auf DVDs gar: "Nur Original ist legal" – gemeint waren natürlich Raubkopien, aber der Spruch ist eine Art Mantra für alle geworden, die gerne über Remakes und Neuinterpretationen meckern. Am häufigsten in der Kritik steht dabei der Disney-Konzern. Seit einigen Jahren modellieren die nämlich viele ihrer alten Trickfilme in Realverfilmungen um – von "Cinderella" über "Die Schöne und das Biest" bis zu "Der König der Löwen".

Dieselbe Begeisterung wie die Originale konnten diese Remakes nie auslösen, stattdessen spotten Disney-Fans der ersten Stunde gerne über die Versuche. Doch in einem Fall ist das nicht gerecht: 2016 wurde nach 49 Jahren "Das Dschungelbuch", einer der wohl berühmtesten aller Disney-Filme, neu aufgelegt. Und hier muss ich ganz persönlich sagen: "The Jungle Book" ist nicht einfach besser als das legendäre Original, er ist sogar viel besser!

Modern muss nicht immer gleich schlecht sein

Natürlich kann ich jeden verstehen, der die alte Zeichentrickoptik von "Das Dschungelbuch" liebt, der die knuffig gezeichneten Figuren mag, und denen die am Computer erstellten Versionen von Balu, Kaa und Baghira zu fotorealistisch aussehen, um sie noch süß zu finden. Aber die digital animierten Tiere sind absolute Referenzklasse: Die Illusion, der kleine Neel Sethi habe in der Rolle als Mogli wirklich im Dschungel mit echten Tieren interagiert, ist sagenhaft realistisch. Ja, es ist ein moderner Look, aber der muss nicht schlecht oder gar verkehrt sein, selbst wenn man eher der Nostalgiker ist.

Doch "The Jungle Book" ist auch in anderer Hinsicht moderner als "Das Dschungelbuch": Der Regisseur Jon Favreau gab sich große Mühe, den Figuren mehr Tiefe zu verleihen. Mogli und Balu verbringen hier wesentlich mehr Zeit miteinander als im Original, sodass ihre Freundschaft sich aufbauen kann, statt einfach während einer Gesangsrunde "Probier`s mal mit Gemütlichkeit" voll ausgereift zu sein. Die Angst vom boshaften Tiger Shir Khan vor den Menschen wird sehr viel explizierter ausgeführt und erklärt. Und die Wolfsfamilie, bei der Mogli immerhin aufwächst, ist wichtiger Teil der Geschichte und nicht nach vier Minuten Filmzeit vollkommen vergessen.

Man kann am Original gerade seine Einfachheit mögen, doch auch hier wieder: "The Jungle Book" gibt sich Mühe, dieses Original zu erweitern und zu vertiefen – und leistet viel mehr als andere Disney-Remakes, die ihre Vorbilder bloß abpausen.

Direktvergleich: Das neue "Dschungelbuch" hat die bessere Botschaft

Beide Fassungen sind Filme für kleine Kinder, auch wenn die neuere Version etwas mehr Action und Grusel beinhaltet. Zum Beispiel wurde der im Original singende Affenkönig Louis hier zu einem gigantischen "Mafiapaten" umfunktioniert. Wegen der Zielgruppe habe ich mir für den Direktvergleich folgende Frage gestellt: Wenn ich Kinder hätte, welche Version würde ich ihnen zeigen wollen? Und ohne lange drüber nachzudenken, lautet meine Antwort: Eindeutig den neueren Film. Warum? Weil die Filme sich vor allem in ihrer Endszene unterscheiden – und komplett unterschiedliche Aussagen fällen.

Der alte "Dschungelbuch" endet mit Mogli vor dem Menschendorf. Er will eigentlich im Dschungel bleiben, doch als ein hübsches Mädchen herauskommt, ist er fasziniert von ihr und läuft ihr nach – ohne noch groß einen Gedanken an Balu und Baghira zu verschwenden. In der Neuverfilmung passiert das nicht: Mogli rettet seine Wolfsfamilie und darf im Dschungel bleiben. Er muss aber nicht länger so tun, als wäre er ein Tier, sondern darf seine Fähigkeiten als Mensch beim Zusammenleben mit seinen Freunden im Dschungel einsetzen.

Und das ist das viel schönere Ende der Geschichte. Der Originalfilm hat eine reichlich angestaubte Moral: Jeder hat seinen festen Platz in der Welt. Menschen gehören eben in die Stadt – und Tiere in die Wildnis. Jon Favreau hat seiner Neufassung eine andere Idee gegeben: Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, was er mit seinem Leben anfängt. Wenn Mogli lieber mit den Wölfen leben möchte, sollte er jedes Recht dazu haben.

Eine wirklich rührende Botschaft, wie ich finde. Und genau deshalb wird es später für meine Kinder nur ein "Dschungelbuch" geben.