Als Kinderbuch-Autor Michael Ende im Jahr 1960 sein "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" veröffentlichte, wurde es sofort ein Klassiker, bis heute gilt es als eines der populärsten Kinderbücher Deutschlands. Mindestens genauso berühmt ist die Version der Augsburger Puppenkiste. Große Erwartungen lagen also auf Regisseur Dennis Gansel, der sich 2018 an die erste Realverfilmung heranwagte.
Und das mit großem Erfolg: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" wurde auch im Kino ein großer Hit, begeisterte jung und alt. Trotz einer Länge von nur 110 Minuten gelang es Gansel, das erste Buch ohne wesentliche Kürzungen zu adaptieren. Doch einige kleinere Änderungen machte er dann doch – und das aus gutem Grund: Mit heutigen Augen betrachtet, gibt es einige Passagen im Werk von Michael Ende, die nicht ganz unproblematisch sind. Hier der Trailer für den Film:
"Jim Knopf"-Film: Verzicht auf das N-Wort
Für ein Kinderbuch von 1960 ist es erstaunlich, wie progressiv das Werk damals gewesen ist. Jim Knopf ist ein schwarzer Junge, seine "dunkle Haut" wird immer wieder beschrieben. Ein schwarzer Protagonist war zu der Zeit in deutschen Kinderbüchern eine absolute Ausnahme. Wer "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" heute liest, erkennt die politische Dimension dahinter: Das Buch ist eine große Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und auch mit Alltagsrassismus. Sämtliche positiv besetzten Figuren wie der ikonische Lokomotivführer Lukas stammen aus der Arbeiterklasse, die sich eine Utopie geschaffen haben, in der alle Menschen gleichwertig sind.
Doch Michael Ende und sein Buch sind auch Produkte ihrer Zeit und so lassen sich mit heutigen Augen auch einige tendenziell stereotype wie rassistische Elemente feststellen. Jim Knopf selbst wird einmal mit dem N-Wort bezeichnet, an anderer Stelle erbleicht er unter seiner schwarzen Haut, so als wäre sie nur aufgeschminkt, was an rassistische Praktiken wie Blackfacing erinnert. Und als Lukas vom Ruß der Lokomotive verdreckt wird, schreibt Ende, seine Haut wäre nun genauso schwarz wie die von Jim Knopf.
Solche Stellen finden sich im Film nicht. Das N-Wort bleibt außen vor, überhaupt wird die Hautfarbe von Jim Knopf, in der Kinoversion von Solomon Gordon gespielt, mit keinem Wort thematisiert. Dabei muss erwähnt werden, dass dies ganz im Sinne des Originalautoren ist: Michael Ende baute in seine Bücher viele antirassistische Ideen ein, sodass solche Aussparungen eher als Modernisierung gedeutet werden sollten.
Darstellung von Mandala an den Zeitgeist angepasst
Während solche Änderungen noch einfach sein dürften, wurde es für die Filmemacher aber bei der Darstellung von Mandala schwieriger. Im Buch wird Mandala als eine Metropole bezeichnet, als eine Großstadt im Vergleich zum kleinen, überschaubaren Lummerland. Aus heutiger Sicht sind die Passagen in Mandala aus dem Roman besonders darin problematisch, wie Ende die Chinesen dort beschreibt. Er nutzt abgedroschene Asien-Klischees, gibt den Figuren Namen wie Ping Pong oder stellt ihren Nachwuchs als Erwachsene im Kindesalter dar (und bezieht sich damit auf die Leistungsdruck-Stereotypen). Auch das Ekel-Essen mit exotischen Tieren darf nicht fehlen.
Erneut gelingt den Filmemachern durch kleine Abänderungen eine zeitgemäße Adaption: Mandala wurde größtenteils mit Studiosets und Computereffekten ausgestattet. Dabei orientierte sich Szenenbildner Matthias Müsse zwar an chinesischer Architektur, baute aber auch andere Elemente ein, die kulturell nicht eindeutig zuzuordnen sind. Eine Szene aus dem Buch, in der Jim und Lukas sich angewidert vor dem "Ekel-Essen" zeigen, wird im Film noch stärker in den Vordergrund gerückt. Statt Schlangenhaut zu essen, bitten Jim und Lukas um ein Käsebrot und bekommen als Antwort: "Igitt, ist Käse nicht eigentlich verschimmelte Milch?" Die Namen der asiatischen Charaktere bleiben derweil erhalten, alle anderen Klischees werden aber stark zurückgehalten und mit neuartigen Elementen ersetzt.
So wird erneut die Absicht von Ende beibehalten: Man sieht die "Europäer" Jim und Lukas in einem fremden, exotischen Land über die Extravaganz des Ortes staunen, bettet dies aber in eine Ausdrucksform, die unseren heutigen Zeiten angemessen ist. Diesen Erweiterungen ist es u. a. zu verdanken, dass "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" auch im Kino ein Hit wurden – und eine neue Generation junger Zuschauer dazu gewinnen konnten.