In den fünfziger Jahren war es noch ein Skandal, dass Romy Schneider in "Mädchen in Uniform" für ihre Erzieherin Lilli Palmer schwärmt. Im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen ab 1968, samt den Stonewall-Ausschreitungen 1969, bei denen Homosexuelle in New York gegen Polizeiwillkür protestierten, lockerte sich die Darstellung von Homosexualität im Kino. Explizitere Liebeszenen fanden aber eher im experimentellen oder Untergrundfilm ihre Heimat. Im Mainstreamkino war die klischeefreie Darstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe bis in die frühen neunziger Jahre selten. Ein Meilenstein war hier "Philadelphia" mit Tom Hanks.

Erst in den vergangenen Jahren erscheinen Filme die offenherzig, aber unverkrampft und selbstverständich die Lieben unter Männern oder zwischen Frauen. Spätestens mit "Brokeback Mountain" ist Homosexualität im Mainstream angekommen. Trotz Favoritenstatus gewann der Film mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal 2005 nicht den Oscar als bester Film - weil einige reaktionäre Mitglieder der Academy schon im Vorfeld ankündigten, nicht für den "Schwulenwestern" stimmen zu wollen. Es bleibt also doch noch viel zu tun. Auch über die Frage, ob die expliziten lesbischen Sexszenen in "Blau ist eine warme Farbe" nun das neue Normal sind oder ausbeuterisch, stritten sich 2012 noch die Geister.

Hier sind jedenfalls die besten schwulen und lesbischen Liebesfilme der Filmgeschichte.

Moonlight (2017)

Die Geschichte einer prekären Sozialisation, aufgeteilt in drei Kapitel: In dem hochklassigen Golden-Globe-Gewinner von Regie-Newcomer Barry Jenkins erleben wir den Protagonisten Chiron als Kind im Armenviertel in Miami, der von seiner drogenabhängigen Mutter verstoßen wird. Dann als Teenager, der seine Liebe zu einem Mann entdeckt und später im Erwachsenenalter ins Drogenmilieu abrutscht – mit ­antrainiertem Body, um gegen die Härten gewappnet zu sein. Im dritten "Kurzfilm" trifft er seine Jugendliebe Kevin wieder. "Moon­light" ist komplett unsentimental erzählt und doch voll großer Gefühle. So geht Filmkunst.

Carol (2015)

New York, 1950: Die scheue Verkäuferin Therese (Rooney Mara) lernt die mondäne Carol (Cate Blanchett) kennen. Aus Faszination wird Zuneigung, dann Liebe. Was zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern als "sittenwidrig" gilt. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Art Hochzeitsreise, am Ende sind beide befreit: Therese von ihren Ängsten, Carol vom Streit mit ihrem Mann (Kyle Chandler)… Wie alle Filme des Stilisten Todd Haynes ("I'm Not There") ist "Carol" stimmig und gefühlvoll komponiert. Vorlage ist der autobiografische Roman "Salz und sein Preis" von Patricia Highsmith.

Call me by your Name (2017)

Norditalien, 1983: Der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) flirtet mit der gleichaltrigen Marzia. Bald fühlt er sich zum Amerikaner Oliver (Armie Hammer) hingezogen… "Call me by your Name" erzählt empfindsam von Ängsten und jugendlicher Unsicherheit. James Ivory schrieb das Skript nach André Acimans Roman und gewann – als bislang ältester Preisträger – mit 89 den Oscar.

The Duke of Burgundy (2014)

Cynthia (Sidse Babett Knudsen, "Westworld") widmet sich ihren Schmetterlingsstudien. Dienstmagd Evelyn (Chiara D'Anna) schrubbt derweil ihre Villa, Dessous oder Cynthias Füße. Ihr Hausmädchen selbst für kleinste Verfehlungen zu bestrafen, ist Teil eines erotischen Spiels. Denn die Dienerin genießt es, erniedrigt und benutzt zu werden. "The Duke of Burgundy" von Peter Strickland ("Berberian Sound Studio") um die SM-Beziehung zweier Frauen fasziniert durch die sinnliche Dekadenz seiner Herbstbilder und verströmt seltsamen Zauber.

A Single Man (2009)

Los Angeles am 30.11.1962, kurz nach der Kubakrise: So stilsicher und exakt, wie er gelebt hat, plant Literaturdozent George (Colin Firth) nun seinen Selbstmord. Vor acht Monaten starb sein langjähriger Gefährte Jim (Matthew Goode), seither ist jeder Tag eine Qual. Doch ausgerechnet heute bringen Freundin Charley (Julianne Moore) und Student Kenny (Nicholas Hoult) den präzisen Feingeist aus dem Takt… Eleganz hatte man bei Modedesigner und Regiedebütant Tom Ford (Gucci) erwartet. Wie klug und sensibel er in seinem Regiedebüt "A Single Man" Christopher Isherwoods Roman "Der Einzelgänger" verfilmte, überraschte dann doch.

Blau ist eine warme Farbe (2012)

Seit Adèle (Adèle Exarchopoulos) die blauhaarige Kunststudentin Emma (Lea Seydoux) auf der Straße gesehen hat, ist es um sie geschehen. Sie treffen sich in einer Lesbenbar wieder, schließlich zieht Adèle bei Emma ein. Als Eifersucht und ein Seitensprung für das Ende der Beziehung sorgen, leidet Adèle… Die ungezwungene Inszenierung und die Verletzlichkeit, mit der die Mädchen spielen, verleihen der Suche nach sexueller Identität eine atemberaubende Natürlichkeit. Und versetzen den Zuschauer nicht nur wegen der expliziten Sexszenen in höchste Erregung. Ein Meisterwerk! Prämiert mit der Goldenen Palme in Cannes!

Milk (2008)

Als er 40 wird, krempelt Versicherungsangestellter Harvey Milk (Sean Penn) sein Leben um und zieht 1972 mit seinem Liebhaber Scott Smith (James Franco) nach San Francisco. Dort setzt er sich vehement für die Belange der kleinen Leute ein – und für die diskriminierte schwule Gemeinde: der Beginn seiner politischen Karriere. 1977 wird er als erster bekennender Schwuler in einen US-Stadtrat gewählt. Amtskollege White (Josh Brolin) erweist sich als Todfeind… Neben dem Drehbuch wurde Sean Penn für "Milk" als bester Hauptdarsteller mit dem Oscar ausgezeichnet.

The Kids are all right (2010)

"Na ja, ich dachte mir, es macht mehr Spaß, als Blut zu spenden." Samenspender Paul (Mark Ruffalo) scheut sich nicht, auf die vielen Fragen seiner 18-jährigen Tochter Joni (Mia Wasikowska) und ihres 15-jährigen Bruders Laser zu antworten. Beide sind beim Lesbenpaar Nic (Annette Bening) und Jules (Julianne Moore) aufgewachsen und melden sich nun zum ersten Mal beim Vater. Die Kids stellen den coolen Single ihren Müttern vor. Doch während Jules ihn sofort mag, reagiert Nic skeptisch… "The Kids are all right" erntete vier Oscar-Nominierungen, u. a. als Bester Film. Regisseurin und Co-Autorin Lisa Cholodenko ist selbst lesbische Mutter eines per Samenspende gezeugten Sohnes.

Brokeback Mountain (2005)

Wyoming, 1963: Der stille Ennis (Heath Ledger) und der offenherzige Jack (Jake Gyllenhaal) entwickeln Gefühle füreinander, als sie am einsamen Brokeback Mountain Schafe hüten. Doch keiner wagt es, das Wort "Liebe" auszusprechen. Beide gehen auseinander und gründen Familien. Jahre später kommt es zum Wiedersehen… Ang Lees tieftraurige Lovestory überzeugte auch Millionen Hetero-Zuschauer mit tiefen Gefühlen. Mit Oscars für Regie, Drehbuch und Musik belohnt, bereichert der Film das Westerngenre um ganz neue Heldentypen.

Mulholland Drive - Straße der Finsternis (2001)

Bei einem Autounfall in Hollywood verliert die dunkelhaarige Rita (Laura Harring) ihr Gedächtnis. Die blonde Schauspielerin Betty (Naomi Watts) hilft ihr, die Bruchstücke ihres Lebens zu rekonstruieren. Die beiden verlieben sich, doch etwas stimmt hier nicht… Kinokünstler Lynch ("Lost Highway") lockt uns mit "Mulholland Drive" in ein Labyrinth aus suggestiven Bildern, Doppelgängermotiven und Erinnerungsfetzen, die einzig und allein der Logik eines Albtraums folgen.

Philadelphia (1993)

HIV-positiv: Staranwalt Andrew Beckett (Tom Hanks) ist vom Ergebnis seiner Blutuntersuchung schockiert. Als der Kanzleichef von der Diagnose erfährt, feuert er Andrew umgehend. Der will sich damit nicht abfinden: Er verklagt die Firma. Mithilfe seines zunächst ziemlich abweisenden Kollegen Joe Miller (Denzel Washington) kämpft der Todkranke um seinen letzten Sieg… Der anrührende, damals Tabus brechende Film von Jonathan Demme brachte Tom Hanks seinen ersten Oscar.  Bruce Springsteen erhielt die Trophäe für den Titelsong.

Bound - Gefesselt (1996)

Violet (Jennifer Tilly) lebt bei dem Ganoven Caesar (Joe Pantoliano) wie im Gefängnis. Als Corky (Gina Gershon) nach fünf Jahren Knast ins selbe Haus zieht, funkt es zwischen den beiden Frauen. Sie wittern ihre Chance, als Caesar zwei Millionen Dollar anschleppt, die dem Gangster Gino gehören. Ihr Plan, die Kohle zu klauen und die beiden aufeinander zu hetzen, birgt allerdings seine Tücken…

Mein wunderbarer Waschsalon (1985)

Der junge Pakistani Omar (Gordon Warnecke) erbt von einem Onkel einen abgewrackten Waschsalon. Mit seinem arbeitslosen Lover Johnny (Daniel Day-Lewis) baut er die Bruchbude zur exklusiven Reinigung um. Dann rücken Johnnys alte Skinhead-"Kumpel" von der "Nationalen Front" an… Mit dem ursprünglich fürs Fernsehen vorgesehenen Film über eine Männerliebe im London der Thatcher-Zeit avancierte der Brite Stephen Frears zum gefeierten Kinoregisseur.

Kommt Mausi raus?! (1995)

Kati (Julia Richter), genannt "Mausi", ist lesbisch. Notgedrungen verlässt die 20-Jährige ihr westfälisches Provinznest, um in der Millionenstadt Hamburg auf Partnersuche zu gehen. In Yumiko (Alexandra Wilcke) findet sie ihre große Liebe – und energische Förderin. Weil Mausi nämlich nach wie vor ihre Homosexualität kaschiert, schickt Yumiko die verunsicherte Lesbe nach Hause – dazu der gute Rat, "es" der Mutter zu sagen. Der Rest ist dann ein Kinderspiel. Wirklich?

Die Harten und die Zarten (1970)

William Friedkin ("Der Exorzist") verwandelte Mart Crowleys tragikomisches Off-Broadway-Stück über eine krass aus dem Ruder laufende Geburtstagsfeier schwuler Freunde in das unglaublich intensive Porträt einer von Selbstzweifeln und gesellschaftlicher Intoleranz gepeinigten Generation. "The Boys in the Band" (Originaltitel) Der "Queer Cinema"-Schlüsselfilm.

Mädchen in Uniform (1958)

Potsdam 1910, in einem Stift für adlige Mädchen: Manuela (Romy Schneider) leidet unter dem preußischen Drill, fühlt sich nur zu der verständnisvollen Erzieherin Fräulein von Bernburg (Lilli Palmer) hingezogen – und macht ihr ausgerechnet in dem Moment eine Liebeserklärung, als die strenge Oberin (Therese Giehse) den Raum betritt. Das hat für alle Beteiligten böse Konsequenzen… Mit "Mädchen in Uniform", dem Remake des gleichnamigen Klassikers von 1931, fühlte sich Romy "Sissi" Schneider erstmals als ernsthafte Schauspielerin.