Marvel hat mit dem Kinouniversum rund um "The Avengers" und die "Guardians of the Galaxy" eine einmalige Welt für die große Leinwand geschaffen. Nur "Iron Man 2" gilt unter Fans immer als das qualitative Schlusslicht der Reihe. Woher die Ablehnung kommt, ist vielleicht im zeitlichen Kontext begründet. "Iron Man 2" war bei seiner Erscheinung im Jahr 2010 erst der dritte Film des Marvel-Universums, erschien zu einer Zeit, als die meisten Kinogänger noch gar nicht wussten, dass aus diesem Film eine ganze Welt aus Superhelden geboren werden wird. Es lohnt sich also, ihm eine neue Chance zu geben.
Die Geburt des Marvel Cinematic Universe
2008 begann das Marvel-Universum mit zwei Filmen: Einmal erschien der umjubelte "Iron Man", außerdem war "Der unglaubliche Hulk" im Kino zu sehen. Die Verbindungen zwischen beiden Filmen waren aber sehr spartanisch. "Iron Man" hatte streng genommen nur eine kurze Szene nach dem Abspann, in der Samuel L. Jackson die Andeutung machte, es gäbe weitere Helden außer dem Blechmann. In "Der unglaubliche Hulk" wurde nur in einem Dialog die Organisation SHIELD aus "Iron Man" erwähnt, und Robert Downey Jr. hatte in der letzten Szene einen kurzen Gastauftritt als Tony Stark.
Welche Dimensionen das Marvel Cinematic Universe einmal annehmen würde, war nicht zu erahnen. Erst in "Iron Man 2" deutete Regisseur Jon Favreau die Größenverhältnisse an. Samuel L. Jackson à la Nick Fury bekommt eine große Rolle und will Tony Stark als Berater für die ‚Avengers‘-Initiative gewinnen. Mit Scarlett Johansson wird zudem bereits ein weiterer Avenger etabliert: Sie tritt hier erstmals als Geheimagentin Black Widow auf. Und in kleinen subtilen Easter Eggs wurde auf die Existenz von "Captain America" (Tony nutzt dessen Schild in seinem Labor), "Black Panther" (eine Karte im SHIELD-Quartier zeigt den fiktiven afrikanischen Staat Wakanda) und "Thor" (die Szene im Abspann mit dem Hammer) angespielt. 2008 mag das MCU begonnen haben, doch seinen ersten Probelauf hatte es in "Iron Man 2".
Eine mustergültige Fortsetzung: Mehr Spaß, mehr Komplexität
Kritiker zeigten sich 2010 noch von diesen Anspielungen irritiert. Sie bemängelten, "Iron Man 2" sei weniger eine Fortsetzung zu seinem Vorgänger, sondern mehr ein Trailer, ein Vorlauf für das angekündigte "The Avengers"-Crossover verschiedener Superhelden. Womöglich lag dies daran, dass 2010 solche Mechanismen, in denen einzelne Filme bereits Grundsteine zu verschiedenen weiteren Ablegern um individuelle Helden legen, noch nicht etabliert waren. Elf Jahre und zwanzig Marvel-Filme später wirkt dies weniger irritierend. Und es lässt sich nüchtern feststellen: "Iron Man 2" funktioniert auch als Fortsetzung hervorragend, leistet alles, was von einem zweiten Teil erwartet werden darf.
Es gibt deutlich mehr Action, ein breiteres Figurenensemble und eine komplexere Geschichte, die tief in die Psyche von Tony Stark eintaucht. Bis heute bemängeln Fans gerne, die vielen verschiedenen Handlungsstränge würden dem Film schaden, doch in Wahrheit hat kaum ein Marvel-Film so eine konzentrierte Spannung. Der rote Faden: Tony Stark stirbt. Der Arc-Reaktor in seiner Brust vergiftet ihn langsam. Während er also physisch leidet, wird auch sein Vermächtnis attackiert, von drei Seiten: Sein eigener bester Freund Rhodey soll für das Militär die Iron-Man-Rüstung stehlen, der Industrielle Justin Hammer experimentiert mit eigener Rüstungstechnologie und der russische Terrorist Ivan Vanko will Tony ermorden, um den Tod seines Vaters zu rächen, der einst einer Intrige von Tonys Vater Howard zum Opfer fiel.
Die Figuren bringen die nötige Würze mit
Nicht nur die Geschichte ist angenehm komplex, auch die Figuren sind es. Und das gibt den Schauspielern viele Möglichkeiten zu Glanztaten. Provokant gesprochen: Robert Downey Jr. war nie besser als in "Iron Man 2", im Sex, Drugs & Rock'n'Roll-Modus. Scarlett Johansson ist in ihrem Einstand ins MCU phänomenal und ihre Rolle clever angelegt: Zunächst nur die übliche sexy Frauenfigur, dann entpuppt sie sich als harte Kämpferin, die ihren Sex-Appeal zum Spionieren ausnutzt. Ein schönes Spiel mit den Ursprüngen der Figur in den Comic-Heften, in denen sie leider oft doch vor allem optisches Beiwerk für die männlichen Leser ist.
Der große Wurf des Films ist aber das doppelte Schurkenpaar: Sam Rockwell als flippiger, unfreiwillig peinlicher Tony-Stark-Verschnitt Justin Hammer ist eine Wucht! Noch besser ist aber Charakterdarsteller Mickey Rourke als Ivan Vanko. Zum Brüllen komisch, wie er Hammer regelmäßig nach seinem Vogel fragt, was mit seinem russischen Akzent etwa so klingt: "Wo ist mein Vugel?" Das Zusammenspiel beider Schurken trumpft. Hammer sorgt für Komik, Vanko für die Bedrohung. Und was für eine! Dank seines eigenen Arc-Reaktors verfügt er über gewaltige Plasma-Peitschen.
Sein erster Auftritt ist vielleicht das Action-Highlight des MCUs! Auf der Formel 1 Rennstrecke in Monaco tritt Vanko auf die Fahrbahn, schneidet vorbeirasende Wagen entzwei. Und Tony Stark muss sich ihm vorerst ohne seine Rüstung stellen. Ein Wow-Moment. Auch die restliche Action ist stark, insbesondere die Kampfszenen von Black Widow und der Kampf der Iron Männer, zwischen Stark und Rhodey. Nur das Finale ist vielleicht etwas zu viel Bombast, aber dieses Problem teilt "Iron Man 2" mit nahezu allen Marvel-Filmen.
Vorurteile vergessen und "Iron Man 2" neu entdecken
Es lohnt sich also durchaus, "Iron Man 2" mal wieder anzusehen. Vielen mag damals zum Beispiel der Gastauftritt von Elon Musk entgangen sein. Genauso hat sicher nicht jeder im Kinosaal mitbekommen, dass "Iron Man 2" auch eine Geschichte über Urheberrechtsethik erzählt und Kritik am US-amerikanischen Turbokapitalismus übt. Wer jetzt nicht weiß, was gemeint ist, muss sich das Marvel-Spektakel erst recht nochmal angucken.
Wer gewillt ist, "Iron Man 2" eine neue Chance zu geben, sollte alte Vorurteile zum Film möglichst abschalten und ihn als das sehen, was er ist: Als spaßigen, exzellent inszenierten Blockbuster, der eine komplexe Geschichte aus verschiedenen Handlungssträngen zusammenspinnt und mit einigen Überraschungen aufwartet. Zum Beispiel das es insgeheim ein Film über die Liebe ist: Die von Tony zu Pepper, von Söhnen zu ihren Vätern, von Kapitalisten zum Geld und von Ivan Vanko zu seinem "Vugel".