Warschau liegt in Breslau, und der Winter findet im Sommer statt. Requisiteure und Maskenbildner haben alle Hände voll zu tun, hier, in der Karola Szajnochy, einer kleinen Straße in Breslau, wo für die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Biographie "Mein Leben" das Warschauer Ghetto nachgebaut wurde.

Während nur wenige Meter entfernt Touristen an diesem schönen Augusttag ihren Milchschaum vom Latte macchiato löffeln, dirigiert eine Polin aus dem Filmteam gerade eine Gruppe abgerissener Gestalten. Die Komparsen spielen Juden aus dem Ghetto, die von der SS zum Transport ins Todeslager zusammengetrieben werden. Matthias Schweighöfer und Katharina Schüttler stehen am Straßenrand. Er ist im Film Reich-Ranicki, sie seine Frau Tosia. Die beiden haben bereits bei hochsommerlichen 40 Grad Celsius eine Szene gedreht, in der sie vorgeben, vor Kälte zitternd in einem Kellerversteck zu übernachten.

Lesetipp

Jetzt hat die Zeitmaschine der Regie die beiden Schauspieler in den September 1942 katapultiert. Hilflos muss Marcel Reich-Ranicki, damals 22 Jahre alt, mitansehen, wie seine Eltern nach Treblinka deportiert werden. Er wird sie nie wiedersehen.

Für Regisseur Dror Zahavi hat der Film eine besondere Bedeutung. Seine Großeltern starben im KZ, ein Onkel überlebte Auschwitz und schrieb darüber ein Buch. Der Schwerpunkt seiner Verfilmung liegt auf der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er zeigt den unbekannten Reich-Ranicki. Nicht den Starkritiker und Zuchtmeister des "Literarischen Quartetts", sondern den jungen Polen, der sich als Schüler in Berlin für die Literatur und Kunst des Volkes begeistert, das ihn 1938 aus Deutschland ausweist und später umbringen will.

Roman Polanski rekonstruierte für "Der Pianist" das Warschauer Ghetto vor Ort. Zahavi entschied sich für Breslau, wo er bereits Teile des Sat.1-Eventmovies "Die Luftbrücke" gefilmt hatte. Was ihn diesmal überraschte: Viele Bewohner wollten ihre Satellitenschüsseln nicht abschrauben und während des Drehs aufs Fernsehen verzichten.