Sie gehören seit Jahren zu Großbritanniens größten Kinostars. Jetzt haben Keira Knightley und Jude Law erstmals gemeinsam vor der Kamera gestanden. In der Neuverfilmung von Leo Tolstois Romanepos "Anna Karenina" spielt der 13 Jahre ältere Law den Ehemann von Knightley, die sich unglücklich in einen anderen, jüngeren Mann verliebt, was die Gesellschaft des 19. Jahr-hunderts gar nicht gutheißt.

Im Interview plaudern beide über schauspielerische Herausforderungen, die Liebe als Ganzes und die Stärken von Robert Downey Jr.
TV SPIELFILM: Hätten Sie nach einem vergleichsweise kleinen Projekt wie diesem wieder Lust auf Blockbuster wie "Fluch der Karibik"?

KEIRA KNIGHTLEY
Ich war tatsächlich froh, mich von solchen Mammutprojekten zu verabschieden. Ich habe fünf Jahre meines Lebens in "Fluch der Karibik" investiert, deshalb hatte ich so große Lust auf diesen Film.

Sie haben im Vorfeld gesagt, Tolstoi habe seine Romanfigur Anna Karenina wirklich gehasst. Wie kommen Sie darauf?

KEIRA KNIGHTLEY
Tolstoi hat Anna auf jeden Fall als sehr vielschichtige und kontroverse Figur angelegt. Vor den Arbeiten zum Film habe ich den Roman noch einmal gelesen, um die verschiedenen Schichten zu verstehen, aber ich glaube, dass er sie nicht wirklich erfasst. Tolstoi hat den Blickwinkel eines Außenstehenden und richtet über sie.

Konnten Sie das mit Ihrer Darstellung vielleicht ein wenig korrigieren?

KEIRA KNIGHTLEY
Ich habe es versucht. Anna Karenina ist eine Frau, die ihrer Umwelt unglaublich viel abverlangt. Doch ihre Bedürftigkeit ist etwas sehr Menschliches und erst mal nicht verwerflich. Sie zu spielen machte mich ihr gegenüber etwas nachsichtiger.
Wie kann man das verstehen?

KEIRA KNIGHTLEY
Na ja, sie ist einsam, eifersüchtig und auch manipulativ, aber das bin ich auch manchmal. Mitgefühl für jemanden aufzubringen, der trauert, ist einfach. Bei Anna ist das schwieriger.

Als Anna Karenina innerhalb der Gesellschaft in Ungnade fällt, wird sie gemieden und wie eine Aussätzige behandelt. Das erinnert ein wenig an einen gefeierten Hollywood-Star, der in Ungnade fällt.

KEIRA KNIGHTLEY
Das stimmt, da gibt es Parallelen. Wenn sich jemand nicht so verhält, wie die Gesellschaft es erwartet, ist er unten durch. Aber das Konzept lässt sich nicht nur auf Hollywood übertragen. Ein Kind, das auf dem Spielplatz nicht die richtigen Klamotten trägt, wird ausgegrenzt. Mobbing im Büro ist auch ein Beispiel für einen Mikrokosmos, in dem dieses Phänomen zu finden ist. Ich sympathisiere mit Anna Karenina nicht, weil sie wie ich im Rampenlicht steht, sondern weil sie gegen ein universelles Gesetz kämpft: Menschen richten über andere Menschen und sind böse zueinander.

Jude, Sie spielen Alexej Karenin, den biederen Ehemann der Protagonistin. Wäre der Film vor 10 Jahren gedreht worden...

JUDE LAW
...wäre ich wohl als der junge Liebhaber gecastet worden!

Stört Sie das?

JUDE LAW
Nein, ich werde in Zukunft auch mal wieder einen jugendlichen Liebhaber spielen. Es ist wahr, ich werde älter, das passiert halt. Aber das ist ein wunderbarer Teil meines Berufs. Die Rollen entwickeln sich ebenso wie man selbst. Alexej Karenin zu spielen war eine besondere Herausforderung für mich.
Inwiefern?

JUDE LAW
Nicht etwa, weil er nicht jugendlich ist, sondern weil es Facetten seines Charakters gibt, die ich vorher so noch nie auf der
Leinwand gezeigt habe.

Keira, würden Sie persönlich denn eher den Weg der Sicherheit oder den Weg der Begierde gehen?

KEIRA KNIGHTLEY
Diese Rechnung geht nicht auf, weil es beides nicht wirklich gibt. Es geht in diesem Film nicht um Sicherheit versus
Begierde, sondern um Liebe als Ganzes. Und diese Liebe ist nie vollkommen und geht immer mit Verzicht und Schmerzen einher.

Sie spielen gern Frauen, die gesellschaftlichen Konventionen trotzen und damit untergehen. Was reizt Sie daran?

KEIRA KNIGHTLEY
Es geht nicht speziell darum, dass es Frauen sind. Das wirklich Spannende ist der Mensch, der in einer bestimmten Situation gefangen ist und versucht, sich zu befreien. Geschichtlich bedingt waren es oft Frauen. Aber das trifft auch auf Männer zu.

Jude, Sie mussten bei Ihrer Darstellung sehr darauf achten, quasi zwischen den Zeilen zu spielen: keine Gefühlsausbrüche, keine Miene verziehen, reservierte Gesten. War das schwierig für Sie?

JUDE LAW
Ja, aber das hatte sich schon bei den Proben herausgestellt. Unser Regisseur Joe Wright wollte Karenin sehr statisch dargestellt sehen. Karenin ist ein Kontrollfreak, alles in seinem Leben hat seinen festen Platz, er ist ein Mann der Routine. Das musste ich jede Sekunde berücksichtigen.
In der Vergangenheit sind Sie immer wieder als Sexsymbol betitelt worden. In dieser Rolle sind Sie nicht eben attraktiv. Woher nehmen Sie den Mut zur Hässlichkeit?

JUDE LAW
Ach, ich habe jetzt Hunger auf andere Rollen - Rollen, in denen ich gegen das
Klischee spielen kann. Für Schauspieler ist der Übergang von den 20er- zu den 30er-Jahren oft ein wahres Minenfeld, man muss aufpassen, nicht zwanghaft an einer bestimmten Art von Rolle festzukleben, auch wenn die Öffentlichkeit diese Rolle mit einem assoziiert.

Funktioniert das?

JUDE LAW
Für mich auf jeden Fall. Ich finde die Rollen, die ich jetzt angeboten bekomme, viel spannender als früher. Und ich werde auch selbst immer ruhiger und reifer.

KEIRA KNIGHTLEY Ich weiß inzwischen, dass ich nicht jeden glücklich machen kann. Kritik ist für niemanden schön. Besonders junge und ungefestigte Menschen können großen Schaden daran nehmen. Es war und ist sehr hart, aber jeder kreative Job ist eben subjektiv, und es wird immer Menschen geben, die an mir etwas auszusetzen haben.

Apropos: Dies ist die erste Zusammen-arbeit für Sie beide. Jude, was gibt es denn an Keira auszusetzen?

JUDE LAW
Rein gar nichts, denn es ist sehr einfach, mit ihr zu arbeiten. Sie ist immer bis in die Fingerspitzen vorbereitet und geht äußerst professionell an die Arbeit. Und sie hatte immer ein offenes Ohr für die Beziehung zwischen unseren Filmfiguren.

Abgesehen natürlich von Keira, wer ist für Sie der ideale Filmpartner?

JUDE LAW
(lachend) Oh, dem kommt Robert Downey Jr. sehr nah: kreativ, vertrauensvoll und mit einer Unmenge an Fantasie.

Int.: Henrik Hohl