Siebzehn Jahre nach ihrer modernen Shakespeare-Interpretation "Romeo und Julia" wagen sich Leonardo DiCaprio und der australische Regisseur Baz Luhrmann ("Moulin Rouge") wieder an große Literatur: "Der große Gatsby" nach dem berühmten pessimistischen Gesellschafts­roman von F. Scott Fitzgerald. Der Film entführt uns in die schillernde Party-Welt der Zwanzigerjahre: Tobey Maguire spielt den angehenden Schriftsteller Nick, der im Frühling 1922 nach New York kommt, sich mit seinem Nachbarn anfreundet, dem geheimnisvollen Lebemann Jay Gatsby (DiCaprio), ohne zu ahnen, dass Gatsby einzig daran gelegen ist, Nicks Cousine Daisy (Carey Mulligan) zurückzuerobern.

Wie groß war in Ihren Augen das Risiko, sich an eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur zu wagen?

LEONARDO DICAPRIO
Gewaltig, und das ist die reine Wahrheit. Wenn man einen Roman, der als Meisterwerk gilt, auf die Leinwand überträgt, verpasst man ihm seine eigene Interpretation. Man muss Entscheidungen treffen, die nicht immer einfach sind. Ohne die anderen hätte ich mich das niemals getraut.
Die anderen...?

LEONARDO DICAPRIO
Baz Luhrmann, den ich seit meinem 18. Lebensjahr kenne, also locker zwanzig Jahre, und Tobey (Maguire). Mit ihm bin ich praktisch aufgewachsen, kann man sagen. Ich kenne Tobey, seit ich 12 Jahre alt bin, er gehört zur Familie. Nur mit dem gegenseitigen Versprechen, miteinander so brutal offen und ehrlich wie nur möglich zu sein, konnten wir dieses Wagnis eingehen. Schließlich wollten wir eng an der Vorlage bleiben.

Das klingt, als hätten Sie zunächst gezögert.

LEONARDO DICAPRIO
Ja, aber das tue ich bei jedem Film, vorher bin ich immer nervös. Ich erinnere mich, dass ich "Der große Gatsby" als Jugendlicher an der High School gelesen habe, da kam Gatsby mir als dieser starke, fast stoische, höfliche und irgendwie mysteriöse Lebemann vor, der alles unter Kontrolle hat. Als Erwachsener habe ich das Buch ganz anders verstanden.
Warum fühlen wir alle uns von diesem
Gatsby wie magisch angezogen?

LEONARDO DICAPRIO
Wie Baz selber ist auch Gatsby jemand, der aus dem Nichts kam, sich aber schon in seiner Jugend als eine Art Pionier in Amerika sah, fast ein Typ wie Rockefeller. Dass jemand seine Träume leben und sich immer wieder neu erfinden will, damit kann wohl jeder etwas anfangen. Das macht die Geschichte auch so universell und zeitlos.

Im Buch ist Gatsby dieser düstere, isolierte Charakter, während Sie ihn im Film durchaus in optimistischen Farben zeigen, sogar mit Humor. Eine bewusste Entscheidung?

LEONARDO DICAPRIO
Nein, aber auch das geht vielleicht wieder darauf zurück, dass mir die große Tragödie dieser Geschichte früher nie bewusst war. Ich hatte ihn immer für diesen hoffnungslosen Romantiker gehalten - so beschreibt übrigens auch Nick ihn im Film - und die Story für eine traditionelle Liebesgeschichte. Erst heute erkenne ich die immense Tragödie dahinter. Gatsby ist letztlich nicht viel mehr als die äußere Hülle eines Mannes, der verzweifelt versucht, eine Leere in seinem Leben zu füllen, daher auch diese Sehnsucht nach Daisy. Er will die Vergangenheit zurückholen. Gatsby ist die große Tragödie.

Fox

Regisseur Baz Luhrmann bei der "Australia"-Premiere in Rom, 2008

Sie haben vorhin schon angedeutet, dass Sie Parallelen zwischen Gatsby und Ihrem Regisseur Baz Luhrmann sehen. Welche genau?

LEONARDO DICAPRIO
Ich glaube, dass Baz ein bisschen selbst solch ein Gatsby ist, ja. Ich kenne niemanden, der sein tägliches Leben derart nach seinen Träumen gestaltet wie Baz Luhrmann. Und das ist sehr ansteckend! Man wird in seine Welt hineingezogen, ich jedenfalls, und zwar gleich ab dem ersten Moment, als er mit mir über "Der große Gatsby" sprach. Man will einfach dabei sein, es ist fast so, als könne man gar nicht Nein sagen.

Haben Sie etwas gelernt von Jay Gatsby?

LEONARDO DICAPRIO
Aber sicher. Zum Beispiel, dass Hoffnung eine ganz enorme Gabe sein kann. Er hatte sich von der Realität gelöst, aber kennen wir das nicht alle irgendwie? Ich auf jeden Fall.

Teilen Sie auch seinen Geschmack in Sachen Mode und Garderobe?

LEONARDO DICAPRIO
Sie meinen pinkfarbene Anzüge? Nein, die eher nicht. Das meiste meiner Garderobe ist entweder schwarz, grau oder dunkelblau, ich habe nicht viel Buntes. Auch nicht so viele Hemden, aber - ich mag Jackets. Irgendwie habe ich eine seltsame Vorliebe für Jackets, fast schon eine kleine Obsession.

Gatsby behauptet, er könne alles aus dem ersten Kuss herauslesen. Hat er recht?

LEONARDO DICAPRIO
Ich glaube schon. Es ist mir jedenfalls schon passiert.

Was würden Sie tun, um eine Frau zu erobern? Auch eine große Party schmeißen?

LEONARDO DICAPRIO
Einfach ich selbst sein. 

Interview: Scott Orlin