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TV-Doku

"Wir waren Avantgarde"

Bestsellerautor Richard David Precht erzählt in der Doku "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" von seiner ungewöhnlichen Kindheit. Heute im Ersten.

Die Biederkeit der Adenauerzeit und der brutale Krieg der USA gegen Vietnam führten die Eltern von Richard David Precht zu einer äußerst linken politischen Haltung. In seinem Buch "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" erzählt der Erfolgsautor ("Liebe: Ein unordentliches Gefühl") von seiner besonderen Kindheit, von DKP-Sommerlagern, vietnamesischen Adoptivgeschwistern und der Ablehnung alles Amerikanischen. Mit TV SPIELFIM sprach er über die Verfilmung seines Buches.

TV SPIELFILM: Was hat der kleine Richard früher in der großen Pause gemacht, wenn alle anderen über "Flipper" und "Daktari" geredet haben?

Richard David Precht: Die anderen dazu animiert, mit mir Fangen oder Verstecken zu spielen. Ich bin davon ausgegangen, dass Fernsehen etwas Übles ist, und damit wollte ich nichts zu tun haben.

Selbst "Daktari"? Sie hatten doch schon damals eine Leidenschaft für Zoos.

Richard David Precht: Ja, aber ich wusste ja, dass die Sendung amerikanisch war und die Tiere unter unzumutbaren Bedingungen leben mussten.

Hatten Sie in der Schule viele Konflikte wegen der Erziehungsansichten Ihrer Eltern?

Richard David Precht: Ja. Ich durfte zum Beispiel keinen Taschenrechner haben. Das haben meine Lehrer nicht verstanden. Die schikanösesten Konflikte hatte ich aber wegen Klamotten.

Wie meinen Sie das?

Richard David Precht: Wenn Sie immer nur vom Flohmarkt eingekleidet werden mit Kleidung, die fünf Jahre vorher in Mode war, dann stehen Sie in der Pubertät ziemlich doof da. Das ist auch der Bereich meiner Erziehung, auf den meine Eltern heute nicht mehr besonders stolz sind.

Was übernehmen Sie für die Erziehung Ihrer eigenen Kinder?

Richard David Precht: Was für eine seltsame Frage! Anfang der Siebziger waren die Spielregeln in der gesamten Gesellschaft ganz andere. Ich werde ja meine Kinder heute nicht mehr auf die Weltrevolution vorbereiten! Das würden meine Eltern heute auch nicht mehr tun. Sie waren aber damals Teil einer Bewegung, die Avantgarde war. Die wollten die Welt gerechter machen. Damals waren die klugen Köpfe links. Das ist heute nicht mehr so.

Verstehen Sie sich heute als Linker?

Richard David Precht: Ich halte von der Schematisierung rechts/links in unserer Zeit überhaupt nichts. Ich bin in dem Gefühl groß geworden, Teil einer linken Avantgarde zu sein. Die Rechten haben es NOCH NICHT kapiert, sagten meine Eltern. Heute muss ich sehen, dass die Linken die einzigen Konservativen sind. Sie verteidigen den Sozialstaat nach Ludwig Erhard. Und die Liberalen wollen eine Revolution machen, indem sie ihn abbauen. Damit ist doch klar: die alte Vorstellung von rechts und links ist vollkommen daneben und überholt. Das Kapital hat die Weltrevolution gemacht, nicht der Sozialismus.

Sie haben "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" geschrieben, um den Negativ-Schilderungen anderer Kinder aus linken Beziehungen etwas entgegenzusetzen?

Richard David Precht: Es war so richtig in Mode, dass die Kinder aus 68er-Familien sich darüber beschwerten, dass sie nicht so aufgewachsen sind wie alle anderen. Es gibt mehrere Bücher zu diesem Thema. Ich wollte mal darstellen, wie ich es empfunden habe. Ich hatte zwar eine wunderliche, aber gute Kindheit.

Frank Aures