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"Tatort": Dürfen Anwälte die Bösen mit allen Mitteln verteidigen?

Im "Tatort: Ad Acta" treffen die Schwarzwald-Ermittler Tobler und Berg auf einen skrupellosen Star-Anwalt, der sogar beim Mord an seinem Stiefsohn ungerührt bleibt.

Wie kommt man dem Bösen bei? Und sind die Guten dieser Welt nicht arg in der Defensive, auch wenn einem der bürgerliche Krimi oft etwas anderes weismachen will? "Tatort: Ad Acta" (Das Erste, Sonntag, 22.9., 20:20 Uhr), der neue Fall der Schwarzwald-Ermittler Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner), ist keineswegs so staubtrocken, wie es der Akten-Titel andeutet. Eher ist er ein Moralstück über ganz selbstverständlich böse Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft.

Das passiert in "Tatort: Ad Acta"

Star-Anwalt Rainer Benzinger (August Zirner), dessen Stiefsohn und Mitarbeiter Tobias Benzinger (Jan Liem) erschossen wurde, zeigt sich seltsam gefasst am Tatort. Ist es angelernte professionelle Coolness? Während Nader Mansour (Hassan Akkouch), der Mann des Toten, und Maki Benzinger (Akiko Hitomi), die Mutter, aufrichtig trauern, scheint Rainer Benzinger zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Was für ein Mensch ist das? Nun, wir erfahren, dass Benzinger vorwiegend für die Bösen dieser Welt arbeitet: Rotlichtmilieu, Organisierte Kriminalität - und er hat eine überragende Quote in Sachen Freisprüche und milde Urteile. Könnte es sein, dass Junganwalt Tobias Benzinger aus dem schmutzigen Familiengeschäft aussteigen wollte?

Dann erfahren Tobler und Berg, dass mit der Tatwaffe vor mehr als zehn Jahren schon einmal ein Verbrechen verübt wurde. Mit dem Fall betraut war damals Bruno Tobler (Michael Hanemann), Franziskas Vater. Bruno ist mittlerweile pensioniert, alleinstehend und an Krebs erkrankt. Seit der Diagnose versucht Franziska, sich mehr um ihren Vater zu kümmern, auch wenn zwischen den Zeilen und gemeinsamen Momenten ein nicht ganz einfaches Verhältnis hervorschimmert. Während Franziska ihrem Vater Informationen über Rainer Benzinger entlocken will, dessen Fällen er damals als Polizist immer wieder begegnete, will Bruno Tobler seine Tochter dazu bewegen, sich auf die vakante Stelle als Leiterin des Kommissariats zu bewerben.

Derweil wird ihr Kollege Berg im Verlauf der Ermittlungen immer knurriger. Offenbar geht dem Ermittler und Teilzeitbauern die Gerechtigkeitsschieflage seiner Umwelt gehörig an die Nieren. Was nicht nur daran liegt, dass ein Fundament, das er auf seinem Bauernhof neu gießen möchte, ihm immer wieder zwischen den Händen zerrinnt.

Die Moral bröselt gewaltig

Der bröselnde Boden trotz "ehrlichen" Handwerks, der im Krimi von Bernd Lange (Drehbuch) und Rudi Gaul (Regie) Kommissar Berg dauernervt, kann durchaus als Symbol für die Arbeit der Polizei und anderer Institutionen der Gerechtigkeit aufgefasst werden. Im Schweiße seines Angesichts versucht man, das Richtige zu tun - doch am Ende bricht einem das Fundament unter den Füßen zusammen. Top-Autor Bernd Lange ("Das Verschwinden") schrieb bereits einige der besten Schwarzwald-Folgen. Zum Beispiel Toblers und Bergs Debüt, "Tatort: Goldbach" (2017), oder zuletzt "Die Blicke der Anderen" (2022) mit Lisa Hagmeister als am Mord an Mann und Sohn vorverurteilte Frau, die als Fremde nicht so recht in eine gutbürgerliche Schwarzwaldgemeinde passen wollte.

Auch "Ad Acta" ist ein präzise beobachtetes Moralstück aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. Nur geht es - erst mal - weniger um private Verstrickungen, sondern darum, wie wir als Individuen mit den Institutionen unserer demokratischen Gesellschaft umgehen. Darf und sollte ein Anwalt wirklich sämtliche Mittel nutzen, um selbst die Bösesten der Gesellschaft zu verteidigen? Welche Rolle spielen die Gerichte bei der finalen Urteilsfindung? Und ergibt der Job der Polizei überhaupt noch Sinn, wenn die Gegner kaum greifbar, dazu in Sachen Mittel und Ausstattung hoch überlegen sind? Friedemann Berg und Franziska Tobler, die in ihrem siebten Ermittlungsjahr zuletzt wieder mehr private Erzählstränge bekommen, stellen sich diese Fragen ebenso wie die Zuschauer, auch wenn einem dies durch das fein-zurückhaltende Drehbuch keineswegs übergebraten wird.

Und wie auch Otto-Normal-Bürger reagieren auch Tobler und Berg betroffen, aber unterschiedlich auf den gesellschafllichen Status quo: Berg mit Wut, Tobler mit Traurigkeit. Immerhin: Am Ende gelingt den beiden eine kleine, fiese Rache gegen das Böse an sich - und dazu applaudiert nicht nur Schwarzwald.