Lesetipp

Es wird bereits dunkel, als Linus Gerdemann (26) an diesem Frühsommerabend im Schweizer Alpenort Martigny erschöpft vom Rad steigt. Die Vorbereitung auf die Tour de France, die am 4. Juli mit einem spektakulären Prolog in Monaco beginnt, ist nichts für Weicheier. Der Kapitän und Hoffnungsträger des letzten deutschen Spitzenteams Milram hat gerade den schweren Schlussanstieg der 15. Tour-Etappe nach Verbier ausgekundschaftet.

Und anschließend noch eine Sonderschicht im Windschatten eines Begleitfahrzeugs eingelegt. Später im Mercure Hotel du Parc steht er - frisch geduscht - zusammen mit seinem Mannschaftskollegen Fabian Wegmann (28) zum Interview bereit. Es geht um die Chancen der beiden beim härtesten Radrennen der Welt und natürlich auch um das Thema Doping. Gerdemann: "Totschweigen bringt ja nichts."

TV SPIELFILM: Herr Gerdemann, Sie sind 2008 als Star zum letzten deutschen Topteam geholt worden - der Erwartungsdruck bei der Tour de France ist entsprechend hoch.

Linus Gerdemann: Man hat ja selbst einen relativ hohen Leistungsanspruch an sich. Ich will das Optimum rausholen, bin in einer absolut guten Form und möchte nach einer möglichst gewissenhaften Vorbereitung an den Start gehen.

Geht es ein bisschen konkreter?

Linus Gerdemann: Ich bin kein Freund großer Ankündigungen. Aber ich erwarte schon von mir, dass ich ein Wörtchen mitreden kann, was die Gesamtwertung angeht. Wie weit vorne ich am Ende lande, hängt natürlich auch von der Stärke der Konkurrenz ab.

Wie sieht die Tour-Zielsetzung bei Ihnen aus, Herr Wegmann?

Fabian Wegmann: Zum einen will ich natürlich Linus unterstützen. Zum anderen ist es aber ein Traum von mir, mal eine Etappe zu gewinnen. Ganz klar.

Wie wichtig war auf dem Weg dorthin Ihr Sieg am 1. Mai beim Klassiker Eschborn-Frankfurt City Loop - früher Rund um den Henninger-Turm - für Sie persönlich und fürs ganze Team?

Fabian Wegmann: Das war schon bombastisch. Es war immer ein Traum von mir, dieses Rennen zu gewinnen. Hinzu kam, dass wir dieses Jahr noch nicht so viele Siege geholt hatten. Mit Christian Knees auf Platz drei haben wir da wirklich eine super Teamleistung abgerufen.

Im Vorfeld gab es auch kritische Stimmen, dass es um die Harmonie im Team nicht zum Besten bestellt sei. Hat der Sieg den Kritikern den Wind aus den Segeln genommen?

Fabian Wegmann: Diese Kritik teile ich überhaupt nicht. Wir hatten zuvor schon einige Podiumsplätze erreicht, und manchmal fehlt eben das letzte Quäntchen. Wenn man Zweiter wird, hat man schon verloren. Dann findet man in den Medien schon fast nicht mehr statt. Ich denke, wir harmonieren im Team sehr gut und haben auch immer Spaß miteinander.

Linus Gerdemann: Geht so. (lacht)

Fabian Wegmann: Na ja, zumindest, wenn Linus nicht dabei ist. (beide lachen)

Linus Gerdemann: Die Medien finden es eben immer interessanter, über eine Krise zu berichten. Da muss man als Fahrer gelassen bleiben. Wir hatten am 1. Mai einen großen Erwartungsdruck, und ich denke, wir - auch und gerade Fabian - haben ihm gut standgehalten. Das zeichnet eine homogene und intakte Mannschaft letztlich aus.

Bei der Tour könnten Sie auf Lance Armstrong treffen. Wie stehen Sie zu seinem Comeback?

Linus Gerdemann: Fakt ist, dass dem Radsport mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, seit er wieder im Renngeschäft ist. Durch die Person Lance Armstrong. Durch den Starkult um Lance Armstrong.

Armstrongs Comeback bringt also Aufmerksamkeit, ist aber nicht unbedingt hundertprozentig gut für den Radsport?

Linus Gerdemann: Das sagen Sie.

Aber Sie selbst haben sein Comeback doch schon mit ganz ähnlichen Worten kritisiert.

Linus Gerdemann: Das habe ich nie so gesagt, da wurde ich leider falsch zitiert. Ich hatte damals gesagt: Solange die deutschen Medien Lance Armstrong immer in direktem Zusammenhang mit Doping sehen, ist das nicht förderlich für die Glaubwürdigkeit des Radsports in Deutschland.

Astana-Profi Andreas Klöden hat einige Ihrer Äußerungen zum Thema Doping kritisiert und Ihnen unterstellt, Sie würden sich "auf Kosten Anderer Fahrer profilieren". Hinterlässt so was Wirkung bei Ihnen?

Linus Gerdemann: Erstens glaube ich, dass ich niemals versucht habe, mich auf Kosten anderer zu profilieren. Und zweitens bin ich immer ein großer Freund davon, Konflikte und Probleme persönlich auszudiskutieren und nicht auf dem Weg über die Öffentlichkeit - auch wenn der für die Medien vielleicht unterhaltsamer sein mag.

Herr Wegmann, seit Ihre einstigen Gerolsteiner-Kollegen Bernhard Kohl, Davide Rebellin und Stefan Schumacher positiv getestet wurden, besteht der Verdacht, es habe im kompletten Team Doping gegeben. Wie sehr nervt es Sie, sich nun auch rechtfertigen zu müssen?

Fabian Wegmann: Das nervt richtig. Allerdings hat Bernhard Kohl ja mehrfach unsere Teamleitung entlastet und erklärt, woher er das Zeug hatte. Es hat im Team Gerolsteiner nie systematisches Doping gegeben.

Glauben Sie noch daran, dass das Dopingproblem - nicht nur im Radsport - irgendwann in den Griff zu bekommen ist?

Linus Gerdemann: Das lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Ich glaube, dass alles dafür getan werden muss, möglichst viele Betrüger in jeder Sportart zu überführen.

Fabian Wegmann: Es gibt Sportarten, die ähnlich strenge Antidopingregeln haben wie wir, es gibt aber auch andere mit weniger strengen und wieder andere mit nahezu gar keinen. Mir ist das egal. Für mich zählt am Ende nur, dass in meinem Sport das Problem nicht nur erkannt, sondern, wie es im Moment ja auch geschieht, angepackt wird.

Für die dreiwöchige Rundfahrt benötigt der Körper eine Menge Energie. Was ist Ihre Lieblingsmahlzeit vor einer schweren Bergetappe?

Linus Gerdemann: Auf Rundfahrten haben die meisten Radprofis ein relativ ähnliches Essverhalten. Nach einer Etappe, auf der du 8000 Kalorien verbrennst, stehen Nudeln und Kohlenhydrate im Vordergrund.

Kann Essen da überhaupt noch ein Vergnügen sein?

Fabian Wegmann: Wenn der Koch gut ist: Warum nicht? Es gibt auf der Tour Momente, in denen man so kaputt ist, dass man Hunger hat, aber gleichzeitig müde ist. Da ist es extrem wichtig, dass es schmeckt.

Frank Steinberg