Von FOCUS-Autorin Beate Strobel
Jenny Elvers wohnt in Hamburg in einer Drei-Zimmer-Wohnung, 110 Quadratmeter groß. Knapp 2000 Menschen in der Hansestadt können davon nur träumen; deren Schlafsack liegt auf Kartons und hartem Pflaster. Doch weil RTL2 es so will und Gage zahlt, zieht Jenny Elvers zieht nun ihre Ugg-Boots an und verlässt ihre vier Wände: 72 Stunden in Köln warten auf sie – Obdachlosigkeit auf Zeit. Und mit der Kamera-Crew neben sich. Total authentisch also.
Uli "die Axt" Borowka, kennt das Oben und das Unten aus eigener Erfahrung: Nach seiner Karriere als Profi-Kicker hatte ihm der Alkohol alles genommen, beinahe wäre er damals auf der Straße gelandet. Jetzt ist er seit 20 Jahren trocken. RTL2 schickt ihn nach Frankfurt am Main – ausgerechnet an den kältesten Wintertagen 2021.
Und dann ist da noch Alessia Herren, bislang hauptberuflich die Tochter von Ballermann-Sänger Willi Herren und Kandidatin in diversen TV-Formaten. Die Doku-Soap "Prominent & obdachlos" ist nur eine weitere Station ihrer Fernsehkarriere. Die 19-Jährige zieht für ihr Schnupperpraktikum im Obdachlosenmilieu von Köln nach Kiel. Kleiner Trost: Chihuahua Gucci darf mitkommen.
Ein Sozialexperiment nennt RTL2 diesen VIP-Export auf die Straße. Und um nicht in den Verdacht zu kommen, mit "Prominent & obdachlos" die Schicksale der Menschen auf der Straße zu verharmlosen, betont die Stimme aus dem Off laufend, wie schwer das Leben ohne festen Wohnsitz ist. Und eben das sollen die prominenten Kurzzeit-Bettler jetzt auch mal ganz direkt erleben. Ein bisschen Empathie und ganz viel Schadenfreude – die Vokabel "Sozialexperiment" sollte dringend neu definiert werden.
Lesetipp
Dass das Leben auf der Straße kein Spaziergang im Sonnenschein ist, gehört zum Allgemeinwissen. "Schon ein hartes Leben irgendwie", erkennt selbst Alessia Herren, vom Kopf her eher weltfremd und dem Allgemeinwissen nicht ganz so zugeneigt. Wenige Stunden nach Experiment-Start fließen schon bei ihr die Tränen. "Das ist voll schlimm irgendwie", sagt sie. Nach gerade einmal 21 Stunden gibt sie auf: "Ich schwöre, ich will nach Hause." Die Stimme aus dem Off salbadert angesichts dieses Verlusts sinnfrei vor sich hin: "Das Experiment hat ihr ihre Grenzen aufgezeigt."
Auch Uli Borowka gibt vorzeitig auf – nach 30 Stunden in der Eiseskälte tun ihm die Knochen weh bis ins Mark. Er will nach Hause ins Warme – und dort "eine Kerze anzünden" dafür, dass er trotz persönlichem Absturz noch rechtzeitig die Kurve gekratzt hat.
Bleibt noch Jenny Elvers als diejenige, die den harten Weg "Du bist den ganzen Tag ohne Ziel", lautet ihr persönliches Learning aus diesen 72 Stunden. Zugleich ist man immer auf der Suche – nach Kleingeld für Zigaretten, nach einem sicheren Ort zum Schlafen oder auch nur einem Klo. Ihr Fazit: "Es müsste mehr öffentliche Toiletten geben." Für dieses Wissen 72 Stunden draußen in der Kälte verbringen? Oder zwei Stunden vor dem Fernseher? Schade um jede einzelne Minute.
Der Artikel "Prominent und obdachlos": Alessia Herren in Tränen aufgelöst wird veröffentlicht von FOCUS online.