Nach den Geschehnissen um die "Kleine Freiheit" ist die LKA-Beamtin Helen Dorn (Anna Loos) von Düsseldorf nach Hamburg gezogen. Die zu Alleingängen neigende Beamtin scheint mit ihrem Umzug nicht nur persönlichen Ballast aus früheren Zeiten abwerfen zu wollen. Ihr Kriminaltechniker Weyer ist ihr an die Waterkant gefolgt und während die beiden zusammen über ein Volksfest schlendern, lässt Dorn nichts unversucht, Weyer zu überreden, endlich seine neue Kollegin Dr. Alighieri, die er sehr offensichtlich sehr sympathisch findet, um ein Date zu bitten.
Die Einzelgängerin Helen Dorn als Beziehungsvermittlerin? Dorn wirkt wie ausgewechselt. Bis Weyer nach diesem schönen Bummel Hause geht, Helen noch etwas umher schlendert und einer Sanitäterin zu Hilfe eilen muss, die offenbar Opfer eines brutalen Überfalls geworden ist. Die junge Frau, Petra Winkler, wird bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert. Ihr Kollege Holger Krawitz ist nach dem Vorfall mit den Nerven am Ende. Petra und er waren auf dem Fest nur kurz getrennt. Zwei, vielleicht drei Minuten. Holger wollte sich einen Kaffee holen. Zwei, drei Minuten, die alles verändert haben. Von Schuldgefühlen gepeinigt fährt Krawitz mit der S-Bahn vom Krankenhaus kommend nach Hause und erspäht einen jungen Mann, den er auf dem Volksfest gesehen hat. Einen jungen Mann, der bei seinem Anblick sichtlich nervös wird. Krawitz will mit ihm reden, aber der junge Mann rennt davon. Krawitz nimmt seine Verfolgung auf.
Schnitt.
Emotional stark belastet
Das ist möglich. Allerdings kann Helen Dorn nicht von dem Fall der Sanitäterin lassen, der sie emotional belastet. So kommt sie an ein Überwachungsvideo, auf dem niemand anderes als der tote Abiturient zu sehen ist. Michael war auf dem Volksfest zu der Zeit – als die Sanitäterin angegriffen worden ist.
Zufall?
Verzweiflung tatsächlich spürbar
Die Inszenierung des 14. «Helen Dorn»-Falles gönnt der Zuschauerschaft – zumindest temporär – einen Wissensvorsprung. Tatsächlich ist der tote Abiturient niemand anderes als der junge Mann aus der S-Bahn, dessen Verfolgung der Sanitäter Holger Krawitz aufgenommen hat. Doch hat der ihn auch erschlagen? Zunächst einmal deutet alles darauf hin, denn Krawitz erhält eine durchaus nachvollziehbare Hintergrundgeschichte. Der Sanitäter aus Überzeugung hat die Nase voll davon, ständig angepöbelt oder gar angespuckt zu werden. Als ehemaliger Soldat ist er außerdem jemand, der sicher auch einen gesunden, jungen Mann zu Boden ringen kann, wenn es notwendig ist. Dieser Sanitäter gibt sich nun die Schuld an dem Geschehen, denn er war nicht da, als seine Kollegin ins Koma geprügelt worden ist. Immer wieder richtet die Kamera ihren Fokus auf diesen Mann, der von Matthias Koeberlin als ein verlorener Idealist dargestellt wird, der seinen Beruf wirklich liebt und doch an ihm verzweifelt.
Das Thema Gewalt gegen Sanitäter wurde zuletzt bereits in dem Dresdner "Tatort: Rettung so nah" filmisch aufgearbeitet. Wo im "Tatort" jedoch in erster Linie ein gesellschaftlich relevantes Thema mit dem Anspruch eines pädagogischen Erziehungsauftrages dröge und unspannend abgearbeitet worden ist, wird Krawitz' Verzweiflung tatsächlich spürbar. Dieser Mann leidet. Jedoch ist er kein passiv leidender Mann: in ihm brodelt eine tickende Zeitbombe, die bei Erschütterung explodieren kann. Was nicht bedeutet, dass sie bereits explodiert wäre, denn ja, er mag Michael verfolgt haben. Aber hat er ihn auch umgebracht?
Wendungsreich ist das Drehbuch von Mathias Schnelting und die Kriminalhandlung ist von Regisseur Marcus O. Rosenmüller adäquat und angenehm verschachtelt umgesetzt worden. Angenehm, da die Verschachtelung nie unübersichtlich wirkt. Darüber hinaus versteht die Regie am Ende durchaus an den Spannungsschrauben zu drehen und bietet - dank der Kameraarbeit von Ralph Kaechele – sehr wohl komponierte Bilder. Mit Kaechele, der 2012, man höre und staune, die Kamera einer Stop-Motion-"SpongeBob Schwammkopf"-Weihnachtsepisode geführt hat und immer wieder über den Tellerrand deutscher Bilderzeugung hinausschaut, hat die Serie einen Glückstreffer gelandet. Schon der letzte "Helen Dorn"-Spielfilm, sein Debüt als Kameramann im Rahmen dieser Reihe, überzeugte auf visueller Ebene. "Helen Dorn – Wer Gewalt sät" belegt, dass dies kein Zufall gewesen ist.
Helen Dorns neues Einsatzgebiet ist Hamburg
Ganz gelungen aber ist der Film leider nicht, wenn man ihn in einem Kontext mit dem letzten Fall, "Helen Dorn – Kleine Freiheit" betrachtet. Ein alter Fall verschlug die ansonsten in NRW agierende Ermittlerin gen Norden in die Freie und Hansestadt Hamburg. Hier lernte sie im Herbst 2020 ihre Kollegin Katharina Tempel kennen, die von Franziska Hartmann dargestellt wurde (und auch in diesem aktuellen Film dargestellt wird). In der Quotenmeter-Besprechung wurde seinerzeit gemutmaßt, dass mit der Ermittlerin Katharina Tempel eine neue Hauptfigur in die Serie eingeführt worden ist. So wurde der Figur der Katharina Tempel nicht nur eine umfangreiche Backstory mit einem neunjährigen Sohn und einem offenbar gewalttätigen Ex-Ehemann verpasst: ihr zur Seite wurde darüber hinaus ein vollständiges Ermittlerteam in die Story eingeführt. Ein recht umfangreiches Ensemble für einen einzelnen Trip nach Hamburg...
Zum Weiterlesen: Die Kritik "Helen Dorn – Kleine Freiheit"
"Helen Dorn – Wer Gewalt sät" beweist nun die Richtigkeit der Annahme. Helen Dorns neues Einsatzgebiet ist Hamburg, Weyer hat sie begleitet und mit Katharina Tempel und ihrem Team steht bereits ein Ensemble bereit, das mit diesem Fall hauptamtlich seine televisionäre Ermittlungsarbeit aufnehmen kann. Doch leider gerät die Inszenierung hier etwas ins Schwimmen. Es ist offensichtlich, dass Helen Dorn nun in Hamburg ermittelt, um die Figur neu zu zeichnen. Etwas weicher zum Beispiel. Wenn sie etwa nach der höchst illegalen Beschaffung einer DNA-Probe Weyer bittet, diese auszuwerten und eben genau dieses eine Wörtchen benutzt, "Bitte", ist Weyer verblüfft, denn "Bitte" hat Dorn noch nie zu ihm gesagt. Auch die Alleingänge der Helen Dorn, für die die Hauptfigur seit dem Start der Serie 2014 bekannt ist, werden in diesem Film kritisch hinterfragt und es ist Katharina Tempel, die Helen zu verstehen gibt, dass Ermittlungsarbeit Teamarbeit ist. Die Art, wie Helen Dorn diese Kritik verarbeitet, ist überraschend: Sie nimmt sich der Kritik an. Ja, hier wird gerade eine Figur neu gezeichnet, um sie für die nächsten Jahre fit zu machen. Das ist löblich. Allein geht dies auf Kosten der anderen Figuren.
Wurde die Figur der Katharina Tempel in der letzten Episode als ruhige, freundliche Ermittlerin in die Serie eingeführt, als eine Frau, die über einen ausgeprägten Sinn für Humor verfügt und vor allem eine Ruhe mitbringt, die selbst eine Eigenbrötlerin wie Helen Dorn nachdenklich werden lässt, ist Katharina Tempel in diesem Film eigentlich nur eine Figur, die entweder ärgerlich oder sehr ärgerlich auf Helens Drang zum Solo-Trip reagieren darf. Dass Helen darauf durchaus empathisch reagiert, ist eine Sache. Dass keine weitere Entwicklung der Figur der Katharina Tempel stattfindet, ist jedoch mit Blick auf ihre Einführung irritierend. Agierte Darstellerin Franziska Hartmann in "«Helen Dorn – Kleine Freiheit" auf Augenhöhe mit Hauptdarstellerin "Anna Loos", ist von dieser Gleichstellung in diesem Film nicht viel übrig geblieben. Diese Beobachtung wird Zuschauern, die der Reihe nicht regelmäßig folgen, wahrscheinlich kaum auffallen. Im Rahmen dieses Einzelfalles funktionieren die Figuren im Umfeld Helen Dorns als Stichwortgeber ohne Makel. Wer jedoch der Reihe folgt, wird diesen Makel zur Kenntnis nehmen.
Bleibt zu hoffen, dass der nächste Spielfilm der Reihe, "Die letzte Rettung", der erneut nach einem Drehbuch von Mathias Schnelting entsteht, diesen Makel ausräumt. Zumindest ein Momentum in diesem aktuellen Film, ein Fast-Zusammentreffen zwischen Katharina Tempel und ihrem Ex-Mann, ein Moment, der ohne weitere Erklärung für sich steht, lässt darauf schließen.
"Helen Dorn – Wer Gewalt sät" ist am Samstag, den 6. März 2021, im ZDF zu sehen.
Der Beitrag "Helen Dorn – Wer Gewalt sät" erschien zuerst bei quotenmeter.de und wurde von TVSPIElFILM-Autoren um weitere Informationen ergänzt.
Das Original zu diesem Beitrag ""Helen Dorn – Wer Gewalt sät" im ZDF: Selbstjustiz? Idealistischer Sanitäter sieht rot" stammt von "Quotenmeter".