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WM-Blamage in Katar: Doku von Amazon Prime Video will dem DFB auf den Zahn fühlen

In All or Nothing: Die deutsche Nationalmannschaft in Katar bezieht Thomas Müller Stellung zum WM-Aus der DFB-Elf bei der WM in Katar 2022.
Thomas Müller kommt in der Prime-Doku zum WM-Aus in Katar zu Wort. Amazon Studios

Trauer statt Triumph: Die WM in Katar endete für die deutsche Nationalmannschaft mit einem Desaster. Prime Video arbeitet das sportliche Versagen in "All or Nothing: Deutsche Nationalmannschaft in Katar" nun mit einem Blick hinter die Kulissen auf.

Jubeltaumel, Spieler, die sich freudestrahlend in den Armen liegen und große Emotionen daheim vor dem Fernseher: Solche und ähnliche Bilder hatte sich Prime Video sicher erhofft, als man einen Ableger der beliebten "All or Nothing"-Dokureihe über die deutsche Nationalmannschaft ankündigte. Und der DFB dürfte sich vom Blick hinter die Kulissen neben einer Charme-Offensive für den arg in Mitleidenschaft gezogenen Ruf der Nationalmannschaft auch die Bebilderung einer sportlichen Wiedererstarkung versprochen haben.

Doch statt in "All or Nothing: Die deutsche Nationalmannschaft in Katar" (ab 8. September, Prime Video) von der triumphalen Rückkehr der Flick-Elf an die Weltspitze zu erzählen, war die Aufgabe von Regisseur Christian Twente und seinem Team plötzlich eine ganz andere: Das erneute Vorrunden-Aus nach der großen Enttäuschung 2018 in Russland bildete nur ein weiteres Kapitel eines sportlichen Niedergangs, bei dem noch immer kein Ende in Sicht ist. Verbunden sein wird die Wüsten-WM in Katar im Rückblick wohl eher mit den Kontroversen rund um die Menschenrechtslage, die Posse um die "One Love"-Armbinde und die Debatte darüber, ob Sport und Politik zu trennen sind.

"Tragödie" statt "Wunder": Frühes WM-Aus in Katar

Entsprechend kompliziert ist das Feld, das die Macher der vierteiligen Dokuserie zu beackern haben. "Diese Geschichte könnte von einem Wunder erzählen", gibt die charismatische Stimme von Erzähler Béla Réthy, der kürzlich pensionierten ZDF-Reporterlegende, die Richtung vor. Doch es sei "eine Tragödie geworden". Weitgehend chronologisch arbeitet sich die Prime-Video-Produktion an der sportlichen Talfahrt beginnend mit dem Start der Ära Flick ab. Man erfährt, dass Flick von Abwehrkante Antonio Rüdiger als "Vaterfigur" gesehen wird und dass er laut Leon Goretzka "das Leistungsprinzip in die Mannschaft zurückgebracht" hat - eine recht explizite Spitze gegen Flicks Amtsvorgänger Jogi Löw.

Derlei spannende Hinweise auf das kriselnde Binnenklima und teils schwierige Innenleben der DFB-Elf bleiben in "All or Nothing" aber rar gesät. Stattdessen erwarten Fußballfans altbekannte Floskeln. Wahlweise fühlen sich Spieler ans "Limit gepusht", Joshua Kimmich würde gerne "Verantwortung übernehmen" und "vorangehen", und Jamal Musiala sieht es als "Ehre, das deutsche Trikot anzuhaben".

"Elf Kimmichs wären auch nicht gut"

Kontroverse Szenen wie der Kopf-an-Kopf-Hahnenkampf zwischen Antonio Rüdiger und Joshua Kimmich werden in den Folgen, die der Presse vorab zur Verfügung standen, hingegen zügig abgehandelt. "Elf Kimmichs wären auch nicht gut, dann würde es nur ein Aneinandergeraten geben", ist das knappe Fazit des Münchner Mentalitätsspielers. Über die tatsächlichen Dynamiken innerhalb der Mannschaft oder etwaige Grüppchenbildung erfährt man wenig. Am spannendsten sind die Aufnahmen der Mannschaftssitzungen und der Diskussionen nach der Auftaktniederlage gegen Japan.

Präsent ist auch die Debatte um die "One Love"-Armbinde in Kombination mit der allgemeinen Ablehnung aus Deutschland gegenüber dem WM-Ausrichter Katar. "Die Kritik gilt nicht den Spielern, die da hinfahren, sondern denen, die eine Rolle gespielt haben bei der Vergabe", bemüht sich Leon Goretzka in der Doku um Einordnung. Auch andere Äußerungen nähren das Narrativ, das die DFB-Delegation schon rund um das Turnier vertrat. Hinsichtlich der Reaktionen auf die umstrittene Mund-zu-Geste vor dem Spiel gegen Japan konstatiert der einstige DFB-Geschäftsführer über die mediale Berichterstattung: "Es ist immer zu wenig."

Manuel Neuer: "Unsere Werte wird man nicht brechen"

Dem pflichtet auch Thomas Müller bei, der klagt: "Ich hatte das Gefühl, dass wir als Verband und Spieler von der deutschen Öffentlichkeit getrieben wurden." Über eine vermeintliche Uneinigkeit innerhalb der Mannschaft, von der dereinst Sportmedien berichteten, ist in der Prime-Doku jedenfalls keine Spur mehr. Kapitän Manuel Neuer versichert stattdessen: "Man kann uns vielleicht die Binde nehmen, aber die Stimme nach außen und unsere Werte wird man nicht brechen."

So gesehen droht "All or Nothing: Die deutsche Nationalmannschaft" ein ähnliches Schicksal wie dem deutschen Team bei der WM 2022 in Katar: Da kam zu wenig. Um wirklich in Erinnerung zu bleiben, fehlen der Dokuserie schlichtweg Ecken und Kanten sowie echtes Aufregerpotenzial.