.

"The Good Mothers"

Streamingtipp: Mütter gegen die Mafia – Disney+ zeigt erschütternde, wahre Geschichte

Meinung | Bei der Berlinale wurde 2023 erstmals ein Award für eine Serie vergeben. Er ging an die italienische Produktion "The Good Mothers". Unser Redakteur Michael Hille hat sich die ganze Serie angeschaut. Für ihn ist die Serie ein Geheimtipp – man muss aber auch vor ihr warnen.

Die mit einem Symbol oder Unterstreichung gekennzeichneten Links sind Affiliate-Links. Kommt darüber ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision - ohne Mehrkosten für Sie! Mehr Infos

Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst, sagt eine Kalenderspruch-Phrase. Es scheint zu stimmen: Miniserien nach wahren Begebenheiten finden sich aktuell zuhauf auf den Streamingkanälen. Ob nun True-Crime-Formate, packende Einzelschicksale oder Gründungsmythen – Unterhaltungsfernsehen ist mittlerweile oft auch Geschichtsstunde. Es passt also ins Bild, dass bei der Berlinale der erste ‚Berlinale Series Award‘ auch an eine Serie vergeben wurde, die auf Tatsachen basiert: "The Good Mothers".

Mittlerweile, seit dem 5. April 2023, gibt es die Serie in voller Länge mit allen sechs Folgen in Deutschland zu sehen, sie ist bei Disney+ erschienen – und könnte sehr schnell zum Geheimtipp werden. Denn die ungewöhnliche, aber wahre Geschichte um drei Mütter, die es nahezu im Alleingang mit der italienischen Mafia aufnehmen, ist aufwühlend, packend und emotional ergreifend erzählt. Keine Frage: Der ‚Berlinale Series Award‘ ist hochverdient, schon jetzt darf "The Good Mothers" als ein Serien-Highlight des Jahres bezeichnet werden. Und doch kann man diese Serie nicht jedem uneingeschränkt empfehlen.

Die unglaubliche wahre Geschichte von "The Good Mothers"

Foto: Disney+, In "The Good Mothers" leidet man mit den Figuren mit.

"The Good Mothers" hat seinen Titel vom gleichnamigen Roman des Autoren Alex Perry, der in diesem Buch eine reale Geschichte verarbeitete und dafür akribisch recherchierte. Der Serien-Autor Stephen Butchard (er schrieb zuvor für Netflix "The Last Kingdom") hat aber nochmal eigene Recherchen betrieben, damit "The Good Mothers" so nah an der Realität wie möglich ist. Es beginnt mit der aus Kalabrien stammenden Lea Garofalo (Micaela Ramazzotti) und ihrer Tochter Denis (Gaia Girace). Seit sieben Jahren leben beide versteckt im Zeugenschutzprogramm, da Lea gegen ihren brutalen Mann Carlo Cosco (Francesco Colella) vor Gericht ausgesagt hat. Carlo ist Mitglied der 'Ndrangheta, die als die mächtigste Mafiaorganisation der Welt gilt. Von ihrer Aussage erhoffte sie sich ein besseres Leben für ihre Tochter – vor allem da es im Leben der kalabrischen Mafia eine streng patriarchalische Struktur gibt, Frauen also wenig bis nichts zu melden haben.

Als Lea kurz darauf spurlos verschwindet, setzt sich einiges in Bewegung. Staatsanwältin Anna Colace (Barbara Chichiarelli) ist fest entschlossen, die Machenschaften der 'Ndrangheta in Kalabrien zu zerschlagen, indem sie weibliche Mitglieder der Mafia zur Zusammenarbeit bewegt. In Denise findet sie eine erste Verbündete, später kontaktiert sie Giuseppe Pesce (Valentina Bellè) und Cetta Cacciola (Simona Distefano), junge Mütter, die in erdrückende, lieblose Ehen gedrängt wurden. Es ist eine gefährliche Strategie, die Colace verfolgt: Frauen müssen ihre Familien verraten und sich in die Schusslinie begeben. Aber definiert es nicht eine gute Mutter, sich für eine bessere Zukunft für die eigenen Kinder einzusetzen?

"Runterzieher"-Fernsehen vom Feinsten – bei Disney+

Foto: Disney+, Ein Kampf gegen Windmühlen: Mehrere Mütter stellen sich gegen die Mafia.

"The Good Mothers" ist eine fantastische Serie, nach wenigen Minuten ist das klar. Nahezu mühelos gelingt es den Regisseuren Julian Jarrold und Elisa Amoruso, Szenen des Unbehagens zu erschaffen. In kühler Lichtsetzung eröffnen sie mit wenig Aufwand den Einblick in eine trostlose Welt, in der Frauen sich der allgegenwärtigen Gewalt um sich herum und gegen sie selbst längst zu fügen gelernt haben. Obwohl es nur selten direkt im Bild zu Gewalt kommt, ist die Atmosphäre von Beginn an erdrückend. Die festen und unerbittlichen Strukturen des Mafia-Lebens lassen jeden Widerstand aussichtslos erscheinen. Erst ab Folge 4 und 5 bekommt man langsam das Gefühl, den mutigen Frauen könnte tatsächlich eine Art Sieg gegen den allmächtigen Feind gelingen – doch selbst dann schwingt immer ein Gefühl von Tragik mit. Tragik, dass es überhaupt so weit kommen und dass im Leben dieser Frauen Gewalt so alltäglich werden konnte.

Bei "The Good Mothers" handelt es sich nicht im klassischen Sinne um eine Unterhaltungsserie. Sie ist sehr langsam und ruhig erzählt, ihre Tonalität fällt betont nüchtern aus. Kamera, Regie und Lichtsetzung bemühen sich um einen hyperrealistischen Eindruck, fast dokumentarisch wirkt die zurückgehaltene Inszenierung. Konflikte finden vor allen in kleinen Gesten, in geflüsterten Dialogen und in langen Momenten konzentrierter Stille statt. Große Spannungsmomente, in denen das Geschehen eskaliert, gibt es nur wenige – und wenn sind sie von fast unerträglicher Spannung dominiert. Wer sich darauf einlassen kann, bekommt packendes Qualitätsfernsehen geboten, das zudem zeitgeistiger nicht sein könnte: Hier stehen Frauen im Mittelpunkt, die das Schweigen brechen, die für ein besseres Leben und eine bessere Zukunft kämpfen, und den ewigen Kreislauf aus Gewalt und Unterwürfigkeit durchbrechen.

Und doch sollte man "The Good Mothers" nicht bedenkenlos jedem empfehlen. Die Serie ist kein entspannter Couchabend mit einer Tüte Chips. Sie ist herausfordernd, düster und geht im besten Sinne tief unter die Haut. Genau das, was ein gutes Drama eben leisten soll – wer jedoch in der falschen Stimmung diese Serie anschaut, könnte "The Good Mothers" als böses "Runterzieher"-Fernsehen erleben. Man muss sich in diesen Abgrund stürzen wollen. Dann jedoch wird man mit einer Serie belohnt, die einem sehr lange nicht mehr aus dem Kopf gehen wird und in ein intensives Finale mündet, das mehrfach zu Tränen rührt.

Wie das Leben dieser Frauen verlaufen ist, lässt sich im Internet mit wenigen Klicks herausfinden. Es lohnt sich aber, dieser Versuchung zu widerstehen und sich in "The Good Mothers" hinein zu wagen und ihre Geschichten durch diese Serie kennenzulernen. Denn die famosen Drehbücher und die sensationellen Schauspielerinnen im Zentrum gewähren diesen realen Frauen etwas, dass ihnen ihr Leben lang von den kriminellen Menschen um sie herum verweigert wurde: Würde.

Die komplette Miniserie "The Good Mothers" ist bei Disney+ verfügbar.

Foto: Disney+, Das offizielle Plakat zur preisgekrönten Serie "The Good Mothers".