Mit spektakulären neun Nominierungen ging "The Banshees of Inisherin" bei der Oscar-Verleihung 2023 als einer der großen Favoriten ins Rennen. Doch bekam das neue Werk von Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh keinen der Goldjungen. Und das völlig zu Unrecht! Denn die Tragikomödie, die seit dem 15. März bei Disney+ verfügbar ist, ist ein Geniestreich und ohne Zweifel der beste Film des noch jungen Jahres.
Darum geht's in "The Banshees of Inisherin"
Irland, 1923: Während auf dem Festland der Bürgerkrieg tobt, macht sich auf der (fiktiven) Insel Inisherin der einfältige Pádraic (Colin Farrell) wie jeden Abend auf zu seinem besten Freund Colm (Brendan Gleeson), um gemeinsam mit dem älteren Musiker ins Pub zu gehen. Doch der lässt ihn eiskalt abblitzen. Colm gibt Pádraic daraufhin zu verstehen, dass er ihn nicht mehr leiden könne und deshalb nicht mehr mit ihm befreundet sein wolle.
Der junge Landwirt glaubt zunächst, dass das ein Scherz sein soll. Und so konfrontiert er seinen ehemaligen Freund immer wieder. Dann aber stellt ihn Colm vor ein Ultimatum: Sollte Pádraic ihn weiterhin belästigen, dann werde er sich jedes Mal einen Finger an der linken Hand abschneiden. Und so nimmt eine Katastrophe ihren Lauf, die schon bald die ganze Insel beschäftigt ...
The Banshees of Inisherin: Eine Allegorie auf Irland – und das Leben
Oberflächlich mag es sich bei "The Banshees of Inisherin" um eine schräge Komödie mit allerlei schwarzem Humor handeln. Doch wer Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh und seine grandiosen Filme (allen voran "Brügge sehen ... und sterben?" und "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri") kennt, weiß, dass in seinen Werken viel mehr steckt. So auch in "The Banshees of Inisherin".
Vordergründig verarbeitet der Ire in der Tragikomödie die bewegte Geschichte seiner Heimat anhand des Streits zwischen den beiden Freunden. Denn seit die grüne Insel 1920 von den Briten in den protestantischen Norden und den katholischen Süden geteilt wurde, sind sie und ihre Bewohner zerrissen. Regelmäßige Aufstände und Terroranschläge von Extremisten beider Parteien machte Irland in den folgenden Jahrzehnten zu einem Konfliktherd. Die Lage mag sich zwar mittlerweile beruhigt haben, dennoch merkt man vielerorts immer noch Spannungen sowie den Wunsch nach einem friedlichen, vereinten Irland.
Gleichzeitig feiert McDonagh sein Heimatland in "The Banshees of Inisherin". Mit der Hilfe von Kameramann Ben Davis fängt er die Schönheit der Insel ein mit ihren martialischen Steilküsten und den endlosen, saftig-grünen Wiesen. Die Pub-Kultur wird ebenso gefeiert wie die irische Folkmusik. Und auch die sympathischen Eigenheiten der Iren kitzelt McDonagh in jeder Szene heraus. Außerdem adressiert der Drehbuchautor und Regisseur an vielen Stellen die spannende Folklore des Landes und spielt mit Metaphern und Symbolen, die man als Nicht-Ire streckenweise nur schwer versteht. Als Beispiel der Titel: Banshees sind in der keltischen Mythologie eine Art Geist, die einen bevorstehenden Tod oder ein Unheil ankündigen. In dem Film wird dieser Sagengestalt in Form der schrägen Mrs McCormick (Sheila Flitton) Tribut gezollt. Details wie diese machen "The Banshees of Inisherin" derart aufregend, dass man am liebsten sofort eine Reise nach Irland buchen möchte.
Doch damit nicht genug: Eine Deutungsebene tiefer entfaltet "The Banshees of Inisherin" ein kraftvolles Kaleidoskop an Themen, das man so bei einer Tragikomödie eher selten findet. So ist der Film simpel gesagt auch eine Allegorie auf das Leben mit all seinen Facetten. Es geht darin um die Höhen und Tiefen von Freundschaft. Darum, dass man sich weiterentwickelt und andere einem fremd im Alter werden können – oder umgekehrt. Der Film behandelt die Schönheit des Vertrauten, gleichzeitig aber auch dessen Enge. Er zeigt, wie wichtig es ist, seinen Träumen zu folgen und über sich hinauszuwachsen – auch wenn man Familie oder Freunde dadurch vor den Kopf stößt oder verletzt. Es geht in "The Banshees of Inisherin" auch um die Suche nach dem Sinn des Lebens und darum, dass man ihn oftmals auch in den kleinen Dingen findet. Einsamkeit, Trauer, Liebe, Tod und das Vermächtnis für die Nachwelt sind ebenfalls beherrschende Themen dieses Films, genauso wie die Sinnlosigkeit von Boshaftigkeit und Arroganz. Dabei kommt "The Banshees of Inisherin" nie mit dem erhobenen Zeigefinger daher, sondern zeigt vielmehr: Jeder Mensch, jedes Leben ist anders und hat auf seine Weise einen Platz in dieser Welt.
Die perfekte Balance zwischen Komödie und Tragödie
Ein Drehbuch, das diese Themenvielfalt transportiert, ist schlichtweg ein Meisterwerk. Martin McDonagh hätte dafür alle Preise der Welt bekommen sollen. Gleiches gilt für die Darsteller. Colin Farrell war nie besser. Sein einfältiger Pádraic ist eine der liebenswertesten Figuren der Filmgeschichte. Jedes Mal, wenn er zu sehen ist, geht einem im Herzen die Sonne auf. Umso mehr leidet man mit ihm, wenn es ihm schlecht geht. Brendan Gleeson, der mit Farrell bereits in "Brügge sehen ... und sterben?" ein traumhaftes Duo abgegeben hat, ist ebenfalls grandios. Als Denker, der ständig über die Welt und das Leben grübelt und gleichzeitig eine tiefe Traurig- und Bitterkeit in sich trägt, weiß er zu begeistern. Einerseits verachtet man ihn dafür, wie er Pádraic behandelt. Andererseits kann man seine Beweggründe nachvollziehen. Nach facettenreichen Figuren wie diesen beiden kann man sich nur die Finger lecken.
Doch nicht nur sie beide sind spektakulär. Kerry Condon ist als Pádraics Schwester Jenny die Stimme der Vernunft in "The Banshees of Inisherin" und ein liebevolles Leitbild. Als sie ihrem Traum folgt, muss man glatt eine Träne verdrücken. Ähnlich mitreißend ist Barry Keoghan als Dominic. Das tiefe Mitleid, das man mit ihm während des gesamten Films, spürt, beweist einmal mehr, dass Keoghan einer der besten Schauspieler seiner Generation ist.
Sie allesamt sind dermaßen stark, dass es eigentlich ein Skandal ist, dass sie nicht mehr Preise abgeräumt haben. Wie sie die ständige Balance halten zwischen Komödie und Tragödie, zwischen Lachen und Weinen, zwischen Freude und Trauer, ist schlichtweg spektakulär.
"The Banshees of Inisherin" ist wie das Leben
Am Ende ist "The Banshees of Inisherin" nichts für jedermann und alles andere als eine Wohlfühlkomödie mit Happy End. Denn obwohl man weite Teile des Films wegen des genialen Drehbuchs und der phänomenalen Schauspieler aus dem Lachen nicht mehr herauskommt, ist die Tragikomödie auch ein Schlag in die Magengrube. Da ist "The Banshees of Inisherin" ebenfalls wieder wie das Leben: schön, traurig, lustig, schockierend – doch trotz all der Höhen und Tiefen nie langweilig. Und so geht man am Ende mit schwerem Herzen und vielen Gedanken aus "The Banshees of Inisherin" heraus, aber auch mit einem Lächeln. Und dieses Gefühl wird 2023 wohl erst einmal kein anderer Film so schnell heraufbeschwören.
"The Banshees of Inisherin" ist seit 15. März bei Disney+ verfügbar.