Auf Streamingdiensten erscheinen jede Woche so viele neue Veröffentlichungen, dass nicht wenige einfach untergehen und kaum bemerkt werden. Für nicht jeden Neustart machen die Anbieter zudem gleich viel Werbung. Und so gehen manchmal Projekte ohne große Aufmerksamkeit unter. Aktuell ist es gerade mal wieder besonders schade, um einen Film, der fast heimlich exklusiv bei Disney+ veröffentlicht wurde, jetzt aber schon zu den Streaming-Highlights des Jahres zählen dürfte: "Rye Lane".

Mit einer Laufzeit von gerade einmal 81 Minuten handelt es sich bei "Rye Lane" um eine romantische Komödie – ein Genre, das in den letzten Jahren meist in wenig überzeugenden Netflix-Filmen beackert wurde, die vor Klischees nur so trieften. "Rye Lane" aber ist anders: Berührend, charmant, mutig, witzig und so luftig-leicht wie tiefschürfend.

"Ryan Lane" zeigt: So zufällig kann es Liebe sein

Searchlight Pictures / Hulu

Romantischer wird es 2023 nicht mehr: "Rye Lane" lässt Herzen höher schlagen.

South London: Auf der Unisex-Toilette einer Kunstausstellung bekommt die aufstrebende Modedesignerin Yas (Vivian Oparah) mit, wie in der Kabine neben ihr der gleichaltrige Dom (David Jonsson) bittere Tränen weint. Sie wechseln ein paar kurze Worte. Etwas später treffen sie sich auf der Galerie wieder und kommen richtig ins Gespräch. Dom erzählt, dass er vor kurzem erfahren hat, dass seine feste Freundin ihn nach sechsjähriger Beziehung mit seinem besten Freund betrogen hat. Yas will ihn aufmuntern, denn auch sie hat erst vor kurzem eine Trennung durchlebt, die sie psychisch schwer getroffen hat.

Gemeinsam verbringen sie den Tag und machen einen großen Spaziergang durch die Stadtteile Peckham und Brixton, sprechen über ihre Leben und lernen sich kennen. Und sie erweisen sich gegenseitig Freundschaftsdienste: Dom ist am Abend mit seiner Exfreundin zum Essen verabredet. Yas willigt ein, ihn zu begleiten und sich als seine neue Freundin auszugeben. Im Gegenzug soll er sie zur Wohnung ihres Exfreundes begleiten, damit sie endlich ihre Lieblingsplatte dort abholen kann. Und am Ende dieses turbulenten Tages wird beiden klar: Sie wollen sich unbedingt wiedersehen.

Mix aus "Notting Hill" und "Before Sunrise": "Rye Lane"

Nach einer Zufallsbekanntschaft verbringen zwei junge Erwachsene Mitte zwanzig den ganzen Tag zusammen und am Ende gibt es die Aussicht auf ein "Mehr"? Natürlich erinnert "Rye Lane" mit diesem Aufbau sofort an den 90s Romantikklassiker "Before Sunrise". Doch noch ein anderer Vergleich drängt sich auf, mit einem Film, der ebenfalls in London spielt und mit einer zufälligen Begegnung beginnt: "Notting Hill".

Diesen Vergleichen – und das ist das erstaunliche – hält "Rye Lane" absolut stand. Das Regiedebüt der Filmemacherin Raine Allen-Miller sprüht über vor Witz und Kreativität. Schon die erste Begegnung von Dom und Yas auf der Toilette filmen sie und ihr Kameramann Olan Collardy in so schrägen und bemerkenswerten Perspektiven, in knallig-bunten Farben, dass "Rye Lane" sich nach wenigen Momenten als Hingucker entpuppt.

Und was wäre ein Liebesfilm ohne seine Hauptdarsteller? Vivian Oparah und David Jonsson sind beide absolute Entdeckungen. Die Chemie zwischen den beiden ist geradezu elektrisierend, ihre Wortgefechte sind pfiffig und im richtigen Maße rührend. Zudem wartet "Rye Lane" mit einem Maß an gelungener Situationskomik auf, wie man es nur noch selten in dieser Form zu sehen bekommt.

Schwarze Liebe: Was "Rye Lane" so besonders macht

Searchlight Pictures / Hulu

Vivian Oparah und David Jonsson sind dank "Rye Lane" ein neues Film-Traumpaar.

Was "Rye Lane" aber zudem noch neu und frisch wirken lässt, ist sein Setting: Die beiden Schwarzen Hauptdarsteller necken und turteln hier durch Peckham im Süden Londons, das wohl größte Multikulti-Viertel in Großbritannien. "Rye Lane" zelebriert Schwarze Liebe und die Schwarze Lebenskultur, und zeigt somit ein ganz anderes London als man es sonst oft zu sehen bekommt.

Auch hier lohnt sich der Vergleich mit "Notting Hill": Damals war der gleichnamige gentrifizierte Londoner Stadtteil die ideale Kulisse für die unschuldige Liebe zweier Weißer Menschen. Jetzt dient die reale Straße "Rye Lane" quer durch Peckham als Metapher für einen sozialen Zwischenraum, in dem wie in einem Schmelztiegel die unterschiedlichsten Kulturen koexistieren und sich gegenseitig bereichern – genau wie Dom und Yas sich so perfekt ergänzen.

"Rye Lane" ist ein exzellent gespielt, bunt bebilderter und smart geschriebener Sommerfilm, in den man sich verlieben kann und der dafür dennoch nie in Kitsch abgleiten muss – und zudem in eine Subkultur einlädt, die viel zu selten so liebevoll porträtiert wird. An einer Stelle übrigens genau hinsehen: Für nur einen winzigen Augenblick hat ein großer britischer Filmstar, der selbst einst in zahlreichen Liebesfilmen mitspielte, einen Gastauftritt, der perfekt ins Bild passt – seine Szene ist zugleich liebevolle Hommage an die großen Vorbilder als auch die Staffelübergabe an eine neue Generation.

"Rye Lane" ist bei Disney+ verfügbar.