"Sons of Anarchy" hat neben knallharten Typen, schonungslosen Storylines und anarchischem Outlaw-Charme vieles zu bieten. Da wären die grandiosen Gastrollen, u.a. waren Stephen King (S3,E3), Hal Holbrook als Gemmas Vater Nate, Marilyn Manson als lokaler Anführer der Aryan Brotherhood oder Krawallrockerin Courtney Love als Grundschullehrerin in der Serie zu sehen. Da wäre der stimmungsvolle Soundtrack und die toll eingefangenen, erhabenen Totalen aus dem amerikanischen Hinterland.

Doch natürlich sind es die Figuren, die die Serie zum Hit werden ließen. Hauptakteur der Serie ist Jackson "Jax" Teller (Charlie Hunnam), zu Beginn noch der Vizepräsident des Motorradclubs (MC). Er ist die Identifikationsfigur der Serie, der verzweifelt Zweifelnde, der zwischen Gut und Böse hin und hergerissen scheint. Jax führt den Zuschauer durch die Serie indem er beginnt, die Methoden und Sichtweisen des Clubs und dessen Präsidenten Clay Morrow (Ron Perlman) in Frage zu stellen. Familiär konfliktbeladene Konstellationen, u.a. ist Clay Jax'' Stiefvater, und die Kompromisslosigkeit der rivalisierenden Banden haben Sprengkraft und Serien-Schöpfer Kurt Sutter weiß diese in sieben Staffeln und mehr als 90 Episoden gewinnbringend einzusetzen. Bis zum Ende legt "Sons of Anarchy" (kurz: SoA) eine rasante, wendungsreiche Fahrt auf die Serienbahn.

SoA: Western in modernem Gewand

Warum sind Western so faszinierend, immer schon? Weil sie eine (scheinbare) Parallelwelt porträtieren, die uns aber doch den Spiegel vorhält. Dabei setzt das Genre auf Action, Twists und die klassische Heldenerzählung: Eine Figur ist vom Schicksal geplagt, rächt sich und findet auf den guten Weg zurück. Nichts anderes macht "Sons of Anarchy". Nur reiten hier keine Revolverhelden mit Cowboyhüten durch die Prärie. Es ist eine moderne Adaption: Rowdys mit Lederkutten rasen über die Highways der USA. Eine uramerikanische Szenerie, die lonely rangers üben Selbstjustiz, leben nach ihren eigenen Gesetzen.

Auch filmische Vorbilder gibt es dafür: So haben Dennis Hopper und Peter Fonda mit dem Kult-Roadmovie "Easy Rider" (1969) das Bild der gesetzlosen Freiheitskämpfer verewigt. Auch in "Sons of Anarchy" stemmen sich Jax und Co. in ihren schweren Maschinen gegen die gesellschaftliche Ordnung, müssen etliche Rückschläge verkraften und fortlaufend um ihr Leben bangen.

SoA: Hamlet auf zwei Rädern

Showrunner Kurt Sutter hat die Serie als shakespearehaftes Drama angelegt und den englischen Dramatiker mal als eines seiner Vorbilder bezeichnet: "Ich bin fasziniert von dieser Welt" sagte er in einem Interview, als er auf die Parallelen zwischen "Sons of Anarchy" und "Hamlet" angesprochen wurde. Es ist offensichtlich: Die Stimme des Vaters aus dem Jenseits, die Mutter, die den neuen "König" geheiratet hat - hier klingt unverkennbar das Hamletmotiv an. "Sons of Anarchy" ist, das erkennt man schon nach wenigen Folgen, aufgebaut wie eine klassische Tragödie. Jax' Zwiegespräche, die er durch das Tagebuch seines toten Vaters quasi mit dessen Geist führt, finden ihr Vorbild ebenfalls in Shakespeares "Hamlet".

Warum auch nicht? Das Motiv funktioniert noch heute: Es liefert großes Drama, die nötige Fallhöhe für die beteiligten Hauptcharaktere, Intrigen, Verwicklungen und eine scheinbar unüberwindbare Machtstruktur, aus der es auszubrechen gilt. Ein Schicksalsstoff, der den Zuschauer mitfühlen lässt, ständig in der Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wendet. Obwohl jedem bewusst sein dürfte: SoA nimmt kein gutes Ende. Dass muss es auch nicht, immerhin hat Shakespeare die Frage nach "Sein oder Nichtsein" ebenfalls bewusst offen gelassen.

SoA: Atmosphärisch dicht wie ein zugedröhnter Rowdy

Bei der Atmospähre von SoA kommt viel zusammen: Der westernähnliche Flair, die erbarmungslose Härte, bissige Dialoge, aber vor allem handwerkliche Aspekte, wie die Kameraarbeit sowie die bestens eingesetzte Musik. Letzteres ist ein großer Trumpf, fahren die Biker doch in endlos vielen Einstellungen durch endlose Weiten der USA. Da braucht es stimmungsvolle Sounds und die kommen tatsächlich zu einem Großteil aus Neuinterpretationen bekannter Rock- und Popnummern aus den 60er und 70er-Jahren. Unter anderem liefert Dusty Springfield eine solch anregende Version von "Son of a Preacher Man", dass man glatt selbst aufs Motorrad steigen will (oder zumindest einen Motorradführerschein in Erwägung zieht). Auch die neuen Einspielungen von den Rolling Stones ("Gimme Shelter"), von Bob Dylan ("Girl from the North Country"), Leonard Cohen ("Bird on a Wire") und Creedence Clearwater Revival ("Travelin Band") versetzen jeden Zuschauer in Roadtrip-Stimmung.

SoA: Charlie Hunnam als Jax, Katey Sagal als seine Mum

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Gemma Teller Morrow, hier in der 6. Staffel SoA, wird von Katey Sagal facettenreich gespielt

Natürlich ist Ron Perlman die Idealbesetzung für Clay und selbstredend ist er ein zentraler Eckpfeiler im robusten Machtgefüge der Serie. Dennoch: Die entscheidenden, publikumsrelevanten Figuren sind hier Mama und Sohn. Charlie Hunnam als Jax und die von Katey Sagal grandios verkörperte Mutter Gemma konstituieren diese essentielle Gefühlswelt, die es heutzutage braucht, um moderne Serien erfolgreich werden zu lassen. Sie sorgen für das große Drama, das emotionale Auf und Ab. Charlie Hunnam als Jax erinnert mit seinen schulterlangen Haaren und seinen spöttischen Grinsebacken an den jungen Brad Pitt, er ist ein dynamischer, vereinnahmender Charakter, der mit seiner ambivalenten Persönlichkeit nie Langeweile aufkommen lässt, der bis zum Ende schwer einschätzbar, oft sogar unberechenbar wirkt. Und doch ist er zwischen all den raubeinigen Rambos und unsympathischen Unruhestiftern der Gute, der Mensch in Kutte, die fleischgewordene "Harte Schale, weicher Kern"-Figur.

Wenn man diese Gemma, gespielt von Katey Sagal, sieht, möchte man kaum glauben, dass die selbe Frau mal elf Staffeln lang Peggy Bundy aus "Eine schrecklich nette Familie" war. Diese kiffende, kompromisslose Rocker-Mum ist die coolste Frauenfigur der ganzen Serie. Denn, ja, das ist eine Schwäche: Sonst sind alle Frauen nur Sexobjekt oder wasserreichende Staffage in den dreckigen Rocker-Clubs der Serie. Bei Gemma hingegen erinnert eine tiefe Narbe auf ihrer linken Brust an das Herz, das hinter der harten Oberfläche schlägt. Auch hier trägt das Motiv "harte Schale, weicher Kern" - sie vererbte es ihrem Sohn. Nur der und ihr Mann spielen eine Rolle in ihren Prioritäten. Für diese beiden ist sie bereit zu lügen, zu schlagen und zu töten. Da "Sons of Anarchy" perfektes Drama ist, dauert es nicht lange, bis sie plötzlich zwischen den beiden steht.

SoA: Temporeiche Action-Unterhaltung mit doppeltem Boden

Bei all der Analyse darf das Offensichtliche nicht vergessen werden: SoA ist in ihrer Derbheit und Brutalität vor allem beste Action-Unterhaltung. Kurt Sutter hat aus dem Stoff eine Testosteron-Seifenoper entwickelt, in der andauernd Häuser in die Luft fliegen, Bleikugeln durch gestählte Körper jagen und sowohl Fäuste als auch Fetzen fliegen. Zählt man die Figuren, die zwischen 2008 und 2014 im Laufe der Serie ihr Leben ließen, braucht SoA auch die brutalste Konkurrenz nicht zu scheuen: Man konkurriert mit "Game of Thrones", "Spartacus: Vengeance" und "Nikita" um die meisten Toten pro Episode.

Damit ist die Serie definitiv eine der gewalttätigsten der letzten Jahre, die dabei im Gegensatz zu "The Walking Dead" auf realistische Gewaltdarstellungen setzt und damit umso weniger etwas für schwache Nerven ist. Vordergründig ist das leichter Stoff, der kaum Grips nötig macht, doch im Grunde geht es um große, gesellschaftsrelevante Fragen über Loyalität, Freundschaft, Familie und Moral. Die Anziehungskraft zieht sie zwar aus der morbiden Faszination, die von Gewalt ausgeht, aber das funktioniert nur so gut, weil die Outlaw-Biker Warnung und Erinnerung zugleich sind: So könnte es uns auch ergehen, jenseits von Moderne und Zivilisation. Und was fasziniert uns mehr, als das Erschrecken über menschliche Abgründe?