Durch sein sensationelles Drehbuch für den Film "Gosford Park" wurde der britische Autor Julian Fellowes zum Oscarpreisträger – und zu einem Garant für edle Adelsgeschichten. Von 2010 bis 2015 begeisterte er weltweit mit seiner Serie "Downton Abbey" ein immenses Publikum. Die Serie gewann zahlreiche Preise, war 2011 die meistverkaufte DVD-Box und landete im selben Jahr sogar im Guinness-Buch der Rekorde als "von Kritikern am besten bewertete Fernsehserie". Es folgten 2019 und 2022 zwei Kinofilm-Fortsetzungen.
Mittlerweile hat sich Fellowes aber auch an eine neue TV-Serie gesetzt, die sich leicht als "Downton Abbey in New York" bezeichnen ließe – und doch auf erfrischende Weise etwas Neues und Erfrischendes bietet. "The Gilded Age" heißt sie, ist jetzt bei Sky Ticket und Sky Q verfügbar, und kann Fans historischer Revuenummern nur wärmstens ans Herz gelegt werden.
Das vergoldete Zeitalter: Geldadel vs. Neureiche
New York City, 1882: Fast zwei Jahrzehnte nach dem Sezessionskrieg befinden sich die Vereinigten Staaten in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Industrialisierung wurde durch den Bau der Eisenbahn stark vorangetrieben und hat für viele Neureiche gesorgt. Marian Brook (Louisa Jacobson) hat davon nichts: Als ihr Vater, ein ehemaliger Kriegsgeneral, verstirbt, zieht sie verarmt aus Pennsylvania und kommt in New York bei ihren Tanten Agnes van Rhijn (Christine Baranski) und Ada Brook (Cynthia Nixon) unter.
Beide sind Angehörige des alten New Yorker Geldadels, in dem auf Tradition und Anstand besonders Wert gelegt wird. Schnell muss Marian merken, dass sich ihre Tanten seit einiger Zeit im Streit mit ihren Nachbarn befinden, dem neureichen Eisenbahn-Magnaten George Russell (Morgan Spector) und seiner Frau Bertha (Carrie Coon). Der alteingesessene Adel fühlt sich von den Selfmade-Geschäftsleuten bedroht. Während Marian den Streitigkeiten der reichen Leute verständnislos gegenübersteht, findet sie in Peggy Scott (Denée Benton) eine Freundin. Die junge Frau stammt aus einer wohlhabenden schwarzen Familie in Brooklyn, denkt aber gar nicht dran, sich auf ihrem Geld auszuruhen. Sie will als Journalistin Karriere machen …
Prunk, Glanz und Drama: "The Gilded Age" ist ein großer Spaß
Der Begriff "Gilded Age" ("vergoldetes Zeitalter") stammt von Mark Twain. Die Epoche, in der neureiche Industrielle langsam den bestehenden Geldadel in den USA ablösten, faszinierte Fellowes schon lange – und dies merkt man seiner Serie direkt an. Die 1880er holt er spektakulär zurück. Fellowes recherchierte akribisch und drehte in überschwänglichen Sets, an denen es sich nicht sattsehen lässt. Die Kostüme, die Frisuren, die Inneneinrichtungen, die Städteaufnahmen, die Kutschen … Selbst im Vergleich zu "Downton Abbey" legt "The Gilded Age" noch eine Spur drauf. Luxuriöser war vielleicht noch nie eine TV- oder Streamingserie. Der betriebene Aufwand allein ist das Ansehen wert und sorgt dafür, dass die neun Folgen, die zwischen 50 bis 80 Minuten lang sein können, nie langweilig werden. Allerdings: Lange Hochzeiten und Gala-Bälle finden sich nicht in ähnlicher Fülle, wie man erwarten könnte.
Dass Fellowes im Vergleich zu "Downton Abbey" seine Heimat England gegen die USA ausgetauscht hat, ist nur in Nuancen erkennbar. Seine Dialoge sind gestochen scharf wie immer, sein Spaß daran, reiche Menschen beim verzweifelten Kampf um ihre Privilegien zu zeigen, ist ungebrochen. Fans solcher Soap Operas werden sich von der ersten Sekunde an wohlfühlen und Spaß haben. Eine erkennbare thematische Verschiebung ist aber der neuen Historie geschuldet: "Downton Abbey" behandelte den Niedergang des englischen Adels. "The Gilded Age" zeigt den Beginn des US-amerikanischen Kapitalismus. Charaktere wie Bertha, die von Carrie Coon mit rebellischer Attitüde verkörpert wird, begehren auf, sie wollen ein Teil vom Kuchen – und haben den Fortschritt auf ihrer Seite.
Vergoldet statt golden: Nicht alles glänzt
Muten Figuren wie die unverbesserliche schnippische Agnes vertraut an (Christine Baranski spielt letztlich nur eine Variation der Maggie Smith Rolle aus "Downton Abbey"), ist Fellowes dieses Mal wesentlich mehr daran interessiert, den Aufbruch von Traditionen zu feiern, als nur die alte Ordnung wieder aufleben zu lassen. Richtig stark ist seine Serie daher immer dann, wenn Peggy im Mittelpunkt steht und der Blickwinkel einer schwarzen Frau eingenommen wird, die trotz aller sozialen Widerstände ihren Weg selbstbestimmt gehen will. In diesen Momenten hat "The Gilded Age" auch dank der bärenstarken Denée Benton etwas Aufregendes zu erzählen – und übertrifft hinsichtlich der Thematisierung von Hautfarben in alten Adelsszenarien locker das logische Vergleichsobjekt "Bridgerton" bei Netflix.
Weil Fellowes hier von einer Entthronung der alten Ordnung durch aufstrebende Geschäftsleute erzählen will, fällt bei "The Gilded Age" sein bekanntestes Stilmittel kleiner aus als sonst. Erzählten "Gosford Park" oder "Downton Abbey" zwei Geschichten, die des Adels und die der Bediensteten, bekommen letztere hier nur kleine Rollen, finden eher im Hintergrund statt. Dies kann dazu führen, dass die nötige Kritik am verschwenderischen Exzess der Reichen und Schönen noch für manch einen Geschmack zu gering ausfällt. Doch Fellowes tut gut daran, zuerst nur subtil die Risse im Marmor zu zeigen, den Unterschied zwischen "vergoldet" und "golden" in den Fokus zu rücken. Dafür kann er sich mit Louisa Jacobson auf eine großartige Hauptdarstellerin verlassen, die hinsichtlich Charme, Charisma und Energie ihrer berühmten Mutter Meryl Streep in nichts nachsteht.
Eine zweite Staffel ist schon unterwegs – und es ist zu erwarten, dass in dieser noch deutlicher werden wird, wie in der Gilded Age der Schein die Substanz übertrumpfte, weshalb das vermeintlich goldene Zeitalter zur Jahrhundertwende ein jähes Ende fand.