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Netflix-Serie "Black Mirror": Das steckt hinter der virtuellen Sex-Praktik in Staffel 5

Black Mirror Staffel 5 Striking Vipers
Sex-Spiel: Die neue "Black Mirror"-Folge zeigt Avatare mit Leidenschaft Sender

In der Episode "Striking Vipers" kommen sich zwei Männer näher, als es ihnen lieb ist. "Black Mirror" stellt mit dieser Folge aus Staffel 5 Fragen über moderne Geschlechterverhältnisse und lotet aus, ob Fremdgehen auch virtuell stattfinden kann.

Charlie Brooker denkt gerne über Beziehungsfragen nach. Der "Black Mirror"-Macher hat in der mit zwei Emmys ausgezeichneten Episode "San Junipero" bereits eine wegweisende Geschichte über ein homosexuelles Paar in den 80er-Jahren erzählt. Zwei Frauen (Mackenzie Davis und Gugu Mbatha-Raw) verlieben sich und müssen durch die Zeit reisen, um zueinander zu finden. Das war in Staffel 3 der Dystopie-Serie und ist inzwischen fast drei Jahre her. In der vierten Staffel gab es 2017 mit "Hang the Dj" eine Geschichte über eine Zukunfts-Dating-App. Nun ist "Black Mirror" Staffel 5 bei Netflix erschienen und die erste Folge, "Striking Vipers", steht wieder in der Tradition eines Beziehungsdramas.

Spoiler-frei könnte man die Handlung der Episode so zusammenfassen: Zwei einstige Studienfreunde kommen aufgrund einer Virtual-Reality-Version ihres Lieblingsvideospiels wieder in Kontakt miteinander und erleben eine große Überraschung. Das würde aber nur einen sehr groben Blick auf die gut einstündige Folge werfen, die spätestens nach ihrem ersten Zeitsprung (11 Jahre später) mit einem wirkungsvollen Twist aufwartet. Wer nun weiter liest, sollte "Striking Vipers" vorher gesehen haben. Wir werden im Folgenden auf konkrete Handlungsdetails eingehen und vor keinem Spoiler zurückschrecken.

Genauso wie in unserem Podcast: Auch dort besprechen wir die "Black Mirror"-Folge ausführlich und üben Kritik.

Hier direkt bei iTunes verfügbar: "Striking Vipers"-Kritik

"Striking Vipers" stellt Fragen über sexuelle Identität

Laut einer amerikanischen Studie, die 2016 im "Archive of Sexual Behavior" veröffentlicht wurde, schauen 21% der heterosexuellen Männer Gay-Pornos im Internet. Gut möglich, dass dies für Brooker und sein "Black Mirror"-Team der Anstoß war, über heimliche Leidenschaften und homosexuelle Tendenzen bei Hetero-Männern nachzudenken. Jedenfalls erzählen sie in "Striking Vipers" von Danny (Anthony Mackie) und Karl (Yahya Abdul-Mateen II), die sich nach 11 Jahren zum 38. Geburtstag von Danny wiedersehen. Beide sind erwachsen geworden, man könnte auch sagen: Der eine ist zum spießigen Familienvater mutiert, der andere fühlt sich immer noch wie ein Student und jagt jüngeren Frauen hinterher. Doch die Freude beim Wiedersehen ist groß: Karl schenkt seinem alten Studienkumpel eine moderne Version des "Street Fight"-ähnlichen Haudrauf-Games "Striking Vipers".

Noch am gleichen Abend zocken die beiden wie in alten Tagen. Nur dass sie diesmal einen Chip an die Schläfe legen und komplett in die fiktiven Figuren des Spiels eintauchen. Plötzlich ist Karl tatsächlich Roxette (Pom Klementieff) und Danny steuert seinen Avatar Lance (Ludi Lin). Anfangs hauen sie sich gegenseitig die Birne ein, doch dann nimmt alles eine Wendung: Sie küssen sich. Als sie sich das nächste Mal verabreden, gehen sie einen Schritt weiter und schlafen mittels ihrer beiden Avatare miteinander. Eine virtuelle Affäre entsteht, Karl und Danny können in "Striking Vipers" nicht genug voneinander bekommen. Dies ist der Punkt, an dem der Zuschauer sich fragt: Sind die beiden homosexuell und wie fühlt es sich für Karl als Mann an, plötzlich als Frau Sex zu haben?

Ein spannender, sehr zeitgemäßer Konflikt steht im virtuellen Raum: Kann ein Mann im Körper einer Frau stecken? Welche sexuelle Identität schlummert in Karl, wenn er es derart genießt, als Frau Sex zu haben? Leidet er gar an einer Störung der sexuellen Identität oder ist diese Affäre lediglich eine feurige Leidenschaft? Menschen, die Verunsicherung bezüglich der eigenen Männlichkeit bzw. der eigenen Weiblichkeit erleben, zweifeln oft daran, ob sie ein "richtiger" Mann bzw. eine "richtige" Frau sind. Gender-Fragen wie diese sind in der gegenwärtigen, liberalen Gesellschaft von enormer Bedeutung. "Black Mirror" ist dafür bekannt, den Zeitgeist zu treffen und Fragen zu stellen, die den Finger in die Wunde legen. Schließlich geht es in "Strinking Vipers" um nichts weniger als Geschlechtsidentität. Nur weil Karl augenscheinlich ein Mann ist, kann er trotzdem das Bedürfnis haben, mit seinem Freund zu schlafen und dabei eine weibliche Position einzunehmen.

"Black Mirror" bleibt Antworten schuldig

Foto: Sender, Was empfinden Karl und Danny füreinander? "Striking Vipers" bleibt viele Antworten schuldig
Leider gelingt es der Episode bis zum Schluss nicht, Licht ins Dunkel der diffusen Sexualität zu bringen. Vielmehr inszeniert Owen Harris an der relevanten Gender-Frage vorbei und führt uns einen Film vor, der über das Fremdgehen in virtuellen Räumen erzählt. Am Ende steht Theo (Nicole Beharie) im Mittelpunkt. Als Ehefrau von Danny möchte sie von ihrem Mann erfahren, warum der in letzter Zeit so abwesend ist und ihr gegenüber nicht mehr sexuell aktiv wird. Danny zweifelt daraufhin an den heimlichen Treffen mit Karl in "Striking Vipers" und beendet die Affäre. Wieder gibt es einen Zeitsprung, sieben Monate später ist Theo hochschwanger und sie und ihr Mann wirken glücklich.

Der Twist: Danny scheint seiner Frau von dem Online-Sex berichtet zu haben. Diese hat ebenso ein Interesse daran, ihre heimlichen, sexuellen Leidenschaften auszuleben. Also treffen die Beiden eine Absprache: Einmal im Monat darf Danny mit Karl den Digital-Koitus pflegen, während Theo sich im echten Leben in einer Bar mit Fremden trifft.

Damit zieht die "Black Mirror"-Folge ein seltsames Fazit: Anstatt Karls Gefühle als Frau näher zu ergründen, liegt der Fokus auf partnerschaftliche Auswirkungen. Regisseur Harris ("San Junipero") zeigt auf, dass es auch Fremdgehen ist, wenn dies nur via Avataren in einem Online-Game stattfindet. Mehr als ein Fetisch ist das Ganze in seinen Augen nicht. Theo steht darauf, von Unbekannten in einer Bar angemacht zu werden, Danny will mit seinem besten Kumpel schlafen. Beide Orientierungen werden als gleichzusetzende Rollenspiel-Varianten etabliert. Damit verpasst "Striking Vipers" die Chance, eine ohnehin schon gesellschaftlich relevante Debatte mit neuen Impulsen anzustoßen.