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"Chernobyl" auf Sky: Eine Serie über ein katastrophales Lügengerüst

Chernobyl auf Sky
Sender/Montage

Kettenreaktion von Fehlern… Die Sky-HBO-Co-Produktion "Chernobyl" erinnert an den Reaktorunfall vom 26. April 1986: mit intensiven Bildern und einem tollen Jared Harris. Doch das ist längst nichr alles.

Von "beispiellosem Mut" und "Selbstlosigkeit" sprach Wladimir Putin 2016. Der russische Präsident erinnerte zum 30. Jahrestag von Tschernobyl an den heroi­schen Kampf von Medizinern, Technikern und Soldaten, die Schlimmeres verhindert hätten. Alles richtig. Aber nur die halbe Wahrheit, wie "Chernobyl" zeigt. Die mit Jared Harris, Emily Watson und Stellan Skarsgård bestens besetzte Miniserie deckt auf, was am 26. April alles schieflief. Nie zuvor war man als Zuschauer so dicht dran am grausamen Geschehen. Denn damals versuchten Partei, Politik und Geheimdienst alles, um die schlechte Nachricht geheim zu halten.

Dokumentaraufnahmen vom Unfallort waren rar. Erste Bilder, die US-Sender verbreiteten, entpuppten sich als Fake News: Sie stammten nicht aus der Ukraine, sondern vom Brand einer Zementfabrik im italienischen Triest. Auch die Bevölkerung wurde zu spät alarmiert.

Geheime Dokumente belegen das Lügengerüst um Tschernobyl

Erst am 27. April wurde auf Drängen des Physikers Walerie Legassow, in der Serie eindrücklich verkörpert von Jared Harris, die nahe gelegene Stadt Prypjat evakuiert. Da gab der Reaktor ­bereits jede Stunde die Radioaktivität der Hiroshima-Bombe in die Umwelt ab. 2700 Busse holten die knapp 50 000 Einwohner ab, darunter 15 500 Kinder. Sie hatten zwei Stunden, ihre Sachen zu ­packen. Ihre Heimat sahen sie nie wieder. Die Geisterstadt liegt in einer Zone, die unbewohnbar ist.

Selbst russische Experten hatten vor dem Reaktor von Tschernobyl gewarnt. Aus geheimen Dokumenten, die später die US-Historikerin Kate Brown für ihr Buch "Manual for Survival: A Chernobyl Guide for the Future" (Penguin Random House, 2019) einsehen konnte, geht hervor, dass es in den fünf Jahren vor der Katastrophe 1024 Vorfälle an Reaktoren in der UdSSR gab, darunter allein 104 Pannen in Tschenobyl. Als ­besonders riskant erwies sich die Methode, Grafit als Neutronenbremse einzusetzen. Schwarze Brocken flogen nach der Explo­sion aus dem Reaktor. Einige der alarmierten Feuerwehrleute fassten, wie in der Serie zu sehen ist, die verstreuten Bruchstücke an. Wenig später quoll ihnen das Blut aus der Haut. Radioaktive Strahlung mit einer Stärke von bis zu sechzehn Sievert (schon sechs Sievert gelten als tödlich) hatte Zellen und Organe zerschossen.

Serien-Sensation auf Sky

HBO
Gedreht wurde in Litauen. Der Originalschauplatz in der Ukraine ist zwar teilweise zugänglich. Es gibt inzwischen sogar Tagestouren nach Tschernobyl, auf ­denen sich Touristen mit Geigerzählern mild gruseln dürfen. Aber in vielen Bereichen rund um den Reaktor ist die Radioaktivität noch so hoch, dass ein längerer Aufenthalt gefährlich wäre. "Chernobyl"-Showrunner Craig Mazin hat sich dort umgesehen.

Die fünfteilige Serie ist Teil einer mit 250 Millionen Dollar unterfütterten Allianz zwischen Sky und dem US-Sender HBO. Das Pay-TV rüstet auf im Kampf gegen die Streamingriesen Netflix und Amazon Prime Video. Und: Die Konkurrenz sollte sich in Acht nehmen. Eine solch sensationelle Serie wie "Chernobyl" hat man lange nicht mehr gesehen. Sky nutzt den Trumpf und zeigt die neuen Folgen immer im Wochentakt, abzurufen auch über die Video-on-Demand-Dienste Sky Go und Sky Ticket.

Interview mit "Chernobyl"-Showrunner Craig Mazin

Foto: Foto: Sender
Viele waren überrascht, dass Craig Mazin das Drehbuch für "Chernobyl" geschrieben und die Miniserie auch mitproduziert hat. Schließlich ist der New Yorker eher als Autor von leichten Stoffen wie "Hangover 3" bekannt. Aber er hat auch eine ganz andere Seite.

Was hat Ihr Interesse an Tschernobyl geweckt?
Craig Mazin: Vor fünf Jahren habe ich etwas über den Sarkophag gelesen, die neue Sicherheitshülle für den Reaktor. Das hat mein Interesse ­geweckt. Ich habe mich in das Thema vertieft. Je mehr ich las, desto schockierter war ich.

Sie sind als Autor von "Hangover 3" bekannt. Warum ­haben Sie sich jetzt einer ­Tragödie zugewandt?
Ich liebe Komödien, Filme, die nicht mehr sind als ein Ausbruch von Gelächter. Aber ich habe auch eine andere Seite, die sich für Geschichte, die Zerbrechlichkeit des menschlichen Geistes und das Leiden interessiert, das aus unserer Sterblichkeit resultiert. Das Drama fiel mir leichter, weil du nicht den Druck hast, andere zum Lachen bringen zu müssen.

Wie schwierig war die Recherche?
Wenn du mit Geschichten aus der Sowjetära zu tun hast, dann gibt es oft unterschiedliche Versionen, die einander widersprechen. Ich habe mich in solchen Fällen ­immer für die weniger dramatische Variante entschieden. Das Unglück von Tschernobyl war so schockierend und schrecklich, dass es keine falsche dramatische Überhöhung braucht.

Waren Sie in Tschernobyl?
Ja, ich habe mir die Anlage angesehen und bin so weit wie möglich in Richtung des explodierten Reaktors 4 vorgedrungen, das heißt bis zum Pumpenhaus von Reaktor 3. Ich war auch im aufgegebenen Prypjat.

Wie nah bleiben Sie an den Tatsachen?
Wir haben uns bemüht, nichts zu verfälschen. Wichtig war vor allem, die Sowjetbürger nicht als Karikaturen zu zeigen. Sie sind Menschen wie wir.